�DomrösNicht immer auf der Heide waren diese Röslein gebrochen—die hier siech und welk auf harten Polsterkissen lagen, sondern meistensim sprudelnden Grohstadtsumpf: im brodelnden Verkehrslebe» derStraße... Doch hin und wieder waren auch Hcideroslein unterdiesen gebrochenen Menschenblumen im Dornröschensaal des Frauen-gefängnisses...Es war da ein zwonzigiahriges, schöngewachsenes, braunäugigesMädel aus der Gegend der märkischen Heide, die üppigen braunenZöpfe waren noch nicht zum Bubikopf abgeschmtten. Wir wurdenzusammen zur„Sprechstunde" nach dem Vordergebäude geführt undeinstweilen gemeinsam in die eng« dumpfe Wartezelle des Männer-gefängnisses geführt.Es ist eigentlich auffallend, wie bereitwillig und gern die Ge-fangenen sich gegenfeit'g ihr Mißgeschick offenbaren; doch diesesMädchen schien schweigsamer zu sein und musterte mich verstohlenvon der Seite. Dabei hatt« sie ein offenes Gesichtel mit klaren reinenZügen, aus denen noch nicht alle Scham geschwunden schien. Immerwieder mußt« ich in dieses reizende Mädchenzesicht sehen und dacht«dabei! Wo hast du deine Mutter? Konnte Sie dich nicht besserhüten?Durch meinen teilnehmenden Blick schien sie Vertrauen zu mirzu fassen und bald befanden wir uns in einem Gespräch. Vater undMutter hatte sie nie besessen. Di« Mutter war bei ihrer Geburtgestorben— und von einem Bater war nichts bekannt. Bei derGroßmutter war sie erzogen worden, die ein« alte Gutsarbeiterinund schon lange Witwe war. Elisabeth wurde sie nach der oer-storbenen Mutter getauft, hier in Berlin aber nannte sie sich„ßissi".Elisabeth war bei der Gutsherrschaft in der Küche tätig und alsfleißiges und luftiges Mädel allgemein beliebt. Da kamen einesTages neue landwirtschaftliche Maschinen aufs Gut und mit ihnenfremde Monteure, darunter auch ein lustiger Berliner. Nun er-füllte sich an Elisabeth der Mutter Schicksal; sie lernte der LiebeLust und Leid kennen. Als die neuen Maschinen aufgestellt waren,und dte fremden Monteure wieder nach Berlin zogen, ging Elisabethmit dem lustigen Berliner auf und davonAllabendlich war Elisabeth mit dem Berliner in der Heide um-hergeftreift— bis das Unausbleibliche geschehen war— sie fühlte sichschwanger und wollte nun auf keinen F�ll im Dorfe bleiben. DerBerliner nahm sie mit nach Berlin, war seine Leidenschaft für diesfrische Mädchen doch noch nicht verraucht, auch wußte er— wie erElisabeth wiederholt versicherte, Rat— ihren unerwünschten Zustandzu bese'tigen, und das törichte Mädchen— blind vor Liebe— vertraute sich ihm ganz an. Nun begann für die ersten Wochen inBerlin ein lustiges Leben für die Beiden. Die gefällige Wirtin desgewissenlosen Verführers nahm auch das Mädchen bei sich auf undspäter auch in Behandlung.Elisabeth kam ins Krankenhaus und als sie nach schwerer Krank-heit entlassen wurde— harrte ihrer eine furchtbare Enttäuschung:Ihr ehemaliger Liebhaber hatte eine andere gefunden und bei seinerWirtin einquartiert. Nun wollte diese Elisabeth nicht mehr auf-nehmen und rat- und hilflos irrte das enttäuschte Mädchen in denStraßen umher. Im Wartesaal des Schlestschen Bahnhofs kaufte siesich eine Tasse Kaffee und ein Brötchen und zählte ihre Barschaft—doch wollte es für eine Heimreis« zur Großmutter nicht mehr reichen.Ein junger, flott aussehender Mann, der in der Röhe saß, hatt«schon lange die hübsche— jetzt blasse Elisabeth mit den starkenZöpfen und den großen dunklen Augen beobachtet; er kam wie vonungefähr näher und oerwickelte die Unerfahrene in ein Gespräch.Bald wußte