Nr. 25.

Die Gleichheit

2. Jahrgang.

Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Herausgegeben von Emma Ihrer   in Velken( Mark).

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr 2564 a) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Inseratenpreis die zweigespaltene Petitzeile 20 Pf.

Stuttgart  

Mittwoch, den 14. Dezember 1892.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

Halbheit über Halbheit.

I.

Wir bekennen es offen, daß wir bisher nicht viel von der bürgerlichen Frauenrechtelei im Allgemeinen und sogar herzlich wenig von der deutschen Frauenrechtelei im Besonderen gehalten haben. Allein troß unserer tief genug geschraubten Werthschäßung" der Letzteren hätten wir die Schiefheit und Oberflächlichkeit der Auf­fassung, die Halbheit der Schlußfolgerungen und Forderungen für unmöglich erachtet, welche eine viel berufene und gepriesene Vertreterin deutscher Frauenrechtelei jüngst zu Nutz und Frommen des weiblichen Geschlechts zum Besten gegeben hat.

Die Ausführungen, welche Frau Dr. juris Kempin in einem Ende Oktober in Dresden   gehaltenen Vortrag Ueber die Stellung der deutschen Frau im Recht" gemacht hat, haben in dieser Beziehung unsere kühnsten pessimistischen Erwartungen noch übertrumpft. Wohl enthielt der Vortrag im Einzelnen manches Richtige Binsenwahrheiten, welche zu dem eisernen Bestand des frauenrechtlerischen Rüstzeugs gehören. Allein als Ganzes ge= nommen sofern ein ziemlich ausführlicher Bericht in der Sächs. Arbeiterzeitung" genau ist giebt er ein typisches Beispiel da­für, wie ungeschichtlich phrasenhaft, wie einseitig und schablonen­haft, ausschließlich auf die kleine Minderheit der befizenden bürger­lichen Frauen zugeschnitten, die Frauenrechtlerinnen die Eman­zipationsfrage auffassen.

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Es ist an dieser Stelle unmöglich, uns ins Einzelne gehend mit den Darlegungen der Frau Kempin zu befassen. Wir greifen aus denselben nur die Punkte heraus, von denen wir meinen, daß sie bezeichnend sind für die ungeschichtliche Auffassung der Frauen­rechtlerinnen, sowie für die Einseitigkeit und Enge, mit anderen Worten für den Klassencharakter ihrer Forderungen.

Frau Kempin führte die Thatsache an, daß die altgermanische Frau zu den Zeiten des Tacitus   eine wesentlich höhere gesell­schaftliche Stellung eingenommen habe, als die Frau der Gegen­wart, und daß nach der Völkerwanderung das weibliche Geschlecht rechtloser und abhängiger geworden sei. In Anschluß an diese Thatsache behauptete sie, daß die Ursache der unterbürtigen Rechts­stellung der Frau in dem Umstande zu suchen sei, daß sich die andauernde kriegerische Thätigkeit des Mannes in den Vordergrund gedrängt habe gegenüber der friedlichen Beschäftigung der Frau im Hause."

Diese Ansicht ist unseres Erachtens durchaus falsch. Gerade die angeführte geschichtliche Thatsache selbst widerspricht ihr und zeigt ihre Unhaltbarkeit. In der That, wenn trat die andauernd triegerische Thätigkeit der alten Germanen mehr in den Vorder­grund, in der Zeit vor und während der Völkerwanderung oder nach derselben? Offenbar doch während der zuerst genannten Periode. Und doch nahm während derselben die altgermanische Frau eine wesentlich höhere gesellschaftliche Stellung ein als in den folgenden Jahrhunderten. Gerade als die Thätigkeit der alten Deutschen   weniger ausschließlich kriegerisch war, als dieselben zivili sirter wurden, sich friedlichen produktiven( Werthe schaffenden) Be­

Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit" sind zu richten an Fr. Klara Zetkin  ( Eißner), Stuttgart  , Nothebühl­Straße 147, IV. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

schäftigungen zuwandten, verschlechterte sich die gesellschaftliche und rechtliche Stellung der deutschen Frau.

