lands zu tun. Das sehen wir deutlich genug an Preußen. Gibt es zwischen Süd- und Norddeutschland größere Artunterschiede als zwischen Rheinländern und Sachsen , zwischen Westfalen und Ostpreußen , zwischen Hessen - Nassauern und Bommern oder Schleswig- Holsteinern? Und doch sind sie alle im preußischen Staat zusammengeschlossen. Wir wissen, daß die Vereingung nicht freiwillig geschah, und daß eine lange Zeit verstreichen mußte, bis der Ausgleich geschaffen war. Niemand denkt heute an einen ähnlichen 3wang, wenn er von der Schaffung des deutschen Einheitsstaates spricht, aber es wäre auch verfehlt, die Dinge laufen zu lassen, wie fle wollen und selbst einen gelinden Druck abzulehnen. Jedes Nachgeben an einen der Staaten, jede besondere Unterstützung finanzieller Schwächen geht auf Kosten der anderen, die durch Steuererhöhungen oder zum mindesten durch verzögerten Steuerabbau für die schlechte Wirtschaft der besondere Reichsunterſtügung verlangenden Staaten aufzulominen haben.
Ist erst die Mehrzahl der deutschen Staaten bereit zum Einheitsstaat, so darf und muß den Zaudernden durch einen gewissen Drud nachgeholfen werden, um so mehr als auch das widerstrebende Land selbst die günstigen Folgen spüren würde. Wir sind heute noch lange nicht so weit, aber es ist Zeit, daß wir uns intensiv mit dieser Frage beschäftigen. Tony Breitscheid .
Die Aufwertung der Frau.
Professor Julius Hirsch schildert auf lebendig und tlar geschriebenen 40 Seiten( Neues Werden in der menschlichen Wirtschaft". Kieler Borträge Nr. 24. Jena. Verlag Gustav Fischer) die Revolutionierung der menschlichen Gesellschaft durch die moderne Wirtschaftsentwicklung. Er. zeigt insbesondere, wie das sogenannte Malthussche Bevölkerungsgesetz in sein Gegenteil verkehrt worden ist: während früher die Bevölkerung der Erde schneller wuchs als die Zunahme der Lebensmittel, hat der moderne Rapitalismus dazu geführt, daß der Lebensspielraum größer geworden ist als die Menschheit. Diese Umkehrung früher beobachteter Berhältnisse ist entstanden einerseits durch die ungeheure Steigerung der mensch lichen Produktivität, andererseits durch die Revolutionierung der Familie und das Sinken der Geburtenzahl Damit aber wird die Stellung der Frau in der menschlichen Gefellschaft umgewälzt. Diese Ilmwälzung schildert Hirsch mit folgenden knappen Strichen.
Bon der Sklaverei zur Selbstbestimmung.
mehr und mehr entscheidend. Ein Kind will wohl Jede Frau, meistens auch zwei und manchmal drei. Aber das Dutzend der Maria Theresia , die anderthalb Dutzend der Mutter Leffing...? Die zwangsläufige Nachkommenschaftsgemeinschaft fchwindet; mit ihr, der furchtbarsten Drohung einer jeden liebeergriffenen Frau, in wichtigen Gesellschaftsschichten auch die Ausschließlichkeit der Che als Sexualgemeinschaft. Die„ Tugendfrifis der bürgerlichen Frau", von der Willy Hellpach spricht, wächst aus der wirtschaftlichen Eigentraft der Fraut. Die Ehe der Zukunft wird
gegenseitige Gleichheit fein
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oder sie wird sonst nicht sein. Den Produktionsausfall an Kindern ersetzt der Menschheit vorerst die Mehrproduktion von Frauenhand. Bollen kommende Generationen mehr Kinder, so werden sie die Eltern nicht mehr wie in aller Vergangenheit bestrafen, sondern belohnen, ia locken müssen. Die Kindermutter von vorgestern ist die Bollarbeitskraft von heute, die Besitzerin von morgen. Die Ummertung der Wirtschaftswerte bedeutet die wirtschaftliche, gesellschaftliche und geistige Aufwertung de: Frau."
Ein wirkungsloses Gesek.
Anfang Oktober ist das Gesetz über die Bekämpfung der Geschlechtsfraufhelten in Kraft getreten. Es enthält Bestimmungen, die wichtig sind und wichtig werden können für jedermann. Aber das Gefeh ist noch unbekannt.
In Stuttgart hat ein Arzt darüber eine erschreckende Feststellung gemacht. Er hielt Anfang Dezember vor 70 erwerbslofen Fraven einen Vortrag über geschlechtliche Erkrankungen. Von diesen 70 Frauen wußten nur zwei, daß darüber neue gefehliche Beftimmungen erlaffen worden waren, 3 wel andere hatten davon gehört, daß die Prostitution aufgehoben worden fel, und nur eine einzige war sich darüber klar, daß jemand, der einen anderen mit Syphilis , Tripper oder einer anderen derartigen Krankheit anstedt, mit Gefängnis bestraft werden tann.
Es ist dringend erforderlich, daß die Gefundheitsbehörden für die Aufklärung der Bevölkerung mehr und Wirffameres als bisher fun. Wie fell das Gefeh wirken, wenn es nicht bekannt ist?!
Das linkshändige Kind.
