Der internationale Frauenkongres in London  .

Von Lily Braun  - Berlin  .

Vom 26. Juni bis 4. Juli tagte in London   der vom Inter­nationalen Frauenbund einberufene Frauentongreß. Nach den uns bisher vorliegenden Zeitungsberichten* ist es unmöglich, ein genaues, in allen Einzelheiten richtiges Bild von ihm zu geben. Sein Programm war ein dermaßen überladenes, daß selbst der ge= schickteste Journalist nicht im Stande gewesen ist, alles zu hören und zu sehen, und so mußten wir uns aus den Berichten der einzelnen Blätter erst das Wesentliche zusammen zu stellen versuchen. Der erste Eindruck, den man von dem Kongreß gewinnt, ist der eines ungeheuren Schaugepränges, einer Parade, die über die Frauen­bewegung der Welt abgenommen wurde.

Die Gräfin von Aberdeen  , eine der reichsten und vornehmsten Frauen Englands, deren Gatte bis vor Kurzem Vizekönig von Kanada  war, eröffnete als Präsidentin des Bundes am Nachmittag des 26. Juni den Kongreß. Der Bischof von London   hatte ihm eine große kirchliche Halle überlassen, die mit Blumen üppig geschmückt und von über 2000 Personen besucht war. Unter ihnen befanden sich 450 offizielle Delegirte aus Nord- und Südamerika, aus Australien  , Afrika  , Indien  , Persien  , China  , Japan  , Palästina, Italien  , Desterreich, Frankreich  , Belgien  , Holland  , Norwegen  , Schweden  , Dänemark  , Spanien   und Rußland  . Deutschland   war vertreten durch die Delegirten des " Bundes deutscher Frauenvereine  ", Frau Bieber- Böhm  , Frau Stritt und Frau Simson, sowie durch die besonders Eingeladenen: Frau Cauer, Fräulein Dr. Augspurg, Fräulein Hoffmann u. A. m. Die Orientalinnen waren in ihren farbenprächtigen Nationalkostümen erschienen, auch die Europäerinnen und Amerikanerinnen glänzten durch luxuriöse Toiletten. In ihrer Ansprache betonte die Vorsitzende die Wichtigkeit internationaler Beziehungen der Frauen zum Zweck gegenseitigen Verständnisses, betonte aber auch, daß die höchste Mission der Frau immer im Hause liegen werde, man also diesen Kongreß nicht als einen ausschweifend emanzipatorischen im Sinne der Gegner der Frauenbewegung betrachten dürfe. Als eine der wichtigsten Auf­gaben der international organisirten Frauen betrachtete sie das ein­müthige Eintreten für die Friedensbewegung, eine Bemerkung, die stürmischen Applaus hervorrief und für die ganze Veranstaltung charakteristisch ist. Statt das ungeheure Gebiet der Frauenfrage, besonders ihre ernsteste Seite, die wirthschaftliche, zum Mittelpunkt des Kongresses zu machen, wurden unfruchtbare ideologische Schwärme­reien dazu erhoben und zwar in einem Augenblick, wo das klägliche Scheitern der Friedenskonferenz im Haag den deutlichen Beweis dafür liefert, daß unsere gegenwärtige Gesellschaftsordnung eine Verwirk­lichung der Friedensideen unmöglich macht.

Nach der Eröffnung begrüßten die Delegirten in mehr oder weniger langen Reden die Versammlung. Sie bedienten sich alle der englischen Sprache, mit Ausnahme der Französinnen, die voraus­setzten, daß man sie verstand. Dolmetscher waren nicht anwesend­es war eben nur auf ein gebildetes" Publikum gerechnet worden. Mit einem Empfang in dem prachtvollen Schloß der schönen Herzogin von Sutherland endete der Begrüßungstag. Die Berichterstatter wissen von diesem abendlichen Zauberfest Wunderdinge zu erzählen: die englischen Aristokratinnen strahlten im Glanze ihrer Juwelen, in Seide und Brokat, die Gäste versuchten, es ihnen annähernd gleich zu thun. Es waren eben meist Paradesoldaten und keine Krieger der Feld­schlacht, die sich trafen.

