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ist allgemein, selbstverständlich sind es nur die Proletarierkinder, die zur Arbeit und zum Erwerb heran müssen. Besonders müssen die Mädchen, kaum daß ihre Schulstunden beendet sind, auf Arbeit gehen oder zu Hause schaffen. Ihre Thätigkeit besteht in Garn spulen, Waare nähen, Maschen fangen, Röcke und Korsettschoner anhäkeln 2c. In vorgerückterem Alter erlernen sie die Rahmenarbeit( die Herstellung von Möbelfransen, Schulterkragen 2c.). Der Verdienst dieser Kinder für ihre Arbeitsleistung pro Woche hin und wieder die Sonntage einbegriffen, an denen wie Werktags geschafft werden muß schwankt zwischen 50 Pfennige und 2,50 Mark ohne Kost. Als wöchent licher Durchschnittsverdienst gilt 1,50 Mart. Die Verwirklichung unserer Forderung, Abschaffung der Kinderarbeit, wäre in der Apoldaer Textilindustrie dringend geboten. Die Versuche, eine Einschränkung der Kinderarbeit herbeizuführen, scheitern zum Theil an dem Widerstand der Eltern selbst. In Folge des eigenen spottniedrigen Verdienstes hat sich bei ihnen die Ueberzeugung eingebürgert, daß die Kinder Geld mit verdienen müssen, wie sie selbst in ihrer Jugend gezwungen waren, das Einkommen der Eltern vermehren zu helfen. Betreffs der Beseitigung der Kinderarbeit kann nur ein Gesetz Remedur schaffen. Desgleichen würde eine wesentliche Besserung der Arbeitsbedingungen erfolgen, wenn man die Hausindustrie endlich unter die Arbeiterschutzgesetzgebung und die Fabrikinspektion stellen wollte. So kläglich im Allgemeinen am Orte die Arbeitsbedingungen sind, so groß ist die dumpfsinnige Ergebung, mit der das Elend getragen wird. Mit bleiernem Drucke lastet es auf vielen Tausenden und läßt das selbstständige Denken, die Erkenntniß der Noth und das Bewußtsein der Pflicht, für Beseitigung der schreiendsten Mißstände zu kämpfen, nicht aufkommen. Viele Arbeiter und noch mehr Arbeiterinnen wissen es nicht besser, als daß sie nur leben, um zu arbeiten; fern liegt ihnen die Ueberzeugung, daß sie arbeiten sollen, um leben und zwar menschenwürdig leben zu können.
Es entspricht nur diesem äußerst traurigen Stande der Dinge, daß die örtliche Filiale des Textilarbeiterverbandes nicht mehr als 100 männliche und 10 weibliche Mitglieder zählt. Und das bei un gefähr 5000 männlichen und 7000 weiblichen Arbeitern, die Zahl der Proletarier inbegriffen, die von den benachbarten Dörfern nach Apolda zur Arbeit kommen! Der Lokalorganisation der sozialdemokratischen Partei gehören 20 Genossinnen und 360 Genossen an. Die angezogenen Zahlen zeichnen ein anschauliches Bild von der Größe des Arbeitsfelds, das noch bestellt werden muß. Die Aufgaben, die hier den zielklaren Genossinnen und Genossen zufallen, sind entsprechend groß und entsprechend schwer. Eine aufklärende Agitation unter den proletarischen Massen zu entfalten, den weiteren Ausbau der gewerkschaftlichen und politischen Organisation zu fördern, darnach werden sie mit Energie, Opferfreudigkeit und Geduld streben.
Margarethe Greifeld- Apolda.
Aus der Bewegung.
