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Für unsere Kinder

oder Mann am Orte wäre es auch nur im einer Differenz", die gerade durch diesen Traum eingefallen, einen Stein nach der Kaze von königlichem Geblüt zu werfen. Auch hatte ste zur Nahrung, soviel sie sich nur wünschen fonnte. Dennoch fühlte sie sich nicht glücklich. Sie sehnte sich nach vielem, sie wußte selbst nicht wonach. Alles hatte sie, ja, aber doch nicht das, was sie wünschte. Reichlich zu essen und zu trinken, ja, aber die Milch schmeckt nicht so gut, wenn man nach Belieben gehen und aus einer Untertasse trinken kann, soviel man will; man muß sie sich aus einer Blech­tanne stehlen, wenn man Durst und Hunger im Leibe nagen fühlt, oder es fehlt das Beste daran, es ist nicht Milch.

Ja, es gab in der Tat einen Abfall und Müllhof hinter dem Hause und ebenso einen Hof daneben und ringsherum, und noch dazu einen sehr geräumigen, aber der war überall verunreinigt und schimpfiert von Rosen. Selbst die Pferde und Hunde hatten hier nicht den rechten Geruch; das ganze Land ringsum war eine abstoßende Wüste widerwärtiger Gärten und Graswiefen ohne Leben, ohne eine einzige Mietwohnung oder einen Schornstein in der Nähe. Wie ihr das alles verhaßt war! Es gab nur ein einziges füßduftendes Gesträuch an dem ganzen entsetzlichen Platz, und das stand in einem verachteten Winkel. Es war für sie ein Vergnügen, daran zu knabbern und sich in den Blättern zu wälzen; es war ein lichter Punkt in dem trüben Bilde, aber der einzige, denn seit ihrer Ankunft hatte sie noch feinen angegangenen Fischkopf gefunden oder einen echten Müllkasten zu Gesicht bekommen, und alles in allem war es der häßlichste, un­angenehmste und schlechtestriechende Fleck, den fie je kennen gelernt hatte. Sicher wäre sie schon in der allerersten Nacht auf und davon gegangen, hätte sie es tun können. Später fonnte sie es, aber inzwischen hatte sich ihre Anhänglichkeit an die Köchin entwickelt und bildete ein Band, das sie festhielt. Eines Tages aber der Sommer war schon zu Ende traf vieles zusammen, ihren Instinkt für das freie Leben wieder kräftig zu wecken.

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Ein mächtiger Ballen, der in den Docks ge­lagert hatte, tam in das Landhaus. Was er enthielt, war ohne Belang, aber er hatte eine Menge höchst pikanter und anziehender Dock­und Hinterhofgerüche an sich. Sicher liegt der Sitz der Erinnerung in der Nase, und so wurs den die Geister aus Miezes Vergangenheit ihr mit Gewalt vor die Seele gezaubert. Am nächsten Morgen zog die Köchin ab infolge

Ballen heraufbeschworen war. Das hieß die Kabel abschneiden, und dazu band am selben Abend der jüngste Sohn des Hauses, ein ent­fetzlicher kleiner Amerikaner, dem jeder Sinn für majestätische Hoheit abging, eine Blechdose an den Schwanz der Blaublütigen, zweifellos in Verfolg eines altruistischen Planes; Mieze aber antwortete auf diese Freiheit Jung­Ameritas mit einer Pfote, die für diesen Fall mit fünf Fischhaten ausgestattet war. Das Geheul des mißhandelten Amerika   brachte Amerikas   Mutter auf die Beine. Der blinde Wurf eines Buches durch Frauenhand ver fehlte natürlich sein Ziel und Mieze wandte sich zur Flucht, natürlich zur Treppe hinauf. Wird eine Ratte gejagt, so läuft sie die Treppe hinunter, ein Hund läuft in der Ebene fort, die Katze aber nach oben. Mieze versteckte sich im Dachstock so gut, daß man sie nicht auf­fand, und wartete die Nacht ab. Dann schlich sie die Treppe hinab, versuchte so lange an allen Moskito- Türen, bis sie eine nicht ge­schlossen fand, und floh in die schwarze August­nacht hinaus. Pechschwarz für Menschenaugen, war sie für unsere Kazze nur grau. So fand sie unschwer ihren Weg durch die widerwärti gen Sträucher und Blumenbeete, knabberte zum letztenmal an ihrem einzigen Lieblings­strauch und trat unverzagt den Rückweg auf der im Frühjahr verfolgten Reiseroute an.

Wie konnte sie denn auf einem Wege zurück­tehren, den sie niemals gesehen hatte? Alle Tiere haben mehr oder weniger einen Rich­tungssinn. Er ist beim Menschen sehr schwach, beim Pferde sehr stark entwickelt, und Katzen haben auch ein reichliches Teil von dieser Gabe empfangen. Dieser geheimnisvolle Wegweiser führte sie westwärts, nicht klar und bestimmt, sondern nur als ganz allgemeiner Trieb, der einfach deshalb ein zuverlässiger Führer war, weil sich der Weg leicht verfolgen ließ. In einer Stunde hatte sie zweieinhalb Kilometer zurückgelegt und den Hudson erreicht. Dabei hatte ihr ihre Nase oft genug die Richtigkeit des Weges bestätigt. Ein Geruch nach dem andern kam ihr wieder, genau wie ein Mensch, der eine Strecke in einer fremden Straße ge­wandert ist, sich vielleicht auf keinen einzelnen Zug des Straßenbildes besinnt, aber sich daran erinnert, wenn er es wiedersieht: Ja ja, das habe ich schon einmal gesehen." So war Miezes Hauptführer der Richtungssinn, aber die Nase machte sie sicher: Ja, jetzt hast du recht, hier sind wir im letzten Frühjahr durchgekommen."