cr, was er w'ssen wollte, und bot der Ratlosen einQuartier in seiner Wohnung an, versprach ihr sogar ein eigenesZimmer. Elisabeth nahm vertrauensvoll an, in der festen Absicht, sichin den nächsten Tagen Arbeit zu suchen.Doch dazu sollte es gar nicht kommen— lxmn das unglücklicheMädchen war in die Hände eines„Zuhälters" gefallen— dessen Ge-liebte zurzeit auf ein Jahr im Frauengefängnis Barnim interniertwar. Dieses wußte Mfabelh allerdings nicht. Nun begann wiederein luftiges Leben für die leicht zu Betörende; von einem Ver-gnüotmgslokal ins andere ging es. Elisabeth wurde in Männer-kreisen bekannt verehrt und begehrt und lernte es bald: dem unauf-fälligen Zwang ihres Liebhabers und der Not gehorchend— sich fürGeld und Geschenke hinzugeben. Wenn Elisabeth sich, angewidertvon dem unmoralischen Treiben— nach Arbeit umsehen wollte,drohte ihr Liebhaber mit einer Anzeige und schreckte zuletzt auch nichtvor Mißhandlungen zurück; dabei besaß er das gewinnbringendeTalent: durch abwechselnde L ebesergüsse die unglückliche Elisabethso zu fefleln— daß sie voll und ganz zu ihm in sexueller Hörigkeitstand.„Ich kann von dem Manne nicht lassen," so waren ihreeigenen Worte.Als sie eines Abends mit einem angetrunkenem„Verehrer" ins„Absteigequartier" ging und der„Galan" nach gehabtem Genuß sieprellen wollt«— ließ sie sich in ihrer Verzwe flung hinreißen, ineinem unbewachten Augenblick ihm seine Börse zu stehlen. DerBetrunkene lag im festen Schlaf und Elisabeth konnte sich heimlich«ntfernen.Allmenden Hersen» brachte sie ihre Beute heim und wurdevon i in ein Zuhälter>m. isberschwenglicher Liebe belohnt. EwigeTage spater— Elisabeth d-wl'te gerade auf Zßiraten ihres Zuhälterssich einni Bubikopf schneiden lassen ereilt? sie ihr Geschick. Alschetiftml/Elisabeth, die sich eigentlich„Lissi" nannte, den Laden ahnungslosbetrat, saß der Bestohlene«ingeseift unter dem Rasiermesser undElisabeth erkannte ihn nicht sogleich, er selbst aber hatte die Diebinwiedererkannt.Elisabeth mußte in einem anderen Raum warten. Während dementfernte sich der Bestohlene und ging zu der in der Nähe befindlichenPolizei. Gerade wollte der Barbier die Schere ansetzen, um ElisabethsZöpfe abzuschneiden— da ging die Tür auf— zwei Männer riefenein gebieterisches„Halt"! Und dem verblüfften Barbier siel vorSchreck die Schere aus der Hand...Elisabeths Zöpfe waren gerettet— sie selbst aber wurde verhaftetund dem Polizeipräsidium als heimliche Prostituierte und Diebin zu-geführt. Doch ein Unglück kommt selten allein; bei der ärztlichenUntersuchung erfuhr sie, zu ihrem Schrecken, daß sie geschlechtskranksei. Sie kam in einen Saal, wo schon mehrere Leidensgenossinnenihrem traurigen Schicksal entgegen harrten. Dieser Saal wurde vonden Insassinnen, sewer Abgeschiedenheit von den anderen Krankenwegen, der„Dornröschensaal" genannt.Nun weilte Elisabeth oder„Lissi", wie sie sich mit Vorliebenannte, im„Dornröschensaal" und hatte hier sogar einige„Be.kannte" aus ihrem letzten Berliner Leben gefunden.