Mit dem nächsten Tage begannen die Sitzungen des Kongresses Da man wohl geglaubt hatte, durch die Quantität der Vorträge die Qualität der Leistungen zu ersetzen oder zu verschleiern, hatte man im Programm alles aufgenommen, was auch nur im Entferntesten mit dem Leben und Sein der Frau zu thun hat: von der Kinder­erziehung bis zur Politik, von der Wohlthätigkeit bis zur Gesetzgebung, vom Thierschutz bis zur Friedensbewegung, von der Blumenpflege bis zur Kleiderreform. Um das zu bewältigen, waren die Arbeiten in fünf Sektionen getheilt worden: für Erziehungswesen, für weib­liche Berufe, für Wohlfahrtspflege, für die politische und für die rechtliche und wirthschaftliche Hebung der Frau. Auch diese Ein­theilung ist insofern bezeichnend, als das große und wichtige Gebiet der Gesetzgebung und der Arbeiterinnenfrage in eine Sektion zu­sammengedrängt worden war; man sah sich schließlich dadurch ge= zwungen, noch eine Untersektion zu bilden. Bei der Kürze der Zeit tagten die Sektionen fast immer gleichzeitig, so daß die Delegirten

* Unsere Quellen sind die französischen   Zeitungen: La Fronde, Figaro; die englischen: Times, Daily News, Standard; die deutschen  : Volks- Zeitung, Münchener   Allgemeine Zeitung  , Tägliche Rundschau, Die Post, Norddeutsche Allgemeine Zeitung, National- Zeitung 2c.

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nicht an allen theilzunehmen im Stande waren, um so mehr, als die Sizungen der Sektionen vielfach auch örtlich getrennt gehalten werden mußten.

Große Anziehungskraft übte während der ganzen Dauer der Verhandlungen die politische Sektion aus. Die Frage des Frauen­stimmrechts wurde hier eingehend erörtert. Miß Susan B. Anthony  , die fast achtzigjährige Vorkämpferin der Frauenbewegung in Amerika  , erklärte mit jugendlichem Feuer, daß die Gewährung der politischen Gleichberechtigung erst der Schlüssel wäre, der das Gefängniß des weiblichen Geschlechts öffnen würde. So lange die Frauen nicht die politischen Rechte besäßen, würden sie auch die Macht nicht haben, sich in allen anderen Fragen Geltung zu verschaffen. Nicht Vorrechte, sondern Rechte hätten die Frauen zu fordern; alles was aus Gnade gewährt werde, erniedrige zum Sklaven, darum müßten die Frauen solche Geschenke zurückweisen und nur für ihre Rechte kämpfen.

