Seelenuntersuchung der Kleinlinder.

Eine in der ganzen Welt einzig dastehende Untersuchungsstelle in Wien  .

Das Haus der Wiener   Kinderübernahmestelle ist innen ganz durchfichtig. Alles Glas und Nickel. Grundsatz: die Erwachsenen ( Pflegepersonen) dürfen die Kinder niemals ftören, le dürfen nur da lein, wenn man sie braucht. Aber sie können durch die Glaswände die Kinder beobachten und beaufsichtigen. Ihr äußeres Leben, ihre Spiele, ihre Bewegungen im Raume stehen triftallflar vor ihnen Aber da ist ihr Inneres; unerforscht, geheimnisvoll, ängstlich ge schüßt durch Berfchloffenheit, Unzugänglichkeit, Schweigsamkeit. Licht hineinf

Babyteft.

Da wurde vor etwas mehr als zwei Jahren an der Kinder übernahmestelle eine Psychologische Untersuchungsstelle" errichtet. In Wien   ziemlich unbekannt, ist diese in der ganzen Welt einzig dastehende Untersuchungsstelle im Laufe der legten Zeit von 26 aus­ländischen Universitätsprofefforen besucht werden, ist Mittelpunkt der Arbeit von Hochschülern aus aller Herren Länder. Was ge­schieht da? Schon vor Jahren hat die Wissenschaft ein großartiges Mittel gefunden, Helle in das Dunkel der Kindesfeele zu bringen. Profeffor Binet hat als erster die sogenannten Testverfuche" an gestellt, bei denen er ein flares Bild von der Intelligenz" des geprüften Kindes erhielt. Die Wiener   Schute Profeffor Bühlers ift jedoch viel weiter gegangen. Es wird nicht bloß die Intelli genz, fondern die gesamte Entwicklungshöhe geprüft, alfo Denten, Fühlen und Wollen. Auch werden schon zwei Monate alte Säug linge geteftet", das heißt, es werden verschiedene Bersuche mit den Weinen Wesen angestellt, zum Beispiel ob und wie es das Köpf. then hebt, wie ein Schallreiz, ein Betaften, ein Lächeln der Pflege person einmirit usw. Das Prüfungsergebnis zeigt einwandfret, ob der Säugling dle seinem Alter entsprechende Entwicklungsstufe erreicht oder unter ihr zurückgeblieben ft. Spielerei? Trockene Wiffenichaft? Gang im Gegenteil. Der Left" des Säuglings und Kleinkindes ist dasselbe wie die Schülerbeschreibung in der heuti gen Schule.

Die für das weitere Schicklat Berantwortlichen wiffen mit Hilfe des Testes fofort, was mit dem Kinde zu gefchehen hat. In die Webernahmestelle werden vier Kinder eingeliefert, deren Lebensgefchichte man nicht fennt. Nicht einmal Aufzeichnungen, betreffend Namen und Alter, find dem armfellgen Bündel beigepackt, das da wimmernd auf den Stufen liegt, die zur Anstalt führen. Der Säugling wird zeuerst vom Arzt untersucht, dann kommt der ,, Seelenarzt und stellt den Teft" an. Schließt von den schon vor. handenen Fähigkeiten auf ein bestimmtes After. In einem solchen alle wurden nachträglich die amtlich beglaubigten Answelspapiere gefunden. Die Altersangaben gingen nur um 14 Tage ausein. ander!

