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gar nicht in Betracht. Die Fürsorge für das Wohl der Arbeiter und Arbeiterinnen ist meist nur ein mit allerlei Stinkerlischen ver­brämtes Mäntelchen, in welches sich die selbstsüchtigste Fürsorge für die Interessen der Unternehmer hüllt. Bevormundung der Arbeiter und Arbeiterinnen, Unterwerfung derselben unter Inter­essen und Launen ihrer Arbeitsherren, Trübung und Verdunklung ihres Klassenbewußtseins, damit sie nicht als Klasse geeint für ihre nächsten und ferneren Interessen in den Kampf treten, das sind die Leitmotive, die uns immer und immer wieder aus der Arbeiter­freundlichkeit der Besißenden und Herrschenden entgegenklingen.

Unter dem Vorwande der Arbeiterfreundlichkeit maßt sich der " philanthropische" Kapitalist an, seine Arbeiter und Arbeiterinnen zu behandeln wie unmündige Kinder, welche der Erziehung, Auf­sicht, patriarchalischer Bevormundung bedürfen. Abgesehen von anderen Anlässen bieten ihm sogenannte Unterhaltungs- und Be­lehrungsabende Gelegenheit, auch außerhalb der Fabriksäle und Werkstätten in den farg bemessenen Feierstunden in ihr Leben ein­zugreifen, ihnen die Vergnügungen vorzuschreiben, welche sie ge­nießen dürfen, ihnen die geistige Koft zu vermitteln, die er, ihr Herr und Gebieter, als für sie geeignet erachtet. Arbeitern und Arbeiterinnen wird hier nicht ein Trunk gereicht aus dem lebendigen Born des Wissens, dessen sie nicht entrathen fönnen, um sich über ihre Lage, über Welt und Gesellschaft klar zu werden, um die Ketten des Aberglaubens auf jedem Gebiet abzuschütteln und sich zu geistig freien Persönlichkeiten zu entwickeln, welche ihre Be­freiung zu erfämpfen vermögen. Die arbeiterfreundlichen" Be­lehrungsabende zielen in der Regel darauf ab, den Geist der männlichen und weiblichen Proletarier derart zu drillen, daß sich dieselben in blinder Unterwürfigfeit der kapitalistischen   Ausbeutung fügen, sie als eine ewig begründete, sittlich gerechtfertigte Thatsache in stumpfer Ergebung hinnehmen. Ihr Ideal ist nicht die Bild­ung allseitig entwickelter Menschen, sondern das Heranzüchten sich geduldig scheerenlassender Schafe.

wohnungen, Konsumvereinen 2c. angelegten Kapitalien sich fast ausnahmslos sehr gut und vor Allem sehr sicher verzinsen. Wie man sieht, füllt die Arbeiterfreundlichkeit dem Unternehmer rechts und links die Taschen.

Besonders schäßenswerth sind jedoch die Arbeiterwohlfahrts­einrichtungen der Bourgeoisie als Mittel, die Klassengegensäge zwischen Besißenden und Nichtbefizenden zu verkleistern. Nicht etwa zu beseitigen, davor behüte der Himmel! Ist diese Be­seitigung ja nur denkbar, nachdem das Proletariat sich wirthschaft­lich vom Joche des Kapitals befreit hat, und in diesem Fall ade Entbehrungslohn! ade Profit! Aber diese Klassengegensäge zu verkleistern, das erscheint der Unternehmersippe gar räthlich und nüglich, besonders in den letzten Zeiten, wo sich Arbeiter und Ar­beiterinnen mehr und mehr der Klassengegensäße bewußt werden und auf dem Boden des Klassenkampfes deren Beseitigung und damit ihre Befreiung anstreben. Das Lied von dem guten Herzen der in Arbeiterfreundlichkeit schwelgenden Kapitalisten, von der idyllischen Harmonie zwischen ihren Interessen und denen der Ar­beiter soll die Rolle des Eiapopeia's spielen, mit welchem der greinende große Lümmel," die werkthätige Masse eingelullt wird, so daß sie auf den Kampf für ihr gutes Recht verzichtet. Die Entwicklung des Klassenbewußtseins zu hintertreiben, das Eintreten der Proletarier und Proletarierinnen in den Klassenkampf zu hindern, das ist der Hauptzweck des arbeiterfreundlichen Humbugs.

Die Väter der Wohlfahrtseinrichtungen und ihre Barnums posaunen allerdings mit vollen Backen in die Welt hinaus, daß die Bourgeoisie eigens ihr gutes Herz entdeckte, um durch Hebung des wirthschaftlichen, geistigen und sittlichen Wohls des Prole­tariats dessen aufsteigende Klassenentwicklung" zu fördern. In Wirklichkeit ist das betreffende Gerede eitel Flunkerei. Gerade das Gegentheil ist der Fall. Die Wohlfahrtseinrichtungen, von den oben gekennzeichneten Ausnahmen abgesehen, zielen gerade darauf ab, diese aufsteigende Klassenentwicklung zu hintertreiben. Die Hebung der Klassenlage des Proletariats wie seine endgiltige Befreiung vollzieht sich im Gegensatz zu den Interessen der Kapi­talisten. Die eine wie der andere wird deshalb der Arbeiterklasse nicht als die reife Frucht des Wohlwollens der Bourgeoisie in den Schooß fallen, sie muß vielmehr nur das Werk der Ar­beiterklasse selbst sein." Diese vermag aber die ihr obliegende Aufgabe nur zu erfüllen, wenn sie zum Klassenbewußtsein erwacht, zum Klassenkampf geschult und erzogen ist.