Die geschichtlichen Forschungen Bachofen's und Morgan's haben dargethan, daß die Form der Familie verschiedentliche Wandlungen erfahren, daß vor der vaterrechtlichen die mutterrechtliche Familie eristirte, in welcher die Frau das Oberhaupt war. Zur Zeit des Mutterrechts nahm die Frau eine bevorzugte, herrschende Stellung in der Gesellschaft ein. Forschungen über die Lebensgewohnheiten und Gesellschaftsverhältnisse wilder Völker in Afrika   und auf den australischen Inseln haben den Beweis erbracht, daß die mutter­rechtliche Familie zum Theil hier noch besteht oder wenigstens vor nicht allzulanger Zeit durch die vaterrechtliche Familie verdrängt worden ist. In Vergangenheit und Gegenwart zeichnen sich durch hohen kriegerischen Sinn die Völkerstämme aus, bei denen das Mutterrecht herrschte, bezw. noch in Kraft steht. Gerade bei diesen Völkerstämmen und zu diesen Zeiten lebten die Männer einer an­dauernd kriegerischen Thätigkeit. Diese an und für sich ist also nicht Ursache der rechtlosen Stellung der Frau, sie vertrug sich sehr gut mit der friedlichen Beschäftigung der Frau im Hause und mit ihrer gesellschaftlichen Machtstellung. Mit mehr Grund könnte man noch behaupten, daß sich die Stellung der Frau verschlechterte, als der Mann nicht mehr ausschließlich seine Kräfte auf Jagd und Krieg verwendete, vielmehr friedlichen Beschäftigungen nach­ging, deren Früchte ihm in wirthschaftlicher Beziehung ein Ueber­gewicht über die Frau verliehen.

Engels hat in seiner meisterhaften Studie über Die Ent­wicklung der Familie, des Privateigenthums und des Staats" die Schlußfolgerungen für den gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß aus den oben erwähnten geschichtlichen und ethnographischen( völker­kundlichen) Forschungen gezogen. Seine geschichtlich fest gegründete, logisch scharfe und unanfechtbare Beweisführung wirft auch helles Licht auf die wahren Ursachen der gesellschaftlich unterbürtigen, rechtlosen Stellung des weiblichen Geschlechts. Dieselben sind zuerst und der Hauptsache nach wirthschaftlicher Natur.

Das weibliche Geschlecht ward rechtlich entmündigt, weil sich die wirthschaftlichen und Eigenthumsverhältnisse in der Gesellschaft verändert hatten, so daß die Frau wirthschaftlich enteignet und vom Mann abhängig gemacht worden war. Dieser Umschwung in ihrer Stellung konnte sich nur dadurch durchsetzen, daß an Stelle des früheren Kommunismus, bezw. des Kollektiv­befizes( Gemeinbesizes) der Familien das Privateigen­thum an den Produktionsmitteln trat. Denn nur der Privat­besitz an diesen machte die wirthschaftliche Abhängigkeit eines Menschen von einem andern Menschen möglich, damit auch die gesellschaft­liche und rechtliche Knechtung desselben. Nur dadurch, daß die für den Unterhalt der Familie nöthigen Produktionsmittel Privat­besiz des Mannes wurden, gerieth die Frau in wirthschaftliche Ab­hängigkeit von diesem. Die Rechtlosigkeit des weiblichen Geschlechts vor dem Gesetz mußte die unausbleibliche Folge sein von dem wirthschaftlichen Abhängigkeitsverhältniß der Frau vom Manne. Dieses aber hat, wie angedeutet, mit der friegerischen Thätigkeit des Mannes nichts zu thun. Wir werden gelegentlich in einem besonderen Artikel des Näheren auf die geschichtlichen Ursachen der rechtlosen Stellung des weiblichen Geschlechts eingehen.