Ein anderer Fall: Man weiß in der llebernahmestelle, daß die Mutter eines bestimmten Kindes auf dem Steinhof ist; die Ber mutung liegt nahe, daß das Kind die Beranlagung geerbt hat. In diesem Falle müßte es in Anftaftspflege kommen. Es wird ge teftet", dabel stellt sich heraus, daß es durchaus vollsinnig ist. Ein schweres Unglück ist vermieden worden; das Kind kommt in Brivat: pflege; wird ein gefunder, kräftiger Mensch. Oder: Bei der Leitung der lebernahmestelle meldet sich ein Ehepaar, das ein Kind als elgen annehmen will; die beiden Leute sind ganz verliebt in ein prächtiges, acht Monaie altes Kind, das sie freundlich anlacht. Aber der ,, Test" verrät, daß es um zwei Monate, alfo um ein Biertel feines Lebens, in der Entwoldtung zurückgeblieben ist. Den Adoptiveltern wird die Gewiffensfrage gestellt, ob fie ein zurückgebliebenes Kind, das ein Bielfaches an Obhut und Aufmerksamkeit benötigt als ein gesundes, annehmen wollen. Sie schrecken vor der schweren Auf gabe zurile, nehmen ein anderes, gut entwickeltes Kind. Der Säug. ing wird in Anstaltspflege gegeben, und es bleibt dem Kinde die Demütigung erfpart, als bumm" und zurückgeblieben" in der Famille herumgestoßen zu werden. Aus der Zusammenstellung und dem Bergleich der Einzelleistungen ergeben flch Durchschnittsberech mungen mit geradezu erschütternden Ziffern; so verfügen zweijährige, fchlecht gehaltene Kinder nur über einen Wortfchay von 27 Worten, gut gehaltene über 216 Wortel

-

Das Trotzalter.

Mindestens ebenso wichtig find ble feelischen Untersuchungen bei Kleinkindern. Besonders in Jenem Alter, in dem der Trotz durchbricht und alles an der Erziehung gelegen ist, das Kind mit Feingefühl über diese erste Krife", mie fie die Wissenschaft bezeichnet, hinweg zubringen. Da ist die kleine Eul; dreijährig. Sie erschreckt ihre Mutter durch Trohanfälle, die ganz plöglich von einem Tag auf ben anderen aufgetreten sind. Die Mutter ist verzweifelt, fürchtet fchon, das Kind könne ihrem Schwager, der durch Jähzorn sein Leben vernichtet hat, nachgeraten. Die Prüfung ergibt, daß das Kind ein fach in das Trogaiter geraten ist, ja es find fogar schon Anzeichen für das Abflingen der erschreckenden Erscheinungen vorhanden. Die Mutter, die das Kind schon in eine Anstalt hatte bringen wollen, wird beruhigt, es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß der Entwick. lungsgang nunmehr ganz natürlich ablaufen wird,

Die Wissenschaft hat aber noch eine andere Entdeckung in den letzten Jahren gemacht. Die Entoedung, daß Kinder, und zwar Mädchen vom 12. bis 14. und Knaben vom 14. bis 16. Jahre regel­mäßig vor Eintreten der Reife eine zweite schwere Krise durch­zumachen haben, die sie für Monate vollständig verwandelt. Heitere, gejellige Kinder, die gut lernen, Eltern und Lehrern viel Freude machen, werden plöglich gesellschaftsfeindlich, lehnen sich gegen ihre Umgebung auf, wollen nichts mehr lernen, nichts arbeiten, fönnen ftundenlang in einem einsamen Winkel hocken und vor sich hinftarren, find schlechten Einflüssen mehr als je in ihrem Leben ausgesetzt und zugänglich. Dr. Hildegard Heyer, die ein ganzes Jahr lang in einem profetarischen Jugendhort Beobachtungen angestellt hat, stellte fest, daß faft an fämtlichen Mädchen in diesem Alter geschlecht­liche Verbrechen verübt worden find.

Die negative Bhaje i aber felneswegs bloß eine proleta­rische Erscheinung, sie ist bet wohlbehüteten Kindern genau so zu beobachten, wie bei verwahrloften, nur dah die Kinder aus gutem Hause nicht so leicht schlechten Einstüffen ausgesetzt sind, wie die anderen, um die sich niemand kümmert, und daß sie davor bewahrt find, Opfer von Verbrechen zu werden. Bei den Mädchen ist das gefährlichste Jahr das dreizehnte, bei Knaben das fünfzehnte.

