Schande, der Prostitution bewahrt haben, der sie sich schließlich in Verzweiflung, gequält vom Hunger und von grimmer Kälte ergeben muß, wenn sie sich wochenlang die Füße nach Arbeit wund gelaufen hat und überall abgewiesen wurde.

Die kurz hervorgehobenen Vorteile hätten erreicht werden können bei nur fünf Pfennig Beitrag pro Woche mehr. Wir sind überzeugt, daß die Urabstimmung anders ausgefallen sein würde, wenn die Frage der Arbeitslosenunterstützung in den Mitgliederversammlungen mehr und leidenschaftslos diskutiert worden wäre. Bei voller Klarheit über den zu erzielenden bedeutsamen, mannigfachen Nutzen hätte der Entscheid sicher zu gunsten der Arbeitslosenunterstützung gelautet. Die Mitglieder des Fabrikarbeiterverbandes, bei denen die Unsicher­heit der Erwerbsmöglichkeit und damit der Existenz besonders groß ist, hätten gewiß gern, solange sie verdienen, den um nur fünf Pfennig erhöhten Beitrag pro Woche gezahlt, um im Falle der Arbeitslosigkeit gegen das äußerste Glend geschützt zu sein. Diejenigen aber, die noch in einem sogenannten festen" Arbeitsverhältnis stehen, besitzen in ihrer Mehrzahl gewiß soviel Solidaritätsgefühl, daß sie den höheren Wochenbeitrag geleistet haben würden, auch wenn sie selbst voraussichtlich nicht sobald und so oft in die Lage kommen, die Unter­stüßung brauchen zu können.

Möge allerorts das Versäumte nachgeholt werden, damit klare Erkenntnis des Wertes der Arbeitslosenunterstützung Platz greift und der 1904 tagende siebente ordentliche Verbandstag zu einem anderen Beschluß kommt, als ihn das Resultat der Urabstimmung ergeben hat. Es würde das der Organisation und den Organisierten zu Nutz und Frommen gereichen.

Aus der Bewegung.

Zwei Versammlungen der Textilarbeiter zu Glauchau   und zu Chemniß hielt neulich Genossin Wehmann- Leipzig ab. Die Versammlung in letzterem Orte war gut besucht, die in Glauchau  aber derart von den streikenden Textilarbeitern überfüllt, daß das Lokal gesperrt wurde. Frauen und Mädchen nahmen in einer Zahl an der Versammlung teil, die alle Erwartungen übertraf. Genossin Wehmann behandelte das Thema: Die Arbeiter im Kampfe ums Dasein". Als sie die Notwendigkeit des Kampfes um höheren Lohn begründete, wies sie unter anderem vergleichend auch auf die Erhöhung der Gehälter der höheren Staatsbeamten, Geistlichen 2c., sowie der Zivilliste hin. Der überwachende Beamte forderte sie daraufhin auf, nicht vom Thema abzuschweifen. Um die Auflösung der Versammlung zu vermeiden, begnügte sich Genossin Wehmann, festzustellen, daß ihre Ausführungen durchaus zum Thema gehört hätten. Was zur Rechtfertigung der Erhöhung jener Gehälter gälte, das träfe auch für die Löhne der Arbeiter zu. Die Versammelten spendeten dem Referat reichen Beifall und gingen nach lebhafter Dis­fussion in angeregter und gehobener Stimmung auseinander.

Gegen die zollwucherischen, rechtsräuberischen Gewalt­streiche der Junker- und Pfaffenparteien sprach Genossin Baader im Dezember in zwei Volksversammlungen zu Nauen   und zu Posen. Beide waren erfreulicherweise nicht bloß von Männern, sondern auch von Frauen stark besucht und nahmen einstimmig scharfe Protestresolutionen gegen den Zollwucher und den Umsturz des parla­mentarischen Rechtes an. In Nauen   wurden der Branden burger Zeitung", dem Parteiorgan der Gegend, 28, der Gleich­heit" 6 Abonnenten gewonnen, der Wahlverein hatte Neuaufnahmen von Mitgliedern zu verzeichnen. In Posen fnüpfte an den zwei­stündigen Vortrag eine ausgedehnte Diskussion an, in der sämtliche Redner den Ausführungen der Referentin beipflichteten.

"

"

15

Im Dezember referierte Genossin 3 etkin in mehreren öffent­lichen Versammlungen. In Neu- Isenburg   sprach sie über Die Folgen des Zollwuchers für das werktätige Volt". Der glänzend besuchten Versammlung wohnten auch zahlreiche Frauen bei, darunter vor allem die tapferen Wäscherinnen, die seinerzeit durch ihren Streit bekannt geworden sind und unentwegt zur Fahne des tämpfenden Proletariats stehen. Die Versammlung erhob ein­dringlichsten, scharfen Protest gegen den Zollwucher und die schamlose Niederknüttelung des parlamentarischen Rechtes der Minderheit. Die Prostitution und die bürgerliche Gesellschaft" behandelte Ge­noffin Bettin in einer überfüllten Versammlung in Frankfurt   a. M. Ihre Ausführungen lockten einen evangelischen Sittlichkeitsvereinler zum Kampfe, der unter lebhafter Zustimmung der Versammelten von Genossen Quard und der Referentin gehörig zugedeckt ward. Eine sehr gut von Männern und Frauen besuchte Versammlung zu Ober­ rad   hörte einen Vortrag über Die Beteiligung der Frauen an der revolutionären Bewegung in Rußland  ". In Unter­ türkheim   referierte Genossin Zettin in einer Versammlung der