„Mensch!" hatte«in lustiger blonder Bubikopf zu ihr gesagt—„wenn du wieder rauskommst— laß' dir een Buch jeden, dann bist du unter Sitt undbrauchst nicht immer Angst vor Anzeige haben, ick mach det so, wennick raus kommet Und du bei deiner schönen Figur kannst oille Geldverdienen!Weinend erzählte mir Elisabeth diesen„gut gemeinten" Rat ihrerLeidensgenossin— da öffnete sich die Tür und wir wurden wieder insFrauengefängnis abgeführt..Als die Aufmerksamkeit der begleitenden Beamtin durch eineandere Gefangene abgelenkt wurde, flüsterte mir Elisabeth zu:„DerPfarrer hat für mich an meine alte Großmutter geschrieben. Bielleichtdarf ich wieder nach Hause kommen, ich möchte so gerne von Berlinfort!" Ich flüsterte zurück:„Wenden sie sich an Frau Oberin, schreibensie ihre ganzen Erlebnisse in einem Brief und ihnen wird bestimmtgeholfen." Roch einen aufmunternden Nick konnte ich dem Heide-röslein zusenden, dann wurden wir getrennt. Die Tür zum„Dorn-röschensaal" wurde aufgeschlossen und ich konnte noch einen Blickhineinwerfen— da lagen sie— die einst so hoffnungsvollen Menschen-blumen— noch jung, welk, bleich und abgezehrt; von innerer undäußerer Qual gequält. Auch einige lustige sah ich herum springen,doch diese waren meistens die Hoffnungslosesten unter ihnen undhatten sich in ihrem verfehlten Dasein eine gewisse Lebenskunst zu-recht gezimmert, ihre Hofsnungslosigkeit und ihr Elend unter einerburschikosen Fröhlichkeit zu oerbergen. Diese gehörten auch meistenszum„Stamm" der Frauengefängnisse und hatten schon manchen„Dornröschensaal" kennen gelernt.Den Männern aber, die als Richter über diese gebrochenen Men-schenblumen urteilen müssen, möchte ich des großen RazarenersWorte zurufen:„Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe denersten Stein auf sie." Denn ihr Männer in Ornat und Würden, nurwenige find unter euch, die nicht in lustiger Studenten- oder Rcfe-rendarzeit eine Mädchenblume leichtsinnig geknicktl Und bedeutetefür manches Mädchen so ein Erlebnis der erste Anlaß zu einem verfehlten Leben. Wie heißt es doch weiter in dem Buch der Bücher alsChristus sagte:„Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe denersten Stein auf sie— da sie aber das hörten, gingen sie hinaus, vonihrem Gewissen überführt einer nach dem andern; von den Vor-nehmsten an bis zu den Geringsten. Fanny Hofsmann.Erholung für überarbeitete Hausfrauen.Wenn man einen Halbwüchsigen fragt, was die Mutter arbeitet,so bekommt man oft die Antwort zu hören:„Mutter arbeitet nicht."Ob sie eine große Kinderschar zu versorgen hat, morgens als erst«auf den Beinen ist und abends als letzte zu Bett geht, spielt dabeikeine Roll«. Sie verdient kein Geld, folglich„arbeitet" sie nicht.Welche Unterschätzung der Hausfrauenardett liegt in dieser gedanken-losen Antwort! Ganz allmählich beginnt man jetzt zu erkennen,welche Unsumme von Kraft in täglicher stiller Kleinarbeit von derHausfrau und Mutter im Dienst ihrer Familie verausgabt wird.Unter den unerhörlen Anforderungen der Kriegs- und Nachkriegszeitfind viele gesundheitlich zusammengebrochen, aber für keinen Beruf,für keinen Stand gab es so wenig Crholungsmöglichkeit wie für dieHausfrau und Mutter. Neuerdings hat man darum begonnen, eineErholungsfürsorge für die überbürdeten unter den Hausfrauen zuschaffen, freilich zunächst erst in kleinstem Maßstob. Im letztenSommer sind in Frankfurt a. M. 60 Frauen für vier Wochen ver-schickt worden, und 25 Hausfrauen aus Chemnitz konnten sich instädtischen Heimen erholen. Natürlich muß in dieser Zeit sür Mannund Kinder gesorgt werden, denn welche Frau könnte sich wohl er-boten, wenn sie in Unruhe darüber ist, wer sie daheim vertritt?Darum ist mit dieser Art von Erholungsfürsorge besonders vielArbeit verbunden, und dies erklärt die geringen Zahlen. Aber derAnfang ist gemacht, und wir können nur wünsche», daß sich alleweiblichen Stadtverordneten für die Sache interessieren und dafüreintreten, daß auch ihre Stadt dem schönen Vorbild von Frankfurtund Chemnitz folgt. H. G.-S.