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Frauenstimme

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Nr.7 46. Jahrgang

Beilage zum Vorwärts

31. März 1929

Sorge um werdendes Leben.

Außer dem ärztlichen wird über jede berufstätige Selbst. versicherte ein sozialer Fragebogen angelegt, um Erfah rungen über die Einwirkungen der Berufsarbeit auf die Schwanger schaft und Geburt zu sammeln. Jede vorgeschrittene Schwangere erhält außerdem eine Entbindungstarte, damit man den Berlauf der Entbindung mit der Schwangerschaftsdiagnose der Für­forge vergleichen fann.

Aus dem Jahresbericht der Schwangerenfürsorge für den Zeit­raum 1926/27( verfaßt von der Leiterin der Schwangerenfürsorge Dr. Alice Bollnhals) geht hervor, in welch ständig steigendem Maße die ,, Kasse" für die arbeitenden Bevölkerungsschichten zum Rettungs­anter in Not und Schwierigkeiten wird. Immer neue Gebiete find in den Bereich ihrer Unterstügungs- und Aufklärungstätigkeit ein­bezogen worden, eines der wichtigsten ist die Schwangerenfürsorge, die sowohl von weiblichen Selbstversicherten wie den Familienangehörigen Versicherter in Anspruch ge­nommen wird. Diesen Frauen steht sowohl der Weg in das Sprech­zimmer des Ambulatoriumarztes wie in die Fürsorge" offen. Der Unterschied ist mur der, daß der Arzt den behandelten Fall" rein medizinisch erfaßt, dagegen die Fürsorge viel umfassender die recht lichen, sozialen und seelischen Momente der Schwangerschaft in Be­tracht zieht und über die Person der Schwangeren hinaus eine umfassen. U. E. liegt es z. B. nicht im Sinne einer positiven Bevölke­fassende Familienfürsorge zu betreiben versucht.

Der Inhalt der Schwangerenfürsorge erstreckt sich auf rechtzeitige Ertennung und Frühbehandlung von Gesund heitsstörungen, die die Geburt gefährden oder das Kind durch Uebertragung belaften könnten. Eine besondere Rolle spielt hier die Syphilis, die in 5 Proz. aller Fälle behandelt werden mußte, die Tuberkulose, Herzfehler, Krampfadern und die Nervosität unserer Mütter, die sich als Massenerscheinung leider sehr start bemertbar macht. Der Fürsorgeärztin liegt daran, die Hauptflage der Schwan­geren zu erfahren, auf ihren Hauptwunsch einzugehen und nötigen­falls ein Heilmittel zu verschreiben. Eine aus Handtüchern leicht herzustellende Leibstüße wird ebenfalls vorgeführt. Fernerhin gehört zur medizinischen Behandlung die Borbeugung gegen anormale Bage des Kindes, enges Becken usw. und die Anratung einer Anstalts­entbindung in allen Fällen, wo irgendwelche Geburtskomplikationen zu befürchten sind. Eine wichtige Aufgabe sieht die Fürsorge in dem Rampf gegen Aberglauben, Unwissenheit, schlechte Gewohnheiten und Nachlässigkeiten durch Aufklärung und Beratung über richtige Ernährung, Zahnpflege, Brustpflege, Körperpflege, Wohnungs­hygiene, die unterstügt wird durch ein der Patientin mitgegebenes Merkblatt oder Merkbuch. Die beratende Tätigkeit wäre unvoll­ständig, wenn sich nicht für junge Mütter daran schlösse die Auf­flärung über Empfängnisverhütung, um eine zu rasche Aufeinander folge der Geburten oder eine Uebergeburtlichkeit im Interesse- der Mutter und der Kinder zu vermeiden. Ebenfalls wird Alkoholismus  in der Familie der Schwangeren, also insbesondere des Ehemannes durch ausgezeichnete Zusammenarbeit mit abstinenten Vereinigungen bekämpft. Nicht immer so reibungslos soll sich nach dem Bericht das Zusammenarbeiten mit anderen Behörden und Kranken­häusern gestaltet haben, die anscheinend noch nicht den Sinn einer fozialen Mutterschaftsfürsorge begriffen haben. In besonderen Fällen, wo die Patientin trok zweimaliger schriftlicher Aufforderung nicht wieder in der Sprechstunde erschienen ist, wurden Hausbesuche ge­macht. Mehrmals fand die Fürsorgerin die Patientin nach einer laienhaft vorgenommenen Abtreibung' fiebernd im Bett liegen. Durch schleunige Ueberführung in ein Krankenhaus tonnte ihr Leben den Ihrigen erhalten bleiben. In anderen Fällen gelang es, durch Auf räumen und Möbelumstellen Platz und mehr Luft für das zu er wartende Kindchen zu schaffen. Wegen Personalmangel ist die Außentätigkeit der Fürsorge aber einstweilen nur gering. Recht Recht guten Erfolg hatte man mit Kursen über Säuglingspflege, an denen monatlich etwa hundert Frauen teilnahmen, sowie neu angegliederten Kursen über Hygiene der Frau und des Kindes, bei denen sich stets eine rege Teilnahme der Zuhörerinnen bemerkbar machte. Auch über ihre Rechtsansprüche an die Krantentasse und evtl. Wohlfahrts­unterstützung werden die Schwangeren belehrt.