Billige Wohnungen, Konsumvereine und andere Wohlfahrts­einrichtungen, welche den Proletariern angeblich materielle Vortheile gewähren, sind gewöhnlich ein heuchlerisches Mittel, sie an die Scholle zu fesseln, sie an Händen und Füßen gebunden, den ,, arbeiterfreundlichen" Kapitalisten auszuliefern, ihre Bestrebungen für Lohnerhöhung, Verkürzung der Arbeitszeit, Einführung besserer Arbeitsverhältnisse lahm zu legen. Die Fälle sind nicht mehr zu zählen, wo bei Streits die Inhaber billiger Arbeiterwohnungen von heut auf morgen aus ihrem Heim getrieben, im buchstäblichen Sinne des Wortes auf die Straße geworfen wurden. Als im vergangenen Jahre die Kohlengräber des Pas de Calais  ( Frank­ reich  ) in Ausstand traten, da bestand eine der ersten Maßregeln zur Unterwerfung der Streifenden darin, daß die den Aktiengesellsprochenen Zweck ins Leben gerufen werden, sozusagen als Gegen­schaften gehörenden Arbeiterwohnungen" gekündigt wurden, daß der aus purer Arbeiterfreundlichkeit gegründete Konsumverein den Ausständigen keine Waaren verabfolgte.

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Außerdem verstehen es die Herren Kapitalisten trefflich, grade bezüglich ihres schönen Eifers, dem Arbeiter billige Wohnung, billige Bedarfsartikel zu verschaffen, das Angenehme mit dem Nüz­lichen zu vereinen. Das nämliche Mittel, das ihnen eine beispiel­lose Knechtung ihrer Lohnsflaven, deren ruhige und gesicherte Aus­beutung ermöglicht, erlaubt ihnen noch, die Arbeitskraft derselben zu recht billigen Preisen zu kaufen. Den billigen Wohnungen Den billigen Wohnungen und billigen Gebrauchsartikeln entsprechen in der Regel sehr niedrige Löhne. Die Grundlage für die Höhe des Lohnes bildet der Werth der Arbeitskraft, der bestimmt wird durch die durchschnittlichen üblichen Erhaltungskosten des Arbeiters und seiner Familie. Die ,, arbeiterfreundliche" Verbilligung von Wohnung und Lebensmitteln setzt sich meist in eine sehr kapitaliſtenfreundliche" Verbilligung der Arbeitskraft um. Doch damit nicht genug; der Arbeiter ist ein unerschöpflicheres Ausbeutungsobjekt als alle Goldgruben Kali­ forniens   und Diamantminen Afrikas  . Ist er mit Hilfe von ,, Wohlfahrtseinrichtungen" als Produzent, als werkthätiger Er­zeuger von Werthen nach allen Regeln der Kunst behaglich aus­gebeutet worden, so muß er Dank derselben auch noch als Kon­sument, als Verzehrer den arbeiterfreundlichen Kapitalisten be­reichern. Es ist eine bekannte Thatsache, daß die in Arbeiter­

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Wie wenig es dem Unternehmerthum bei seinen Wohlfahrts­einrichtungen im Ernst um die aufsteigende Klassenentwicklung" des Proletariats zu thun ist, das erhellt flipp und klar aus der Thatsache, daß dieselben fast stets und überall zu dem ausge­

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gift gegen die Arbeiterbewegung zu wirken, welche doch eben diese aufsteigende Klassenentwicklung für alle Proletarier erstrebt. Während die Besigenden und Herrschenden mit der einen Hand die Praris der Wohlfahrtseinrichtungen üben, üben sie mit der anderen Hand und zwar emfiger und fleißiger als mit ersterer- alle Nücken und Tücken, welche die Bestrebungen lahm zu legen geeignet er= scheinen, auf Grund deren sich Arbeiter und Arbeiterinnen aus eigener Kraft, vom Geist der Klassensolidarität erfüllt, nach auf­wärts zu entwickeln suchen. Auf der einen Seite heuchlerische Arbeiterfreundlichkeit und fein Ende, auf der anderen Seite brutale Vergewaltigung der Arbeiter und kein Ende, Leugnung ihres Anspruchs auf soziale Gleichberechtigung, Illusorischmachung des Koalitions- und des Wahlrechtes, d. h. Entziehung der wichtigsten Waffen, die dem Proletariat in dem Kampfe für seine Entwick­lung zur Verfügung stehen. Charakteristisch in der Beziehung ist, daß gerade die Leute, welche am eifrigsten und marktschreierischsten in Arbeiterfreundlichkeit machen, oft gerade diejenigen sind, welche ihren Arbeitern und Arbeiterinnen mit der Selbstherrlichkeit asiati­scher Despoten entgegentreten, jede Spur von Selbständigkeit bei denselben mit eiserner Faust darniederhalten, ihnen die freie Aus­übung des gesetzlich gewährleisteten Koalitions- und Wahlrechts unmöglich machen.

Es hieße geflickte Schienen nach Bochum   tragen, wollte man die klassenbewußten Arbeiter noch über die wahre Natur der Arbeiter­