Nr. 15 der ,, Gleichheit" gelangt am 27. Juli 1892 zur Ausgabe.

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1880 durch die Amnestie den Bruder zurück, mit ihm nebst vielen anderen Freunden Louise Michel  . Eine tiefe, innige Freundschaft und die leidenschaftliche Hingebung für gemeinsame Ideale verband die beiden edlen, hochherzigen Frauen miteinander. Louise Michel  hat ihre Memoiren" der Freundin gewidmet, von der sie daselbst wiederholt voll Bewunderung und Sympathie spricht.

sich kaum auf den Füßen haltend, kleidete sich Marie an. Muth,| Etliche Jahre nach dem entsetzlichen Drama erhielt sie den Vater, Mutter, mache Dir keine Sorge um mich," sagte sie gefaßt, ich werde stark sein. Meine Verhaftung hat nichts zu bedeuten, man muß mich freilassen." Und als sie sah, daß im Innern der Mutter ein furchtbarer Kampf tobte, daß diese unschlüssig war, ob sie das Leben des Sohnes um den Preis des Lebens der Tochter retten solle, da rief das junge Mädchen mit flehender Stimme noch von der Thür aus zurück: Schweig', Mutter, schweig'!"

Zuviel des Unglücks war auf Frau Ferré eingestürmt; während sich die Soldaten anschickten, ihre Tochter fortzuführen, stürzte sie von einer heftigen Nervenkrisis ergriffen zu Boden. Ihre Ge­danken verwirrten sich, in ihrer Bewußtlosigkeit entschlüpften ihr unzusammenhängende Säße, welche die umstehenden Soldaten auf­fingen. Schließlich stammelte sie mehrmals den Namen einer Straße, der Rue Saint- Sauveur. Eine Abtheilung Soldaten beobachtete das Ferré'sche Haus, eine andere eilte nach der Nue Saint- Sauveur, umstellte dieselbe und durchstöberte alle Häuser. Théophile Ferré   ward gefunden, verhaftet und etliche Monate später zum Tode verurtheilt.

Als Marie acht Tage nach der furchtbaren Szene in Frei­heit gesetzt ward, fand sie das väterliche Haus leer. Ihre Mutter war wahnsinnig geworden und befand sich in der Irrenanstalt St. Anne, wo sie bald ihren Leiden erlag. Der Vater und beide Brüder schmachteten in den scheußlichen Kasematten.

Kaum 20 Jahre alt, war Marie nun auf sich selbst an= gewiesen. Anstatt sich müssiger Verzweiflung zu überlassen, ging sie tapfer daran, Arbeit zu suchen, ein zu der Zeit für sie sehr schweres Beginnen, weil die Verwandten der Kommunekämpfer theils aus Haß, theils aus Furcht wie Aussäßige gemieden oder auch wie Verbrecher betrachtet wurden. Endlich erhielt sie Be­schäftigung. Mit stoischer Ruhe arbeitete sie des Tags, arbeitete sie des Nachts, arbeitete sie an Sonn- und Feiertagen. Sie darbte sich den Bissen vom Munde ab, um mit dem größten Theil ihres Verdienstes den Vater und die Brüder zu unterstüßen, die, wie alle Gefangenen der Versailler, nicht nur schmachvoll behandelt wurden, sondern auch bitteren Mangel leiden mußten. Freunde boten ihr Hilfe an, sie wies dieselbe stolz zurück: Sie wolle mit Niemand die Ehre theilen, ihre Pflicht als Schwester und Tochter zu erfüllen." So oft es nur möglich war, besuchte sie ihre Lieben; dem Willen Théophiles gemäß begab sie sich auch nach Ver­ sailles  , um dessen Leiche er wurde bekanntlich am 28. Nov. 1871 auf der Hochebene von Satory erschossen und starb mit dem Muthe eines antifen Helden in Empfang zu nehmen und zu bestatten. Louise Michel  , die an jenem Tag aus einem Gefäng= niß in ein anderes übergeführt ward, und die das junge Mädchen sah, erzählt, daß Marie im Tode nicht bleicher und fälter ge­wesen, als damals, wo sie dem Bruder den letzten Liebesdienst erwies. Ihr Vater ward zu mehrjährigem Gefängniß, der noch lebende Bruder zur Deportation verurtheilt.

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Marie beschränkte ihre Sympathie und Hilfe nicht blos auf ihre Angehörigen. Sie suchte die Leiden Aller zu lindern, die an der Kommune theilgenommen hatten. Stets hatte sie ein lieb­reiches, ermuthigendes Wort, eine kleine Gabe für Die bereit, welche des Trostes oder der Unterstüßung bedurften. Von den Versailler   Gefangenen, von Freunden, die in Paris   glücklich den Nachstellungen der Ordnungsmänner entgangen waren, ward sie wie eine Heilige verehrt; ihr stilles Wesen, ihre stolze Energie, die Großherzigkeit ihres Charakters zwangen auch den Gegnern Bewunderung ab. Der Sache des Proletariats blieb Marie Ferré treu und leidenschaftlich ergeben. Sie war unermüdlich in der persönlichen Propaganda von Mund zu Mund und wirkte im Stillen dafür, daß sich wieder kleine revolutionäre Gruppen von Arbeitern zusammenschlossen. In edlem Selbstvergessen war ihr ganzes Thun darauf gerichtet, Anderen und vor Allem der Idee der Befreiung der Arbeiterklasse zu dienen. Die Energie, welche sie hierbei entwickelte, war um so bewunderungswürdiger, als sie seit dem Tage, wo der Bruder in die Hände der Versailler   fiel, und die Mutter wahnsinnig ward, beständig schwer leidend war. Die Aufregung jener furchtbaren Stunden hatte für sie ein Herz­leiden zur Folge gehabt, dem sie in langsamem Todeskampfe erlag.

