Nr. 14.

Die Gleichheit.

8. Jahrgang.

Zeitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2970) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mr. 2.60.

Stuttgart  

Mittwoch, den 6. Juli 1898.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Snellenangabe gestattet.

Juhalts- Verzeichniß.

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Die Ergebnisse der Reichstagswahlen. Ueber die Grenzen der Frauen­emanzipation. Eine Frage der natürlichen Veranlagung beider Ge­Aus der Bewegung. schlechter. Von Dr. Allan Menvento.

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Feuilleton: Die Reinen. Von Dorothee Goebeler.( Schluß.) Notizentheil von Lily Braun   und Klara Zetkin  : Weibliche Fabrikinspektoren. - Frauenstimmrecht.- Frauenarbeit auf dem Gebiete der Industrie, des Handels und Verkehrswesens. Frauenbewegung.

Die Ergebnisse der Reichstagswahlen.

Als eine gewaltige Schlacht, in der ein Hüben und Drüben nur galt, die von den Losungen beherrscht wurde: Hie bürger­liche Gesellschaftsordnung"," Hie Befreiung der Arbeit", so er­scheinen die letzten Reichstagswahlen. Wohl hatte die politische Situation eine andere Signatur und einen anderen Schlachtruf nahe­gelegt. Das Junkerthum hatte mit unverfälscht raubritterlicher Ver­wegenheit einen Vorstoß unternommen, um mit der Knebelung der politischen Freiheiten des Volkes diesem gegenüber die Machtstellung und Ausbeutungsgewalt der aus dem Stegreif lebenden, raubenden und reutenden Vorfahren zurückzuerobern. Und sein Beginnen hatte die verständnißinnige Bundesbrüderschaft des fleinen, aber hochmögenden Klüngels der Schlotbarone gefunden. Denn wie der Adel von Geburts   Gnaden so haßt der Adel von Geldsacks Gnaden die politischen Volksrechte als die Waffen, mittels deren die zin­sende Masse wirksam ihre Interessen vertheidigt und für ihre Be­freiung fämpft. Und wie dieser gegenüber der Landarbeiterschaft, so trachtet jener gegenüber dem industriellen Proletariat nach der vermehrten und gesicherten Ausbeutungsfreiheit, welche durch poli­tische Rechtlosigkeit des Volkes verbürgt wird. So wurde der Kampf für die politischen Rechte vor Allem für das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht, welche die Grundlage des Deuts schen Reichs bilden und die Voraussetzungen für eine gesunde Fort­entwicklung unseres sozialen Lebens find, in den Vordergrund der Tagesinteressen gerückt, um welche sich der Wahlkampf drehte.

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Diese Situation hätte eine bürgerliche Demokratie, welche wirklich dieses Namens werth ist und als politische, als geschichtliche Macht ernst genommen sein will, behufs Vertheidigung der gefährdeten Grundlage eines gesunden, modernen Staatslebens bis auf den letzten Mann auf die Schanze bringen müssen mit der Devise:" Gegen die Reaktion, mit der Sozialdemokratie und wo es nicht anders sein fann für die Sozialdemokratie." Aber so scharf hat der poli­tische Klassenkampf sich in Deutschland   zugespißt, so kopfschen und feig schreckt das deutsche Bürgerthum vor der Machtentfaltung und dem Vorwärts des klassenbewußten Proletariats zurück, daß im Laufe der Wahlbewegung die sozialistischen   Bestrebungen immer ausschließ­licher zum Mittelpunkt wurden, um den der Parteien Streit wogte. Das Ringen gegen die reaktionären Gruppen, welche das Volks­leben in die Vergangenheit zurückzwingen wollen und ihre Ideale aus der Rumpelkammer des Feudalismus und Absolutismus   zu= sammenklauben, es trat zurück hinter den Kampf gegen die eine revolutionäre Partei, welche fühn der Zukunft entgegenschreitet und der die Flammenzeichen der Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit, des freien Menschenthums für Alle voranleuchten. Gegen die Sozial­demokratie", das ward je länger je lauter der Ruf, welcher bei allen bürgerlichen Parteien den Wahlkampf beherrschte.

