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Für unsere Kinder
Dann kamen trübe Tage. Die Not des Lebens pochte an das Elternhaus und zerstreute uns unter fremde Menschen. Ich mußte bei einem harten Bauern die Kühe hüten. Oft lag die Weide über eine Stunde vom Dorse entfernt. Wenn die Kühe grasten, habe ich mich nach allen Seiten umgesehen, ob niemand in der Nähe weile, und dann habe ich mich hinter die Hecke geworfen und habe bitterlich geheult. Es hat aber niemand etwas davon erfahren. Später famen größere Schmerzen, als alle die lieben Alten, die treuen Gefährten und Hüter meiner Kindheit, ins Grab sanken. Und andere Leiden kamen, von denen ein Kind noch nichts weiß. Aber mit den Leiden wuchs auch die Kraft, ihnen zu widerstehen. Ein Mensch fann ja viel mehr ertragen, als er sich einbildet. Wenn ich heute zurückblicke auf die Leiden und Freuden, soweit sie meine eigene Person betrafen, so muß ich bekennen: sie haben sich wohl die Wage gehalten. Das Schmerzliche vergißt man mit der Zeit, und an das Erfreuliche denkt man gern zurück.
Es ist drei Minuten vor zwölf. Meine Lieben schlafen noch immer. Die Kleine lächelt im Schlafe. Ich mag sie nicht wecken. Die Wanduhr tickt lauter, als wüßte sie, daß sie gleich das neue Jahr verkünden soll. Ich stehe leise auf und öffne das Fenster. Totenstille. Mein Herz flopft überlaut. Vom Turme dröhnen die zwölf Glockenschläge durch die Nacht. Eins! Das ist die Ausbeutung. 3wei! Das ist die Knechtschaft. Drei! Das ist die Not. Vier! Das ist die Unwissenheit. Fünf! Das ist das Geißelheer der Krankheiten. Sechs! Das ist der Tod. Hörbar schlägt mein Herz und meine Fäuste ballen sich: Sieben! Das grollte der Zorn. Acht! Das schrie die Wut. Neun! Das rief die Kraft. Zehn! Das fordert zum Kampf. Elf! Das jauchzt der Sieg. 8wölf! Das jubelt die Freiheit! Freiheit läuten die Glocken, und am Himmel glänzt wieder der Stern meiner Jugend, das herrliche Bild des Orion. O leuchte, du schöner Stern, dem Kampfe der Unterdrückten voran, leuchte uns zum endlichen Siege!
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Hans Jörg.*
Jahre des Kampfes folgten, des Kampfes zwischen den ererbten und erworbenen Vorurteilen und der eigenen Einsicht. Hart war der Kampf, so hart, daß das schwache Fahrzeug oft unter der Gewalt der inneren Stürme zu versinken drohte. Aber in jeder Not, in jeder Nacht leuchtete mir der Stern der Frei und den Hammer führte mit sehniger Hand. Das war Hans Jörg, der am Amboß stand heit voran; ihm habe ich gläubig vertraut
Brand.
und tue es heute noch. Die eigenen Leiden In rote Funken versprühte die Glut, find zurückgetreten hinter den großen allge- ans Jörg schlug sicher, Hans Jörg traf gut, meinen Jammer. Was will das eigene Leid und er lachte dazu in die zischenden Flammen: bedeuten bei dem Elend einer Menschheit, die" So schmieden wir uns unsre Zukunft zusammen! in Knechtschaft und Not dahinfeucht und feine So glühn ineinander wir Stild für Stüd Freude mehr hat an der mütterlichen Natur und und hämmern uns ein erzenes Glück!... an dem schönen leuchtenden Gestirn des Tages! Ei, Kameraden!" er rief es laut, Darum will ich hineingehen in die Hütten Wer ist's, der nicht an dem Werke baut, Das wir freudigen Mutes begonnen? der Arbeiter und will zu ihren Buben und Ward nicht jeder schon, jeder gewonnen? Mädchen sprechen: Ihr Kinder der Arbeiter, es ist ein Kampf entbrannt! Die Not lehnt hat nicht alle die klingende Zeit geweckt, Die empor ihre jungen Glieder rect, sich auf im Lande und will ans Licht! Eure Und seht ihr nicht Sterne und Sonnen? Väter und Mütter darben und seufzen unter Und seht ihr des Morgens rote Pracht schwerer Arbeit, und man gibt ihnen ihren verdienten Lohn nicht. Ihr Kinder der Ar- Nicht schimmern herauf aus der drückenden Nacht? beiter, werdet Männer und Frauen! Daß ihr Bum Teufel! Wer zagt noch in feiger Geduld Und fügt zu der Herren die eigene Schuld eintreten tönnt in die Reihen der Kämpfer für Und regt nicht die schaffenden Hände, Freiheit und Recht! In dieser ernsten Stunde am Beginn eines neuen Jahres wollen wir Daß das eigene Schicksal sich wende?! geloben:
Bis eure Mütter nicht mehr darben, Die Väter freudig Arbeit tun, So lange soll auch, Mädchen, Knaben! Der harte, schwere Kampf nicht ruhn.
Und ist's auch mit heut nicht und morgen getan, So gehn wir doch vorwärts die steinige Bahn,