Von der Agitation. In Köln a. Rh., Aachen , Ralf, Grefeld, Elberfeld und in zwei Vororten Elberfelds, Duisburg , Mülheim a. Ruhr und Düsseldorf fanden zur Förderung der proletarischen Frauenbewegung öffentliche Volksversammlungen statt, in denen Genossin Martha Rohrlack aus Berlin über die Frage referirte:„ Warum verlangen die proletarischen Frauen politische Rechte?" Die Versammlungen, welche als Vorarbeit für die kommende Reichstagswahl dienen sollten, waren mit Ausnahme der drei Versammlungen in Elberfeld alle sehr gut besucht. Am interessantesten gestaltete sich die Versammlung in Mülheim a. Ruhr, in welcher zwei Herren aus bürgerlichen Kreisen sich eifrig an der Diskussion betheiligten und die Versammlung eindringlichst warnten, do ch ja nicht die Resolution anzunehmen, die Genossin Rohrlack in Anschluß an ihren Vortrag der Versammlung unterbreitet hatte. In dieser Resolution wurde für die Frauen sämmtliche bürgerlichen und politischen Rechte gefordert, insbesondere das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht. Der eine der beiden Herren pries unter Anderem den Segen, dessen die Bevölkerung durch Herrn Krupps Werke zu Theil würde. Eine einfache Arbeiterfrau führte in schlichten Worten den betreffenden Herrn gründlich ab, und die Versammlung nahm mit allen gegen eine Stimme die Resolution an. Es ist für das Wachsthum und den Einfluß der Arbeiterbewegung ein erfreuliches Zeichen, daß in jener schwarzen Gegend auch die Frauen sich ein selbständiges Urtheil über die wirthschaftlichen und politischen Zustände bilden, so daß die Sozialdemokratie rührige Mitarbeiterinnen an ihnen findet. Ueberall, wo die männlichen Parteigenossen den Frauen mit Rath und That zur Seite stehen, schreitet die sozialistische Bewegung unter den proletarischen Frauen stetig vorwärts und verlieren die Herren„ Heßkapläne"
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ihren Einfluß, der besonders zur Wahlzeit vielfach Unfrieden in die M. R. Familien trägt.
Die Agitation der Berliner Genossinnen zu den Stadtverordnetenwahlen ist rührig fortgesetzt worden. Vor den Stichwahlen beriefen die Genossinnen noch zwei große öffentliche Versammlungen ein, die sehr gut besucht waren und zwar erfreulicher Weise hauptsächlich von Frauen. Im sechsten Wahlkreise referirte Genossin Ihrer unter reichem Beifall über„ Die Kinderausbeutung und die Schulfrage in der Berliner Stadtverordnetenversammlung". Im zweiten Wahlkreise sprach Genossin Brauer unter begeisterter Zustimmung der Versammelten über„ Die Noth der Kinder und die Pflicht der Mütter". Genossin Ihrer entwickelte das Schulprogramm der sozialdemokratischen Vertreter im ,, Rothen Hause" und gab ein anschauliches Bild von der geradezu kulturfeindlichen Haltung, welche der Berliner Kommunalfreisinn gegenüber den einschlägigen Anträgen von sozialdemokratischer Seite an den Tag gelegt hat. Scharf beleuchtete sie die vielen Mißstände in den Berliner Gemeindeschulen. An der Hand zahlreichen statistischen Materials wies sie nach, daß die bürgerlichen Stadtverordneten den sozialdemokratischen Anträgen keine stichhaltigen Gründe entgegengestellt haben, vielmehr nur haltlose Phrasen. Die Referentin zeigte, daß viele der erhobenen Forderungen in anderen Städten und Ländern bereits verwirklicht seien. Sie schloß ihre oft von Beifall unterbrochenen Ausführungen mit der Aufforderung an die Frauen, energisch mitzuarbeiten, damit auch der sechste Wahlkreis durch einen Sozialdemokraten im„ Rothen Hause" vertreten sei. Gegner meldeten sich