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Mit der Chef- Redaktion der ,, Sächsischen Arbeiterzeitung" wurde eine Genossin, Frau Dr. Rosa Luxemburg, betraut. Der bisherige Leiter des Blattes, Genosse Parvus", ein Russe, der seit Jahren für die Ideen der Sozialdemokratie kämpft, wurde durch polizeiliche Ausweisung seinem bisherigen Thätigkeitsfelde entrissen. Dank seinem Wirken vor Allem hat sich die Sächsische Arbeiterzeitung" zu einem der bei Freund und Feind angesehensten und beachtetsten Blätter der sozialdemokratischen Partei entwickelt. Denn Parvus ver­fügte über ein reiches Wissen, ein großes Talent und eine seltene Arbeitskraft, dazu über eine Treue und Stärke der Ueberzeugung, die ihn jederzeit seine volle Kraft für seine Auffassung in die Wagschale werfen ließen, unbekümmert um die ihm als Ausländer dadurch persön­lich erwachsenden Gefahren. Es ist also ein Kampfesposten, ein Ehren­posten in der vollsten Bedeutung des Wortes, der Genossin Luxemburg  anvertraut worden ist. Daß die Dresdener   Parteigenossen auf diesen Posten eine Genossin berufen haben, ist einer jener Beweise dafür, daß innerhalb der deutschen   Sozialdemokratie von einzelnen persönlichen Ausnahmen abgesehen die Gleichberechtigung der Ge­schlechter gilt. Genossin Luxemburg   hat seit Jahren durch eine Reihe trefflicher Abhandlungen dargethan, daß sie als gleichwerthige Kam­pfesgenossin inmitten der Kampfesgenossen steht. Daß sie das nöthige geistige Rüstzeug für die ihr zugefallene Aufgabe besitzt, hat sie nicht zum Mindesten durch ihre Artikelserie in der Leipziger Volkszeitung  " gezeigt, Sozialreform oder Revolution", sowie durch ihre Ausfüh­rungen auf dem Parteitag zur Frage der Taktik. Genossin Luxem­burg ist unseres Wissens die erste Frau, die in Deutschland   die Chef­Redaktion einer politischen Tageszeitung führt. Wir sind überzeugt, daß ob dieser schrecklichen Thatsache gar manchen Kochlöffel- und Strickstrumpf- Philister jene Gänsehaut überläuft, die das äußerliche treffende Kennzeichen seiner geistigen Verfassung ist.

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Notizentheil.

( Von Lily Braun   und Klara Betkin.)

Gewerkschaftliche Arbeiterinnen- Organisation.

Der katholische Textilarbeiterinnenverein, über dessen Grün­dung wir neulich berichteten, soll die Textilarbeiterinnen von Aachen  , Burtscheid   und Umgegend in einer Organisation zusammen­

der, nachdem er den Dienst verlassen und seine Frau gestorben war, das Kind im Waisenhause untergebracht hatte. Das haben wir erfahren, und da wir selbst kinderlos sind, waren wir ent­schlossen, für das Kind zu sorgen. Die Frau Gräfin   hatte sich in den Gedanken hineingelebt, daher die jetzige Trauer über das Fehlschlagen unseres Planes.- Hier, nehmen Sie das für Ihre Mühe."

Der Meister verbeugte sich tief und suchte überzeugt auszu­sehen, was ihm aber schlecht gelang. Mutter Schwarz trocknete sich die Augen und rief den Segen des Himmels auf die Reichen herab, die für die Kinder des armen Mannes sorgten.

Während der Schuhmacher und seine Frau das Geschenk des Grafen   in der Küche nachzählten, drückte die Mutter einen letzten Kuß auf die Stirne des Kindes, das gestorben war, weil die eigenen Eltern ihm das Recht zu leben verweigert hatten.

Die Ehe des Grafen ist finderlos geblieben. Seine Freunde sagten, als Strafe für die Vermessenheit, eine arme Erzieherin zu heirathen". Beide fangen an alt zu werden, und graue Strähnen mischen sich immer dichter in ihre Haare ein. In den Salons ihres Schlosses gehen steife, feierlich aussehende Bediente umher und pußen und reiben die kostbaren Fayence- und Sevresporzellan­gegenstände, zierliche Kammermädchen stäuben sorgsam jeden Tag die Spiegel und Möbel. Ach, nur ein geringer Bruchtheil dieser ängstlichen Fürsorge hätte genügt, um ein kleines Leben zu retten.

Bisweilen, wenn der Sohn des Waldhüters, ein starker, neunzehnjähriger Jüngling, über den Schloßhof geht, stehen der Graf und die Gräfin oben am Fenster des gelbseidenen Kabinets und denken: So alt wäre, er jetzt auch!"

Aber weit von ihnen entfernt, in dem Dorfe, wo Meister Schwarz wohnt, da liegt auf einem Grabe des Kirchhofs ein Marmorstein mit vergoldeten Buchstaben. Und darunter schlummert unter Rosen und Lilien Nummer 1054.

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schließen. In der Vorbesprechung hatten sich gegen vierzig Theilnehme rinnen eingefunden; sechstausend Arbeiterinnen sind in den Textil­fabriken der Aachener   Gegend beschäftigt. In Berlin  , Essen, Trier  und anderwärts bestehen bereits katholische Arbeiterinnenvereine, über deren Mitgliederstärke uns leider keine Angaben vorliegen. In Bayern  sind die Textilarbeiterinnen mit den Männern zusammen organisirt.