Marie Ferré starb im Februar 1882, sie schloß ihre Augen mit einem Gefühl der Genugthuung. Die Idee, für welche Théo­phile gefallen, ihr anderer Bruder in der Deportation, ihr Vater im Gefängniß geschmachtet hatte, für die sie selbst unsägliches Leid getragen, sie hatte sich einem Phönir gleich wieder aus der Nieder­lage der Kommune erhoben. Die Befreiung des Proletariats durch das Proletariat, welche die Kommune erstrebt hatte, war zum Losungswort geworden, unter dem junge fräftige Arbeiterparteien nicht blos in Paris  , in Frankreich  , sondern in fast allen zivilisirten Ländern zum Ansturm gegen die alte kapitalistische Gesellschaft mar­schirten. Und alle Anzeichen sprachen dafür, daß dem kämpfenden Proletariat die Zukunft gehöre. So schied Marie Ferré aus dem Leben nicht mit dem Gefühl der Trauer um eine heldenkühne Niederlage der Idee, welcher sie gedient, vielmehr mit der stolzen Zuversicht eines gewissen Sieges derselben.

Kleine Nachrichten.

Verschiedene norddeutsche Eisenbahndirektionen haben bei den verheiratheten Bahnwärtern angefragt, ob ihre Ehefrauen bereits aus­hilfsweise Bahnwärterdienste verrichtet haben, und ob sie eventuell das Amt eines Bahnhilfswärters übernehmen wollen. Den Frauen ist für ihre Hilfsleistung ein Tagesverdienst von 70-90 Pfennig in Aus­sicht gestellt worden, sie sollen bei Tage, die Männer bei Nacht den Bahnwärterdienst versehen. Zweck der Neuerung ist natürlich zu sparen," auf Kosten der weiblichen Arbeitskraft höhere Profite aus den Bahnen herauszuschlagen. An der Altona  - Kieler Bahn haben sich eine Anzahl verheiratheter Bahnwärter und deren Frauen bereit erklärt, den Dienst in der vorgeschlagenen Weise zu verrichten.

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Nach der Magdeburger Volksstimme" ist die Lage der Ver­fäuferinnen dieser Stadt eine ungemein traurige. Die Arbeitszeit beträgt durchschnittlich mindestens 13 Stunden, in Zeiten flotten Ge­schäftsganges, so vor Ostern, Pfingsten, Weihnachten und Neujahr steigt dieselbe auf 15, 16 und 17 Stunden pro Tag. Die armen Mädchen werden dann körperlich und geistig so abgerackert, daß sie, nachdem sie den ihnen gestellten Anforderungen genügt, etliche Tage frank darniederliegen. Ihr Lohn, pardon Gehalt es handelt sich ja um Damen," nicht um Arbeiterinnen" ist ein so niedriger, daß die Verkäuferinnen, falls nicht Eltern oder Verwandten einen Zuschuß leisten, nur die Wahl haben zwischen einem langsamen Hunger­todte oder der Prostitution. Genau das Gleiche könnte von der Lage der Verkäuferinnen in Hunderten von Städten aller Länder berichtet werden. Allein wenn auch das Glend ihrer Lage dem betreffenden Mädchen die Zugehörigkeit zum Proletariat sozusagen mit Peitschen­hieben auf den Rücken schreibt, so steifen sich dieselben dennoch im Dünkel ihres ,, Damenthums" darauf, keine Proletarierinnen sein zu wollen. Wer nicht hören will, muß fühlen." Solange die Ver­käuferinnen nicht zum Bewußtsein ihrer Klassenlage als Proletarier­innen erwachen, zusammen mit ihren Schwestern, den Industrie­arbeiterinnen für eine Besserung ihrer Lage kämpfen und als ersten Schritt zu einer solchen als organisirte Macht ihre Unterstellung unter ein Arbeiterschutzgesetz fordern, solange werden sie auch zu den Aus­gebeutetsten der Ausgebeuteten zählen. Der Hut sammt Schleier und Glacehandschuhen kann über die Thatsache nicht hinwegtäuschen.

Aufforderung. Alle Parteigenossinnen, welche vom amerikanischen   Frauen­Komité Einladungen zur Betheiligung an der Chicagoer   Weltausstellung erhalten haben, werden gebeten, ihre Adresse an eine der Unterzeichneten zum Zweck gemeinsamer Besprechung einzusenden.

Ottilie Baader  , Berlin  , Weberstr. 24, Hof I. Emma Ihrer  , Velten bei Berlin  .

Natalie Liebknecht, Charlottenburg  , Kantstr. 160. zur Notiznahme. Die von Frau Greie New York   für dies Jahr zugesagte Agitationstour durch Deutschland   ist bis zum nächsten Jahr verschoben. Berlin  . Der Allgemeine Arbeiterinnen- Verein sämmtlicher Berufszweige Berlins   und Umgegend unternimmt am 17. Juli einen Ausflug nach dem Müggelschlößchen in Friedrichshagen   und ersucht um zahlreiche Bethei­ligung an demselben.

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Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Bettin( Eißner) in Stuttgart.  -

Drud und Verlag von J. H. w. Diez in Stuttgart  .