Marie W., 13 Jahre alt, perfetzt ihre Umgebung in legter Zeit burch ihr verändertes Benehmen in große Aufregung. Ihre Schula leistungen find schlecht, sie stört den Unterricht, lucht schlechte Gesell­fchaft auf, ist faul, ungebärdig, empört sich gegen die Mutter. Diese will fie in einer Anstalt unterbringen. Das Mädchen wird ge­prüft", die Untersuchung ergibt, daß die negative Bhaje" bald über­standen sein wird, die Mutter darf auf Befferung im Laufe der nächsten Monate hoffen und verspricht, alles daranzusetzen, um ihrem Rinde über diese schwere Zelt hinwegzuhelfen. Wehnlich der Fall des Rudolf G Bei ihm feht die negative Phafe lehr früh ein. Er ist erft zwölfjährig. Er wird von Pflegeeltern aufgezogen, die ihn außerordentlich Heb haben. Rutelf, der bis dahin ein guter Schüler war, ist mit einem Schlage wie ausaewechselt. Die Pflege eltern wollen ihn schweren Herzens zurückstellen, da sie die Bera antwortung nicht tragen wollen. Der Junge wird getestet", die Untersuchung ergibt gewiffe Störungen: er ist stundenlang von allerlei inneren Bildern umgautelt, die ihn von jeder Arbeit ab. lenfen. Die Erscheinung hängt deutlich mit der Reiseentwicklung zus fammen und ist vorübergehend. Den Pflegeeltern wird die Sache erklärt, es wird ihnen die Verficherung gegeben, daß man sie durch. aus nicht belangen wird, wenn Rudi einige Monate in der Schule zurückbleibt, und sie ziehen beglülett mit dem Jungen heim.

Eine Gefindeordnung vor 240 Jahren.

21

alte Hausordnung, die der Statthalter Christoph von Hardenberg Im Archiv der Hamille von Hardenberg befindet sich eine am 10. März 1686 erfallen hat. Sie woht in der Hauptsache für die Dienerschaft bestimant. Einige bemerkenswerte Stellen daraus feien hier wiedergegeben: Wer nichts aus der Brediat behält, soll wie ein Hund, auf der Erde legend, jein Mittagbrot   fressen." Wer In Briefe guckt, so offen daliegen, foil drei Tage hintereinander die Bastonnade( Stockprüael) erhalten und als infam fortgejagt werden." Wer die Zeit verschläft, dem follen awei feiner Kameraden je fechs Hiebe geben." Die Speifen find in guter Ordnung, ohne etwas zu verschütten, aufzutragen, die Schiffeln mit Reverenz wieder abgu­nehmen." Wer aber nascht und Note, Maul und Finger in allen Speisen hat, soll gezwungen werden, aur Bertrefbung feines Appe­tits heiße und brennende Speisen zu frelsen. Jeder hat faut das Tischgebet zu sprechen. Wer stodt, erhält sechs spanische Nafen ftüber." Wer mit ungewaschenen Händen aufwartet, dem sollen die Finger mit scharfen Ruten gewaschen werden, bis sie bluten." Die­weil es auch ein schändliches und untelbliches Wert, wenn die Be dienten langfam effen, fo foll denen, die länger als eine Viertel­stunde damit zubringen, das Effen vor dem Maul weggenommen werden. Wer die vorgelegten Speisen nicht elfen will, faftet 24 Stun den ganz und gar." Wer ohne Erlaubnis ausgeht oder gegen den Herrn murrt, hat nach Umständen Beilsche, Kette oder Pfahl zu er warten."

Das find nur einige Roftproben" aus einer ziemlich umfang­relchen Sammlung ähnlicher Borschriften, Rafenftibber, Baftonnaden, 6 bis 30 Stochiebe, blutig faylagen, Dhrfeigen, hungern, einsperren - das sind so die beliebtesten Erziehungsmittel eines durchschnitt­lichen Standesherrn aus der guten allen Selt".

Ein sechzigfacher Ehemann, der es innerhalb dreißig Jahren zu dieser erstaunlichen Eigenhaft bredte tam endlich an die Un­rechten. In Aegypten  , wo man in der Bielwelberet noch immer nichts Strafwürdiges erblidt, hatte es diefer Ehrenmann verstanden, fich der Frauen, deren er überbrüllla war, auf Grund falscher Bor fpiegelungen durch Scheidung zu entledigen. Seine beiden letzten Opfer aber haben nunmehr ihrerseits das Gericht angerufen, welches den Abwechslung lebenden Ehemann au Schmerzensgeld verurteilte.