folgende Punkte: 1. Die Nothwendigkeit eines Vorgehens der Konfettionsarbeiter und Situationsbericht der einzelnen Orte; 2. Aufstellung einheitlicher Forderungen; 3. Unterstützungsfrage; 4. Berathungen über den Zeitpunkt eines ev. Vorgehens. Die Verhandlungen entrollten ein Bild von der tieftraurigen Lage der Arbeiter und Arbeiterinnen, welche in der Konfektion für ein Unternehmerthum frohnden, das immer reicher und übermüthiger wird. Alle Delegirten berichteten von übermäßig langer Arbeitszeit und wahren Hungerlöhnen. Einstimmig wurde betont, daß die Heimarbeit und das sich mehr und mehr ausdehnende Schwitzsystem von ganz wesentlichem Einfluß auf die miserablen Erwerbsverhältnisse seien. Unsere mangelhafte sozialpolitische Gesetzgebung trage viel Schuld an den herrschenden Uebelständen, zu deren Milderung die Unterstellung der Hausindustrie unter die Fabrikgeseze erfolgen müsse. Die Konferenz nahm folgende Resolutionen an:
,, Die Konferenz hält für nöthig, daß eine rege Agitation unter den Konfektionsarbeitern und Arbeiterinnen in Angriff zu nehmen ist, damit so die Grundlage zu einem einheitlichen Vorgehen gegeben wird. Die Sondervereine verpflichten sich, als Gruppe dem Verband unter den statutarischen Bestimmungen beizutreten, um so auch in organisatorischer Weise ihre Solidarität zu bethätigen. Als nächste Forderung wird überall schon jetzt von den Unternehmern die Errichtung von Betriebswerkstätten verlangt, als nothwendige Vorbedingung des sozialen Fortschritts. Diese Forderung ist mit allen uns zu Gebote stehenden und gutdünkenden Mitteln zu vertreten.
Ferner: Die Konferenz wählt eine aus fünf Personen bestehende Kommission, welche die Aufgabe hat: 1. Allgemeine Forderungen aufzustellen, 2. die aufgestellten Forderungen den Kollegen an den verschiedenen Konfektionsplätzen zu unterbreiten und zugleich deren Wünsche entgegenzunehmen, 3. die Agitation unter den Konfektionsarbeitern beiderlei Geschlechts zu fördern, 4. Material zu einer Agitationsschrift entgegenzunehmen und zu sichten. Die Kommission steht unter Kontrolle des Hauptvorstandes und' werden alle Maßnahmen mit ihm gemeinschaftlich getroffen."
Als Grundlage der aufzustellenden Forderungen dienen folgende Punkte: 1. Aufstellung von Lohntarifen und Aushängung derselben, 2. Anerkennung von Schiedskommissionen, die über alle entstehenden Streitfragen zu entscheiden haben, 3. anständige Behandlung der Arbeiter und Arbeiterinnen, 4. Schnellste Abfertigung beim Abliefern der Arbeiten, 6. Errichtung von Betriebswerkstätten. Als Sitz der Kommission wurde Berlin bestimmt.
In einem großen Lehnstuhl sikend oder mehr liegend, die Beine mit einer Decke eingehüllt, die Arme auf die Seitenlehnen seines Sizes aufgelehnt, so daß die Hände, schmale, blutleere, leblose Hände, hinunterhingen, erwartete mein Onkel den Tod mit der Würde eines biblischen Patriarchen. Ein weißer Vollbart fiel auf seine Brust nieder, und die gleichfalls schneeweißen Haare reichten bis dorthin, wo der Bart anfing.
Hinter seinem Lehnstuhl, wie um ihn gegen mich zu vertheidigen, standen zwei junge Frauen, zwei üppige Dämchen, welche mich mit den tecken Blicken von Dirnen anblißten. Mit dem Schlafrock bekleidet, die Arme entblößt, das schwarze Haar im Nacken zwanglos zusammengedreht, an den Füßen türkische, goldgestickte Pantoffeln, welche die Knöchel und die seidenen Strümpfe sehen ließen, glichen sie neben dem Sterbenden allegorischen Figuren, welche in einem Gemälde die Sittenlosigkeit verförpern sollten. Zwischen dem Lehnstuhl und dem Bett stand ein gedecktes Tischchen; zwei Teller, zwei Gläser, zwei Bestecke warteten auf die Omelette mit Käse, die soeben bei Melanie bestellt worden war. Mein Onkel sagte mit schwacher, tonloser, aber klarer Stimme:
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Guten Tag, mein Kind. Dein Besuch kommt spät. Unsere Bekanntschaft wird keine lange sein."
,, Es ist nicht meine Schuld, mein Onkel", stotterte ich hervor. Er antwortete:„ Nein. Ich weiß es. Es ist mehr die Schuld Deines Vaters und Deiner Mutter, als die Deinige.... Wie geht es ihnen?"
,, Nicht schlecht, danke. Als sie hörten, daß Du frank seieſt, haben sie mich hierher geschickt, um mich nach Deinem Befinden zu erkundigen."