nicht zum Wort. Die Versammlung erklärte sich in einer Resolution mit den Ausführungen der Referentin einverstanden. Sie nahm des Weiteren einen Antrag der Genossin Ihrer an, der den obligatorischen Besuch der Fortbildungsschulen auch für die Mädchen fordert( siehe Nr. 24 der Gleichheit:„ Von der Agitation") und die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten ersucht, behufs Verwirklichung dieser Forderung eine Aenderung des§ 120 der Gewerbeordnung herbeizu führen. Diese Aenderung soll dahin gehen, daß dem§ 120 Abs. 3 die Worte eingefügt werden: für weibliche und männliche Arbeiter". Genossin Mesch schloß die Versammlung mit einem warmen Appell an die Begeisterung und das Pflichtgefühl der Genossinnen und Genossen. Genossin Brauer baute ihren vorzüglichen Vortrag auf einem reichen statistischen Zahlenmaterial auf, das be sonders Bezug nahm auf den Umfang der Erwerbsthätigkeit des weiblichen Geschlechts, die Sterblichkeit und die Noth der Proletarierfinder, die Unzulänglichkeit der bürgerlichen Wohlthätigkeit gegenüber dem Kinderelend. Dem alten gegnerischen Vorwurf, die Sozialdemokratie zerstöre die Familie, stellte Genossin Brauer in wirkungsvoller Weise die Thatsachen gegenüber, welche die Zersetzung des Familienlebens durch die kapitalistische Wirthschaftsordnung erzählen. Lichtvoll zeigte sie die kapitalistische Ausbeutung der Frauenarbeit und ihre Folgen für die Arbeiterin, ihre Kinder, ihr Familienleben. Neben dem großen Elend der ehelichen Mütter und Kinder schilderte sie das noch entsetzlichere Los der unehelichen Mütter und Kinder. Was die Gesetzgebung bis jetzt zum Schutze von Mutter und Kind gethan, so wies die Referentin eindringlich nach, ist durchaus unzureichend. So gut wie wirkungslos erweist sich gegenüber dem in dieser Beziehung vorliegenden Glend die private Wohlthätigkeit. Die Frauen hätten ein Recht, zu verlangen, daß sie in ihrer Eigenschaft als Mütter geschützt und aus öffentlichen Mitteln nicht im Wege der Wohlthätigkeit unterstützt würden. Die im Leben rechtlosen Frauen seien nicht machtlos. Sie könnten ihren Einfluß auf die Männer ausüben und diese bestimmen, mit dem Stimmzettel ihre Pflicht zu thun und Vertreter zu wählen, die für das Recht des Proletariats und der Frau kämpfen. Pflicht der Mütter sei es, gute Schulen zu verlangen und tüchtige leistungsfähige Lehrer, deren Wirken weder durch eine zu große Schülerzahl noch durch Ueberbürdung mit Schulstunden und materielle Sorgen in Folge niedrigen Gehalts beeinträchtigt werde. Ueberzeugend begründete die Rednerin die übrigen Forderungen, welche die Sozialdemokratie zu Gunsten der proletarischen Kinder erhebt: Verabreichung von Frühstück auf Kosten der Gemeinde, statt der Privatwohlthätigkeit; Verbot der Kinderarbeit durch Reichsgesetz, bezw. Ortsstatut 2c. Energischen Protest erhob sie im Namen der Mütter dagegen, daß der Geist der Kinder in der Schule durch religiöse Orthodoxie und politische Unduldsamkeit verdunkelt wird. Dem mit großem Beifall aufgenommenen Vortrag folgte eine lebhafte Debatte. Ein Diskussionsredner vertrat mit großem Eifer den Grundsay, daß ohne Religion kein Volk bestehen könne; er befürwortete deshalb den Religionsunterricht in der Volksschule. Seinen Ausführungen traten die Genofsinnen Baader, Fahrenwald, Altmann und Braun unter lebhaftem Beifall entgegen. Die Versammlung nahm eine Resolution an, welche die volle Zustimmung zu den Ausführungen der Referentin erklärte. Daß die Agitations
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