Zur Agitation unter den Arbeiterinnen und Arbeitern in Buchbindereien und den verwandten Gewerben hat der ,, Verband der in Buchbindereien, der Papier  - und Leder­galanterie waaren- Industrie beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands  " eine kleine Broschüre herausgegeben. Dieselbe ist Rathgeber" betitelt, zeichnet mit knappen Strichen ein Bild von der proletarischen Lage und legt dann die Nothwendigkeit und den Nutzen der gewerkschaftlichen Organisation dar, sowie den Charakter und die Leistungen des Verbandes". Der Stoff ist in flarer, leichtfaßlicher und sehr lebendig wirkender Sprache behandelt. Das kleine Hestchen weicht in seiner Ausstattung beträchtlich und in angenehmer Weise von den meisten Agitationsschriften ab und ent­spricht den Winken, die auf dem Gothaer Parteitag bezüglich der Ausstattung der Flugschriften gegeben wurden, welche unter den Frauen verbreitet werden. Gutes Papier; schöner, klarer Druck; nied­liche, schmale Zierleisten am Kopfe jeder Seite; kleine Ornamente nach jedem Abschnitte, ein netter, bescheiden aber geschmackvoll ver­zierter Umschlag: wirken zusammen, um das Auge angenehm zu fesseln und schon äußerlich das Interesse für das Heftchen zu wecken. Wir sind überzeugt, daß Niemand, dem das Broschürchen in die Hand gedrückt wird, dasselbe ungelesen, unbesehen bei Seite wirft, wie dies so oft mit den Flugblättern gethan wird, welche sich durch schlechtestes Papier und schlechten Druck unangenehm auszeichnen. Die Arbei­terinnen insbesondere werden an dem hübschen Heftchen ihre Freude haben, werden wieder und wieder nach ihm greifen und das Wohl­gefallen am Aeußeren wird der Aufnahme des Inhalts den Weg ebnen. Das Heftchen enthält als letztes Blatt einen abtrennbaren Anmeldeschein zur Aufnahme in den Verband der Buchbinder". Wir wünschen von Herzen, daß die Neuerung recht viele Nachahmung findet, denn sie scheint uns geeignet, die Agitation unter den Indiffe­renten, zumal auch unter den Arbeiterinnen, zu fördern.

Weibliche Fabrikinspektoren.

* Ein Unterstützungsfonds für Arbeiterinnen, die von den Unternehmern entlassen worden sind, weil sie Fabrik, Handels- oder Sanitätsinspektoren auf gesetzwidrige Schäden im Betrieb aufmerk­sam gemacht haben, ist auf Beschluß einer Volksversammlung in London   gegründet worden, deren Vorsitz der Bischof von London  führte. Frau Tennant, die unter ihrem Mädchennamen, Miß Abraham, bekannte, verdienstvolle ehemalige Fabrikinspektorin, referirte, und legte, an der Hand zahlreicher Beweise aus ihren Erfahrungen, die Nothwendigkeit der Gründung solch' eines Fonds dar, der hoffentlich bald die gewünschte Höhe von 200000 Mt. erreichen wird.

Die Zahl der weiblichen Fabrikinspektoren in England ist nach einer Meldung der Sozialen Praxis" wiederum vermehrt worden und soll noch weiter vermehrt werden. Wie nämlich das genannte Blatt mittheilt, empfing der Minister des Innern kürzlich eine Deputation, erwählt aus den aristokratischen Frauenkreisen Eng­lands, welche ersuchte, den Gebrauch des gelben Phosphors bei der Zündhölzchenfabrikation als gesundheitsgefährlich, besonders für Frauen, zu verbieten. Dieser Deputation versicherte nun der Minister des Innern unter Anderem, daß er behufs Besserung der gesundheit­lichen Verhältnisse in den Zündhölzchenfabriken viel von der Mehr­einstellung männlicher und weiblicher Inspektoren erwarte. Er habe deshalb wiederum zwei weibliche Inspektoren ernannt und werde demnächst eine weitere Inspektorin ernennen. Genauere Nachrichten bezüglich der Mehreinstellung von Fabrikinspektorinnen haben wir zur Zeit in anderen Blättern noch nicht gefunden.

Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.

* Ueber die Heimarbeit im Schuhmachergewerbe ist kürzlich eine Untersuchung in einem kleinen Bezirk Londons   vorgenommen worden. Für die Untersuchung famen ca. 1400 Frauen und Kinder in Betracht, die mit der Anfertigung von Stapelwaaren für Schuh­fabriken beschäftigt waren, während die Zahl der männlichen Arbeiter eine weit geringere war. Mädchen von 7, 8 und 9 Jahren fanden sich, die ihre Freizeit zwischen den Schulstunden bis tief in die Nacht

hinein der Arbeit widmen mußten. Was die Löhne betrifft, so können Mädchen von 13 bis 16 Jahren 1 Schilling 6 Pence( 1,50 Mt.) täg­lich verdienen. Eine alleinstehende, start arbeitende Frau kommt, wenn sie die hohen Kavalleriestiefel anfertigt, auf einen Wochen­