58 Für unsere Kinder drohenden Verfolgungen und Strafen freudig alles taten, was in ihren Kräften stand, um für die sozialistischen   Lehren neue Anhänger zu gewinnen. Was die Obrigkeiten verboten, das mußte heimlich geschehen, denn es war das Rechte, und nichts äls ein bitteres Un recht der Mächligen war es, das Rechte er sticken zu wollen. Und die heimlich ausgestreute Saat des Rechten trug ihre Früchte. Es wuchsen und wuchsen die Scharen der Ar beiter, die Sozialdemokraten wurden, weil ihr eigenes Leben ihnen zeigte, daß die sozia- listischen Gedanken richtig waren. Natürlich nutzten die Sozialdemokralen jede Gelegen heit aus, um ihre Überzeugung zu bekennen und sich zu zählen. Eine wichtige Gelegenheit, das zu tun, waren die Wahlen zum Reichs tag. Da wurde alles aufgeboten, um die sozialistischen   Lehren unter die Massen zu tragen, mochte das durch Verbote aller Art und harte Strafen noch so erschwert werden. 1881 fand im vierten Berliner   Reichstags wahlkreise eine Nachwahl zum Reichstag   statt. Viele Arbeiter dieses Kreises hatten schon srüher zum Ausdruck gebracht, daß sie den Sozia lismus als ihre eigene Sache hochhielten. Sie hatten einen Sozialdemokraten in den Reichs tag geschickt, den Zigarrenmacher Fritzsche, der dort Gesetze gefordert hatte, die der Not der Arbeiter steuern sollten. Nachdem aber das Sozialistengesetz in Kraft getreten, war es den Arbeitern zunächst nicht möglich ge wesen, in den Reichstag einen Sozialdemo kraten zu entsenden, der ihre Sache verteidigt hätte. Die harte Verfolgung der sozialistischen  Lehre hatte bewirkt, daß damals ein Gegner des Sozialismus die meisten Stimmen er halten hatte. Nun aber wollten die Arbeiter den Kreis bei der Nachwahl zurückerobern. Einer der besten und schneidigsten Vorkämpfer des Sozialismus in Deutschland   sollte ihre An sprüche im Reichstag   vertreten: der Drechsler meister August Bebel   aus Leipzig  . Es war kein leichtes Stück Arbeit, dafür tätig zu sein, daß Bebel die meisten Stimmen der Wähler erhielt. Die Behörden und Mäch tigen sparten nicht mit all den Gewaltmitteln, die das Sozialistengesetz in ihre Hand gegeben hatte. Darunter war eine ganz besonders harte Maßregel, welche die Sozialisten niederzwingen sollte. Es war das der sogenannte kleine Be lagerungszustand, der wie im Kriege verhängt wurde und zeigte, daß die Reichen und Herr schenden ihren Feind in den Arbeitern er blicken, die da meinen, daß ihr Lebe» doch einen anderen Zweck haben könnte, als für andere Reichtümer zu schaffen. Der kleine Belagerungszustand wurde für solche Städte und ihre Umgegend erklärt, wo der Sozia lismus unter dem arbeitenden Volke bereits viele Anhänger gefunden und festere Wurzeln geschlagen halte. Wo er herrschte, war die Polizei allmächtig, zur Unterdrückung der sozia listischen Bewegung durfte sie tun, was ihr beliebte. Dazu gehörte auch das Recht, Sozial demokraten in dem Gebiet des Belagerungs zustandes den Aufenthalt zu verbieten, sie von dort auszuweisen. Auch über Berlin   war der Belagerungszustand verhängt worden, eine ehrenvolle Anerkennung, daß dort die Arbeiter aufzuwachen begannen. Die Berliner   Polizei hatte von ihrem Recht, oder richtiger Unrecht zur Ausweisung von Sozialdemokraten rück sichtslos Gebrauch gemacht. Wie viel Not und Jammer war da nicht über viele, viele Ar beiterfamilien hereingebrochen! Von heut auf morgen erhielt da der Vater Befehl, die Stadt zu verlassen. Er wurde aus seiner Arbeit oder seinem Geschäft gerissen, oft verhaftet, vor Richter geschleppt, die kein Ohr für die Sache der Arbeiter hatten. Und ganz gleich, ob das, wessen man ihn anklagte, zu einer Verurtei lung hinreichte oder nicht: er mußte fort. Fort vonWeib undKindern, denen der Ausgewiesene manchmal nicht mehr Lebewohl sagen durfte. In seinen Papieren vermerkte die Polizei, daß er einroter Umstürzler" sei. Wie viele Tore von Fabriken und Werkstätten verschlossen sich da nicht vor dem Mann, wenn er fern von der Heimat Arbeit suchte, um den zurückgebliebenen Lieben Brot und Wohnung zu schaffen! Die Besitzer der Geschäfte wähnten, den Sozia lismus von den Arbeitern in ihren Betrieben fernzuhalten, wenn sie keine Sozialdemokraten hereinnahmen,die das Gift der Irrlehre" weiter verbreiten konnten. So wurden die Ausgewiesenen oft von Stadt zu Stadt wie Geächtete gejagt, allen Entbehrungen preis gegeben, deren Qualen die Sorge um Weib und Kind verschärfte. Und trotzdem ließen die sozialdemokratisch gesinnten Arbeiter nicht von ihrer Überzeugung. Ganz im Gegenteil: Mit Grillenberger, einem ihrer Führer, sagten sie: wir pfeifen auf das Gesetz". Trieb das Schändliche sie mit dem Belagerungszustand aus der Heimat, so wurden sie nun erst recht Apostel des sozialistischen   Evangeliums, von der Befreiung der Arbeiter aus eigener Kraft. Sie trugen es durch alle Gaue Deutschlands  . Aber es versteht sich, daß das Sozialisten-