102 Für unsere Kinder gegen acht Zentimeter lange Eier legt. Nach ungefähr dreißig Tagen sind die Eier ausge brütet und es schlüpfen aus ihnen die grau- iveißwolligen Jungen. Nun gibt es für die Storcheneltern viele Arbeit. Die Jungen wer den von einem der Eltern bewacht, während das andere Futter und Wasser im Kehlsack oder im Schnabel herbeischleppt. Fische, Frösche und Schlangen, Eidechsen, Blindschleichen und Schnecken, kleine Vögel. Mäuse, Maulwürfe und Insekten, sie alle müssen auf der Hut sein, wenn sie nicht in dem Magen der unersätt lichen Storchenbrut ihr Dasein beschließen wollen. Zum großen Leidwesen der Bienenzüch ter verschonen die Störche auch die Honigbienen nicht. Anfangs werden die Jungen geätzt, das heißt, die Eltern stecken ihnen die Nah rung in den Schlund. Später speien die Alten die erbeuteten Tiere, die oft noch leben, auf den Rand des Nestes aus, und die Jungen lernen, diese Tiere zu töten und die Nahrung selbst aufzunehmen. Nach einiger Zeit verstehen es die Jungen auch, die erst nur zischen konn ten, wie erwachsene Störche mit dem Schnabel zu klappern. Sind sie erst beschwingt, wird ihnen von den Eltern das Fliegen beigebracht: wie sie Hals und Schnabel dabei nach vorn und die Beine zum Steuern nach hinten halten müssen, wie sie die Flügel zu spannen haben. Auch wer den die Jungen gelehrt, wie sie am besten die Frösche überrumpeln, kurz alles, was zu einem tüchtigen Storch gehört. Spätsommer ist es, auf den Feldern mäht die lange Reihe der Schnitter das goldene Korn, raffen und binden fleißige Hände den Entesegen. Eifrig, aber doch gravitätisch schrei ten die Störche hinterher; sie fürchten sich nicht vor den Feldarbeitern und fangen die auf gescheuchten Frösche und Mäuse. Haben die Störche so auch ihre Ernte von den Feldern geholt, so gehen sie wieder auf die Wiesen, an die Weiher, Seen und Sümpfe, an denen Ostpreußen   so reich ist. Inzwischen wird es auch Zeit, sich für die große Reise nach Süden vorzubereiten. In Trupps von äv bis 100 und mehr Stück sammeln sich die Storcheneltern mit ihren Kindern, die ihreFliegerp rüfung" abzulegen haben. Einige besonders weise Lehrer wiegen während der Übungen bedächtig ihr Haupt hin und her und geben den jungen Störchen ihre Ermahnungen.«Klapp, klapp du Tapp, schneller anfliegen, du Nesthocker. Ja, so ist es schon besser." Es gewährt einen komischen Anblick, wie sich die Störche mit einigen Sprüngen vom Boden zum Fliegen erheben. Um so prächtiger ist ihr Flug; Hals und Schnabel gerade nach vorn, die langen Beine nach hinten und die großen Flügel weit gespannt, so schwimmt der Storch ohne sicht bare Flügelbcwegung in der Luft daher, oder schraubt sich in immer weiteren Kreisen in schwindelnde Höhen empor. Ist genügend ge übt worden, so findet die letzte große Prüfung statt, bei der wohl auch Zensuren ausgeteilt werden. Die beste Zensur lautet:Fähig, bis nach Kapland zu fliegen." Von einigen Ma- suren wurde mir erzählt, daß die Störche ihre zum Fernflug unfähigen Zöglinge töteten, doch habe ich dergleichen Beobachtungen nicht machen können. Zur großen Freud« der Frösche und anderer Storchleckerbissen und unter tiefem Bedauern der Masuren   ziehen die Störche im Sep tember fort, um ihren Standort für den Win ter nach warmen südlichen Gegenden zu ver legen. Für die weite Reise über Gebirge und Meer scheinen sich die einzelnen Trupps der Störche zu größeren Scharen zu vereinigen, und es wird von Schwärmen von zwei- bis fünftausend Stück berichtet. Doch ziehen diese gewöhnlich in solch großen Höhen ihre Bahn, daß sie nur selten beobachtet werden können. Bekannt ist, daß in Spanien  , Ägypten  , aber auch in Jnnerafrika zahllose Mengen von Störchen überwintern. Ja, selbst im Süden Afrikas  , in der Kapkolonie  , hat man schon oftpreußische, niedersächsische und holländische Störche angetroffen. So wurden der bekannten ostpreußischen Vogelwarte Rossitten   auf der Kurischen Nehrung Ringe übersandt, die man an den Beinen von Störchen gesunden hatte, die von Buschmännern erlegt worden waren. Wenn man nämlich in den deutschen und holländischen Gegenden einmal einen Storch fangen kann, so legt man ihm einen Ringe um die Beine, auf die man Ort und Tag des Fanges einkratzt. Auf diese Weise ist schon mancher bemerkenswerte Aufschluß über die Auslandsreisen unserer Störche gewonnen worden. Welch ein ungeheurer Weg, von Ost preußen   nach Südafrika  , eine Leistung, die unseren Flugkünstlern wohl kaum in ihren kühnsten Träumen vorschwebt! Um so trau riger ist es für unserenAdebar", der im Orient als Giftschlaugentöter für heilig gilt, wenn er nach einem solch heldenhaften Flug im Magen eines Buschmannes endet. Bruno Schönlank.  o o o