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Altenburg . Der seit mehr als zwei Jahren hier bestehende Bildungsverein für Frauen und Mädchen hielt am 9. Januar seine jährliche Generalversammlung ab. Der zahlreiche Besuch der Versammlung zeugte davon, welch reges Interesse die proletarischen Frauen unserer Stadt an der Entwicklung und dem Gedeihen der Organisation nehmen, die sich ihre Aufklärung angelegen sein läßt. Der Thätigkeits- wie der Kassenbericht gaben ein befriedigendes Bild von dem Stand des Vereins. Der bisherige Vorstand hat die Organisationsgeschäfte zur vollsten Zufriedenheit der Mitglieder geführt, so daß erste und zweite Vorsitzende, Kassirerin und Schriftführerin mit großer Majorität wiedergewählt wurden. Die Aemter der Revisorinnen und Beisitzerinnen wurden neu besetzt, damit immer mehr Genossinnen mit der Erledigung der Vereinsangelegenheiten vertraut werden. Die Organisation wird sich auch künftighin mit allem Eifer und aller Energie angelegen sein lassen, ihren Aufgaben in treuester Pflichterfüllung gerecht zu werden. Unablässig und opferfreudig werden ihre Mitglieder wie bisher dafür wirken, daß immer größere Kreise der werkthätigen Frauenwelt Altenburgs über ihre Interessen und Pflichten Aufklärung erhalten und mit ihren männ lichen Klassengenossen zusammen um das Banner der Sozialdemokratie geschaart den guten Kampf kämpfen für die Befreiung des Proletariats, für die Gesellschaft der Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit. E. B.
Behördliche Findigkeit und Schneidigkeit im Kampfe mit den proletarischen Frauen. Mit der strebsamen Pflichttreue, welche dem deutschen Beamtenthum in den Augen der durch Besitz und Bildung einflußreichen Kreise so wohl ansteht, haben die westfälischen Behörden der Agitationstour der Genossin Löwenherz die sorgfältigste Aufmerksamkeit geschenkt. Den in anderen Orten vorausgegangenen Versammlungsverboten reihte sich zu Neujahr das in Unna an. Mit den Behörden eignenden Scharfsinn hatte die Polizei erkannt, daß das Agitationskomite zu Dortmund ein politischer Verein sei. Und da besagtes Komite, pardon besagter Verein, die Volksversammlung in Unna einberufen hatte, so war es doch klar, klarer, am flarsten, daß die betreffende politische Vereinsversammlung" für Männer und Frauen nicht stattfinden durfte. Die Unnaer Genossen meldeten nun sofort eine neue Versammlung an, in der Genosse Lehmann referiren sollte. Aus dieser gut besuchten Versammlung wurden die Frauen und Genossin Löwenherz ausgewiesen, denn es handelte sich immer noch um eine Versammlung, die von dem staatsrettenden politischen Verein" einberufen war. Die Polizei ist flug und weise, sie betrügt man nicht". Die Versammlung protestirte gegen die Aus
" Ah! Und warum sind sie nicht selbst gekommen?" Ich blickte nach den beiden Dirnen hin und sagte leise:„ Es ist nicht ihre Schuld, daß sie nicht kommen konnten. Aber es würde für meinen Vater schwer und für meine Mutter unmöglich sein, das Zimmer zu betreten."
Der Greis antwortete nichts, er hob nur seine Hand und suchte die meinige. Ich ergriff die blutleere, farblose und kalte Hand und behielt sie.
Die Thür ging auf: Melanie kam mit der Omelette herein und stellte sie auf den Tisch. Die beiden Dämchen setzten sich sofort vor ihre Teller und fingen an zu essen, ohne ihre Blicke einen Augenblick von mir zu wenden.
"
„ Mein Onkel", sagte ich, es würde für Mama eine große Freude sein, Dich umarmen zu können." Er murmelte:
Er vollendete den Satz nicht.
Ich auch.... ich möchte sie.....
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Es fiel mir kein Vorschlag ein, den ich ihm machen konnte, und so hörte man nichts als das Geklapper der Gabeln auf dem Porzellan und die leichten Bewegungen von Kinnladen, welche fauen.
Dem Abbé, welcher hinter der Thüre lauschte, war unsere Verwirrung nicht entgangen, und da er das Spiel gewonnen glaubte, hielt er den Moment für günstig, um seinerseits einzugreifen. Er trat herein. Mein Onkel war von seiner Erscheinung so verblüfft, daß er einen Augenblick regungslos da saß; dann öffnete er den Mund, als ob er den Geistlichen verschlingen wollte und rief mit starker, tiefer, wüthender Stimme:
Was haben Sie hier zu schaffen?"
Der an schwierige Situationen gewöhnte Abbé fam näher und flüsterte:
„ Ich komme im Namen Ihrer Frau Schwester, Herr Marquis. Sie schickt mich.... Sie würde so glücklich sein, Herr Marquis, wenn..."