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Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Fr. Klara Zetkin  ( Eißner  ), Stuttgart  , Rothebühl­Straße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

Damit trat an Stelle des Kampfes für die bedrohten bürger­lichen Freiheiten und gegen die Reaktion der Kampf gegen die energischsten und machtvollsten Vertheidiger der politischen Rechte und zwar zum Nußen der Reaktion. Mit herzerfrischender Deut­lichkeit hat damit die deutsche bürgerliche Demokratie von rühm­lichen Ausnahmen abgesehen ihrer politischen Einsicht und Kraft ein Armuthszeugniß geschrieben, wie es vernichtender nicht ausge­flügelt werden könnte. Das Bischen demokratischer Spiritus ver­flüchtigt rasch bei der Berührung mit dem proletarischen Klassen­kampf. Erscheint das kämpfende Proletariat auf der Bildfläche, so beeilt sich der gut demokratisch brüllende Löwe des sanftmüthigen Grauchens Ohr vorlugen zu lassen und sich damit als der biedere Meister Zettel zu legitimiren. Kurzsichtigkeit und Schwäche, Guer Name ist bürgerliche Demokratie, kann Deutschlands   Proletariat nach dem letzten Wahlkampf mit mehr Recht als je Denen ant­worten, die es auch nur für Vertheidigung seiner politischen Frei­heiten mit dem Hinweis auf die bürgerlichen Oppositionsparteien

narren wollen.

Schon vor den Hauptwahlen zeigte sich, daß zumal das nord­deutsche Freisinnsgeschwister sowohl die Wadenstrümpfler Rickert­scher Gefolgschaft, wie die Wasserstiefler Richterscher Observanz den Schwerpunkt der Kampagne auf die Bekämpfung der Sozial­demokratie legten. Besonders charakteristisch dafür war das geradezu schmachvolle Kompromiß der bürgerlich Oppositionellen zu Frank­ furt   a. M., wo der farblose Kandidat des Ordnungskuddelmuddels von dem vornehmsten demokratischen Blatte gesegnet in den Strauß gegen die Sozialdemokratie zog. Welcher Hohn auf das Schlag­wort von der sozialen Demokratie", mit dem gerade die Frank­ furter Zeitung  " so gern frebsen geht! Scharf wurde die Situation auch dadurch beleuchtet, daß die Freisinnigen den Kampf gegen die Sozialdemokratie nicht blos mit größerer Schärfe führten, als gegen die Reaktion, vielmehr gleichzeitig auch mit einem Unanstand, der sich dreist neben die schäbigsten Praktiken der Sammlungspolitiker" stellen darf. Nicht der drohende Vergangenheitsstaat der Junker und Junkergenossen war der zu bekämpfende Feind, vielmehr der sozialistische Zukunftsstaat mit seinen Greueln, wie die Augen der tugendsamen Spar- Agnes ihn vorahnend geschaut. Keine Lüge über die Ziele und den Charakter der Sozialdemokratie war zu gemein, feine Phantasie darüber zu albern, keine Verdächtigung der sozial­demokratischen Führer zu niedrig, als daß sie nicht freisinnigerseits im Wahlkampfe ausgespielt worden wäre.

Bei den Stichwahlen aber vollendete die bürgerliche Demo­tratie, was sie bei den Hauptwahlen begonnen. Wohl wiesen die angesehenſten demokratischen Organe klärlich die Pflicht des liberalen Bürgenthums nach, unter allen Umständen die Reaktion zurück­zuwerfen, auch auf die Möglichkeit hin, dadurch den sozialdemo­fkratischen Besitzstand an Mandaten zu vergrößern. Die Führer des norddeutschen Freisinns konnten sich zu der entsprechenden klipp und Klaren Losung nicht aufschwingen. Mit der Politik der freien Hand für die Wähler öffneten sie dem widerlichsten Schacher mit Konservativen, Nationalliberalen und Zentrümlern Thür und Thor  . Wohl forderten die Führer der süddeutschen Volkspartei ihre Ge­treuen auf, sich in den Stichwahlen zwischen Reaktionären und Sozialdemokraten für die Letteren zu entscheiden und mit aller Energie für ihren Sieg zu wirken. Aber in Württemberg   liefen die volksparteilichen Wähler in hellen Haufen zu den Sammlungs­politikern" über, die nur Dank dieser Hilfe über die Sozialdemo­