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Nach unseren eigenen Erfahrungen ist es allerdings sehr wohl möglich, daß die Besucherinnen der Schwangerenfürsorgestellen diese Ausführungen nicht in jedem Punkte durch ihre Eindrücke bestätigt finden. Sie mögen bedenken, daß es sich um programmatische Ziel­fehungen der Leitung der Schwangerenfürsorge handelt, die fich bei einer jo jungen Einrichtung nicht gleich an allen Stellen mit un­erprobten Kräften in der größten Bollkommenheit verwirklichen

rungspolitif, wenn man wirtschaftlich günstig gestellten, gefunden Frauen die Verhütungsmittel geradezu aufdrängt. Man sollte zwischen den Extremen mit sicherem Taft die Mitte halten Außer­dem berührt es sonderbar, wenn eine längst entbundene Frau, die ihren Anspruch auf Entbindungsgeld und Wochenhilfe längst bei der Zentrale der Krankenkassen gemeldet hat, von der Schwangerenfür­forge weiterhin Besuchsaufforderungen bekommt. Da tlappt etwas in der Organisation nicht.

Ilm   von den Umfang der Schwangerenfürsorge ein Bild zu geben, läßt sich die Anführung einiger wesentlicher Zahlen nicht vermeiden. Von 645 im Jahre 1925 stieg die Zahl der be­handelten Personen auf rund 2500 im Jahre 1926 und auf rund 4600 im Jahre 1927 bei 18 Fürsorgestellen in Berlin  . 30 Broz. der neuen Besucherinnen tamen auf Empfehlung von alten, das beste Zeichen für die wirkliche Volkstümlichkeit der Fürsorge. Ein starkes Steigen der Besucherinnenzahl ließ sich ferner nach der Gesundheitsausstellung beobachten. Die Zahl der Einzelbesuche betrug 1926 rund 9600, 1927 rund 16 000. Man hat sich bei der Beratung nicht engherzig an die Kaffenmitgliedschaft gehalten, allerdings fonnte man natürlich nur Raffenmitgliedern Heilmittel verschreiben,

Was das Alter der Patientinnen betrifft, so war die größte Zahl zwischen 26 und 30 Jahren alt. Nur zwei waren über 46, und die jüngste war eine vierzehnjährige Lyzealjchülerin, bei der bis zum achten Monat niemand etwas von der Schwangerschaft gemerkt hatte. Bei den über Bierzigjährigen löfte die Schwangerschaft stets ein Ge fühl der Niedergeschlagenheit und Mutlosigkeit aus,

Aus gesundheitlichen Gründen wurden 1927 zur Beratung ge führt 1850 Frauen, aus wirtschaftlichen 333, aus rechtlichen 299.

1926 waren die meisten Besucherinnen im neunten Schwanger schaftsmonat, 1927 im fiebenten Monat. Die frühen Patientinnen, die sofort bei Ausbleiben der Periode erscheinen, wollen vor allen Dingen wissen, ob Schwangerschaft besteht, natürlich, um dagegen etwas zu unternehmen. Wenn sie auf vierzehn Tage später wieder bestellt werden, fommen sie restlos wieder. Der Bericht klagt be­sonders über das zu späte Erscheinen in der Fürsorge, zu spät oft im Hinblick auf die Behandlung ernster Leiden. 1926 waren 889 Besucherinnen zum erstenmal schwanger, 605 zum zweitenmal, bei den Kinderreichen sinft der Anteil immer tiefer. Das hat seinen Grund einmal in der gehegten Lebensweise der finderreichen Frau, zum anderen, aber auch, was in dem Bericht ganz übersehen wird, in den immer selteneren Vorkommen der großen Familie, auch in Arbeiterfreifen.

Der Abtreibungsfrage hat man bei ihrer eminenten Be­deutung für die Gesundheit natürlich besonderes Interesse zu gewendet. 1926 gaben die rund 2500 Besucherinnen rund 6800 on­zeptionen und rund 2500 tünstlich herbeigeführte Aborte zu, danach