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Gegen ihre Ausführungen erhob sich eine einzige Stimme, gleich­falls die einer Amerikanerin, die gegen das Stimmrecht der Frauen auftrat und die alte Weisheit vorbrachte, die Frauen müßten, wenn sie Bürgerrechte verlangten, auch Bürgerpflichten übernehmen, z. B. das Vaterland vertheidigen. Eine unseren Leserinnen gewiß noch wohl bekannte, jetzt in London   lebende Deutsche  , Frau Guillaume­Schack, erwiderte in wirksamer Weise, indem sie darauf hinwies, daß die Mutterschaft mit all ihren Leiden die Stelle der Jahre ein­nähme, die der Mann unter der Fahne stände, und daß es für das Vaterland wichtiger sei, Leben zu schaffen, als Leben zu zerstören. Im gleichen Sinne sprachen sich alle Rednerinnen aus. Auch Fräu­lein Dr. Augspurg, die es aber nicht unterlassen konnte, gleichzeitig ihrer bereits oft ausgesprochenen Meinung nochmals Ausdruck zu geben, wonach die deutschen   Frauen nach der Verfassung eigentlich das Stimmrecht so wie so schon besitzen(!) und nur den Versuch machen müßten, es auszuüben. Warum geht Fräulein Portia- so wurde sie der Versammlung vorgestellt nicht mit dem guten Bei­spiel voran?! Wir versprechen, ihr zu folgen, wenn ihr das Kunst­stück gelingt! In derselben Sektion kam auch die Stellung der Frau in den Kommunal- und Gemeindeverwaltungen zur Besprechung. Die bekannte Entscheidung des englischen Oberhauses, die den Londoner   Frauen das ihnen vom Unterhaus schon zuge­sprochene kommunale Wahlrecht wieder nahm, erfuhr die schärfste Kritit. Interessant war die Mittheilung der schwedischen Delegirten, Fräulein Cederschiöld, daß ihre Landsmänninnen das volle kommunale Wahlrecht besitzen und als Schulräthe und Armenpfleger wählbar sind. Im vorigen Jahre bei den Kommunalwahlen in Stockholm  waren ein Fünftel aller Wähler Frauen. Die Gemeindearbeit eng­lischer Frauen, ihre Thätigkeit im Schulrath und in der Armenpflege wurden geschildert; von deutscher   Seite konnte nur der sehnsüchtige Wunsch darauf ausgesprochen werden. Eine von der politischen Sektion veranstaltete öffentliche Volksversammlung, an der auch zahl­reiche Mitglieder des Parlaments theilnahmen und der ehemalige Gouverneur von Neu- Seeland  , Mr. Reeves, die glänzenden Resultate des Frauenstimmrechts in jener Kolonie schilderte, lieferte mit den Beweis, daß die Kongreßmitglieder auf diesem Gebiete der Frauen­frage im großen Ganzen einig zu sein schienen. Mehr als zweifel­haft dagegen ist es, ob sie, wie es vielfach geschah, ein Recht hatten, im Namen der gesammten Frauenwelt ihres Vaterlandes zu sprechen. In Deutschland   wenigstens ist bisher außerhalb der Kreise der sozial­demokratischen Partei von einer starken Bewegung zu Gunsten des Frauenstimmrechts nichts zu spüren gewesen.

Die Sigungen der Sektion für weibliche Berufsarten wurden durch einen interessanten Vortrag der Engländerin Mrs. Fenwick Miller über den Einfluß der weiblichen Berufsthätigkeit auf das häusliche Leben eingeleitet. Sie sagte ganz richtig, daß die Er­ziehung der Mädchen für einen Beruf durch die tiefeingewurzelte An­sicht, daß er im Moment der Heirath wieder aufgegeben werden müsse, ungünstig beeinflußt würde. Der Beruf erscheine nur als Nothbehelf, nicht als Lebensaufgabe. Um dem abzuhelfen, müßten die berufs­thätigen Frauen auch während der Ehe ihren Beruf nicht aufgeben. Daß das möglich sei, ohne die Pflichten als Mutter und Hausfrau zu vernachlässigen, bewiesen eine Reihe bedeutender Frauen, die die Rednerin namhaft machte. Der Standpunkt der reichen Bourgeois­dame kam bei ihr unverfälscht zum Vorschein; von richtigen Grund­ideen ausgehend, gerieth sie bei ihrer Ausführung in falsche Neben­wege und vermochte nicht über ihre Klasse hinauszusehen. Denn wenn sich eine reiche Dame Dienstboten halten kann, so ist sie wohl im Stande berufsthätig zu sein, ohne daß ihr Haus und ihre Kinder darunter leiden. Wer dazu aber nicht im Stande ist und in dem heutigen rasenden Kampf ums Brot gezwungen ist, mitzukämpfen, d. h. alle Kräfte und alle Zeit dem Beruf zu opfern, um nicht zu Grunde zu gehen, der kann weder eine gute Mutter, noch eine gute Hausfrau sein. Nur vollständig veränderte wirthschaftliche Be­