Für unsere Kinder 141 Geruch muß immer untersucht werden, und ist er nicht nur neu. sondern auch anziehend. so bleibt für Mieze nur ein Weg übrig. Er führte sie zu den Docks hin und dann hinaus auf die Werft, von jeder Deckung außer der durch die Dunkelheit fort. Ein plötzliches Ge räusch, ein Gebell und Getrappel brachte ihr im nächsten Moment zum Bewußtsein, daß ihr alter Feind, der Wcrsthund, ihr den WeL abgeschnitten hatte. Es blieb ihr nur eine Möglichkeit des Entkommens übrig. Von der Werft sprang sie auf das Fahrzeug, von dem der Geruch kam. Auf diesem Wege konnte der Hund nicht folgen, und als daher das Fischer boot   am nächsten Morgen absegelte, ging Mieze als unfreiwilliger und blinder Passa gier mit und ward nicht mehr gesehen. II. DaS junge Kätzchen wartete vergebens auf seine Mutter. Der Morgen kam und verging; der Hunger meldete sich, und gegen Abend trieb ein unwiderstehlicher Instinkt die Ver waiste, nach Nahrung auszugehen. Sie kroch aus der alten Kiste, schlich geräuschlos zwischen dem alten Gerumpel vorwärts, roch an allem, was eßbar zu sein schien, fand aber nichts Genießbares. Schließlich kam sie an die Holztreppe, die hinunter zu Jap   Malees Vogelhandlung im Kellergeschoß   führte. Die Tür stand ein wenig offen, und sie schritt verwundert in eine Welt voll starker, merkwürdiger Gerüche und voll lebender Wesen, die sich ringsherum in Käfigen befanden. Ein Neger, der untätig auf einer Kiste in der Ecke saß, sah den kleinen Fremd ling eintreten und folgte ihm neugierig mit den Blicken. Miezchen kam bei ein paar Ka ninchen vorbei, die es nicht beachteten. Es ge langte darauf zu einem Fuchskäfig mit weiten Gitterstäben. Der Herr im roten Frack befand sich in der äußersten Ecke. Jetzt kroch er leise mit glühenden Augen näher. Schnüffelnd wanderte das Kätzchen bis zu dem Gitter, steckte sein Köpfchen hinein, schnüffelte wieder und wandte sich dem Futternapf zu, wurde aber im Moment von dem schleichenden Fuchs gepackt. Ein entsetztesMiau" ließ sich hören, aber ein einziges Schütteln schnitt den kläg lichen Ton ab und hätte Miezchens zähem Leben mit einmal ein Ende gemacht, wäre nicht der Neger als Retter erschienen. Er hatte leine Waffe, konnte auch nicht in den Käfig hinein, aber er spie so energisch und mit solcher Fülle dem Fuchs ins Gesicht daß dieser das Kätzchen fallen ließ und in seinen Winkel zurückkehrte, wo er mit blinzelnden, Furcht und Bosheit ausdrückenden Augen sitzenblieb. Der Neger zog das Kätzchen heraus. Das unsanfte Schütteln des Raub tieres hatte es anscheinend betäubt, ihm jeden falls viele Schmerzen gespart; es schien un verletzt, nur benommen zu sein. Eine Zeitlang drehte es sich sinnlos im Kreise herum, dann erholte es sich allmählich, und nach ein paar Minuten schnurrte eS auf dem Schoß des Schwarzen, ohne sich durch die Rückkehr Jap  Malees, des Bogelhändlers, irgendwie stören zu lassen. Jap   war kein Orientale, er war ein wasch echtes Londoner   Kind, das erst ein Jahrzehnt New Jork durch seine Anwesenheit bereicherte, aber seine Augen bildeten so kleine, bescheidene Schlitze quer über seiner runden, flachen Ge sichtsscheibe, daß sein Zuname völlig verdrängt worden war von dem sehr zutreffenden Spitz namen ,Jap  "(aner). Gegen die Vögel unv Säugetiere, deren Verkauf ihm seinen Lebens unterhalt verschassen sollte, war er nicht be sonders unfreundlich, aber sein Hauptziel schwebte ihm immer vor Augen; und er wußte genau, was er wollte, und darunter auch, daß er hungrige Kätzchen nicht brauchen konnte. So gab der Neger der Verirrten so viel zu fressen, als sie irgend zu sich nehmen konnte. trug sie dann zu einem abliegenden Häuser block und warf sie dort in einen Hof, wo außer einem Müllhaufen altes Eisen und sonstiges Gerumpel lag. III. Eine volle Mahlzeit ist alleS, was man in zwei, drei Tagen nötig hat, und unter dem Einfluß der so aufgespeicherten Wärme und Kraft fühlten sich Miezchen? Lebensgeister höchst angeregt. Sie schritt um die Haufen alten Eisens und sonstigen Krams herum und warf neugierige Blicke auf die Kanarienvogel käsige, die weitab hoch oben an den Fenstern der umliegenden Häuser herabhingen. Sie lugte wißbegierig über die Zaunwände, bemerkle einen großen Hund, kroch lautlos wieder hin unter, machte ein geschütztes Plätzchen im vollen Sonnenschein ausfindig, legte sich hin und schlief eine Stunde lang. Ein leises Fauchen weckte sie, und vor ihr stand eine große schwarze Katze mit glühenden grünen Augen, dem starken Nacken und den viereckigen Kinnbacken, die den Kater kennzeichnen; eine Narbe lief über sein Gesicht, und sein linkes