Die Revolutionierung der Familie, die ihren sichtbarsten Ausdruck im Sinten der Kinderzahl findet, hat auch die Stellung der Frau grundfäßlich verändert. Die Frau war der erste Stlave, das menschliche Arbeitswesen, von der Natur scheinbar rettungslos inmeister, auf die Beranlagung hinweisen. die zweite Masse menschlichen Soldatenstandes versetzt. Körpertraft regiert die Welt. Das Los der Frau war kurze Blütezeit und dann endlose Schwangerschaften mit fläglichem Berblühen und hilfloser wirtschaftlicher Gebundenheit an den Ernährer, dessen eigene Tugend die wirkliche Geschichte fast aller Fürstenhäuser, deutlicher noch das Blümlein„ Männerireu" feit unvordentlicher Zeit fennzeichnet. Einst war die Ehe ihrer Idee nach ausschließliche Serualgemeinschaft, zwangsläufige Kindergemeinschaft, Arbeits-, Befiz- und Erwerbsgemeinschaft. In allen drei Richtungen bricht das neue Werden alte Formen:
Biele Kinder gelten als ungeschickt, weil niemand erkannt hat, daß sie Linkshänder find. Die Kinder selbst sehen, daß sie hinter den anderen in Ihren Leistungen zurückstehen, und das Gefühl ihrer Untüchtigkeit verstärkt ihre Unbeholfenheit. Manche Begabungen verfümmern, und die Kinder wachsen zu unbefriedigten und unfrohen Menschen heran. Aufmerksame Mütter aber fönnten hier viel verhindern und den Lehrer, später vielleicht auch den Lehr
Der Wert der Muskelkraft sinkt; der Wert der Nervenkraft steigt. Hier ist die Frau weit weniger unterlegen, an wichtigen Stellen sogar überlegen. Wer wird sie je wieder von der Schreibmaschine, aus den Bureaus, aus den Werkstätten verdrängen? Beinahe schneller noch als die Möglichkeit wirtschaftlicher Selbständigkeit wuchs der jungen Frauengeneration der glühende Wille dazu. Ihr Jelbstverständlicher Mut im Anfaffen all der mann- geheiligten Leistungen war bewundernswert. Mit dem vollen Eintritt der Frau in die schaffende Arbeit hat die Menschheit ihre Leistungskraft um vielleicht ein Drittel erhöht. Die Frau gewann dabel unvergleich lich an Selbst empfinden und Leistungsfreude, und der Mann verlor nichts dabei ausgenommen vielleicht die HerrIchaft über seinen ältesten Sklaven. Die Vorbedingung für dauernde Bellgeltung der Frau war nämlich die, daß
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Sexualgemeinschaft nicht mehr zwangsläufig Nachkommengemeinschaft
fei. Damit wandelt sich die Geburt aus einem Schicksal in einen freien Willensentschluß. Will jemand ernsthaft bestreiten, daß die große Mehrzahl der Menschen zum mindesten beim ersten Entstehen fehr gegen den Willen der Eltern erschien? Geburt war nur allzu oft Schicksalsschlag. Die ökonomische Lage der Mutter wird heute
Bis etwa zum Schulbeginn bevorzugen die meisten Kinder weder die rechte noch die linke Hand. Der häufige Gebrauch der schöne Händchen" zu geben, den Löffel in die richtige Hand" zu linken Hand veranlaßt ja gerade zu der ständigen Mahnung, das nehmen und so fort. Man schätzt die Zahl der Menschen, die eine ausgesprochene Veranlagung zur Linkshändigkeit haben, auf etwa zehn von hundert, also einen nicht gar so fleinen Brozentjah. Da sie jedoch immerhin in einer erheblichen Minderheit sind, so ift es felbstverständlich, daß man sich im Gemeinschaftsleben auf die stärfere Betonung der rechten Seite emigt, 3. B. beim Ausweichen und lleberholen, beim Bau von Werkzeugen und Maschinen, bei der Anbringung von Hausgerät, wie Türflinten, Griffen und dergleichen mehr. Nur begeht man den Fehler, über das praktisch Rotwendige hinauszugehen und die Linkshänder auch dort gedanfenlos zu ver gewaltigen, wo es ganz gleichgültig ist, mit welcher Hand etwas getan wird. Man sollte beispielsweise das kleine Kind ruhig mit der linken Hand seine Perlen auf die Schnur ziehen laffen, wenn ihm das leichter fällt als mit der rechten Hand. Das Kind bekommt ohnehin noch genug Gelegenheit, die Rechte zu trainieren- schon allein durch den Zwang, in der Shule mit der rechten Hand fchreiben zu müſſen.
Auch wenn ein achtjähriges Mäbchen immer noch am liebsten mit der linken Hand näht, sollte die Mutter es ruhig gewähren lassen. Vor allem muß fie darauf achten, daß das Kind, gleichviet mit welcher Hand, das Beste teistet, mas es nach seiner Begabung leisten kann, und nicht das Gefühl bekommt, daß Linkshändigkeit ein Fehler ist, etwas, dessen man sich schämen müßte. Die Alters genossen in der Schule und in der Lehrstelle pflegen mit ihren Hänse leien nicht zu sparen In diesem Falle sollten die Eltern helfen, indem sie zu ihrem Kinde etwa sagen:„ Lasse sie nur hänseln! Benn du mit deiner linken Hand etwas Ordentliches fchaffft, so wirst du sie noch einmal alle beschämen!" Nichts ist ja bei der Erziehung eines Kindes, das irgendwie von der Norm abweicht, so wichtig, wie die Verhütung von Minderwertigkeitsgefühlen. Selbstver irauen ist die Borbedingung nicht nur für das feelische Wohlbefin den, sondern auch für die Entfaltung der Fähigkeiten, die in den einzelnen Menschen gelegt sind.