"

"

Fabrikarbeiterinnen über das Thema: Warum müssen sich die Arbeiterinnen organisieren?" Dem Verband der Fabrikarbeiter wurden in der Versammlung neue weibliche Mitglieder gewonnen. über Die geschichtlichen Tendenzen der modernen Frauen­arbeit" handelte ein Vortrag in der Versammlung des Buchbinder­verbandes zu Stuttgart  . Bei der Weihnachtsfeier der organisierten Fabrifarbeiter zu Cannstatt   hielt Genossin Zetkin   die Festrede und betonte dabei die Notwendigkeit des gewerkschaftlichen und poli­tischen Klassenfampfes.

Bericht der Vertrauensperson der Genoffinnen für den Wahlkreis Düsseldorf  .

Nachdem die frühere Vertrauensperson der Genossinnen ihr Amt niedergelegt hatte, übernahm die Unterzeichnete dasselbe. Sie ließ sich zunächst angelegen sein, die mit Hilfe ihrer Vorgängerin ge­schaffene Vereinigung der Frauen und Mädchen Düsseldorfs   aus­zubauen und leistungsfähiger zu machen. Der Verein umschloß im Januar 1901 bereits fast 100 Proletarierinnen und versprach eine gedeihliche Entwicklung, sodaß die Genossinnen für 1902 auf eine Verdoppelung der Mitgliederstandes hofften. Leider haben sich die gehegten Erwartungen nicht erfüllt. Einzelne Elemente, die sich in den Verein eingeschlichen hatten, haben gegen seine Zwecke gearbeitet, und die Folge davon war, daß uns ein Teil der Mitglieder ver­loren ging. Hoffentlich gelingt es, den Verlust wieder wett zu machen. Die von der Vertrauensperson veranstalteten öffentlichen Agitationsversammlungen des Berichtsjahrs hatten in Düsseldorf  , wie in anderen Orten des Kreises, guten Erfolg. Im November 1901 fanden Versammlungen statt in Düsseldorf  , Gerresheim  , Hilten, Duisburg  , Viersen  , Gladbach  , Elberfeld   und Aachen  , welche die Frauen über den Zollwucher aufklären sollten. Genossin Alt­mann Berlin löste diese Aufgabe in geradezu glänzender Weise. Obgleich die Versammlungen in eine ungünstige Zeit fielen, waren sie sämtlich gut besucht. In welchem Maße die entfaltete Agitation die Gegner des Proletariats erregte, bewies ein Zwischenfall, der sich in Gerresheim   zutrug. Hier wohnte der Fabrikmeister Kilian der Versammlung mit geladenem Revolver bei und betrug sich so aufgeregt, daß er an die frische Luft gesetzt werden mußte. Im April, Mai und Juni des vergangenen Jahres fanden in Düssel­ dorf   Versammlungen statt, in denen Genosse Lohse über Die Rechte und Pflichten der Frauen und über Arbeiterinnenschut sprach. Auch diese Versammlungen waren gut besucht, und die treff­lichen Referate wurden mit Interesse entgegengenommen. Die münd­liche Agitation wurde durch die schriftliche ergänzt. 20000 Flug­blätter über die Folgen des Zollwuchers für die proletarischen Frauen und ihre Familien gelangten im Kreise zur Verteilung, und wir dürfen hoffen, daß sie ihren Zweck erreicht haben. Die Einnahmen betrugen 136,11 Mart, die Ausgaben 76,95 Mart, sodaß ein Überschuß von 59,16 Mark geblieben ist. Die Revisorinnen, Genossinnen Gropp und Steves, haben die Abrechnung geprüft und für richtig befunden. Die Genossinnen Düsseldorfs   werden im neuen Tätigkeitsjahr mit aller Treue weiter dafür arbeiten, daß die Frauen des werktätigen Volkes über ihre Interessen aufgeklärt werden und ihr Heil nicht erst im Jenseits erwarten, sondern es schon hier auf Erden zu er­kämpfen suchen. K. Weiß.

Tätigkeitsbericht der Beschwerdekommission

für Arbeiterinnen in Leipzig  .

Unter Mitwirkung des Gewerkschaftskartells wurde in Leipzig   aus acht Parteigenossinnen eine Beschwerdekommission gebildet, welche Meldungen der Arbeiterinnen über gesetzwidrige, ge­sundheitsschädliche Arbeitsbedingungen entgegennehmen, prüfen und eventuell an die Fabrikinspektion weiter übermitteln soll.

Im ersten Jahre ihres Bestehens, vom 1. Juli 1901 bis 1. Juli 1902, sind bei ihr 28 Beschwerden eingegangen. Davon konnten 9 feine Erledigung finden: 2 weil es sich um unsichere Denunziationen von dritter Seite handelte, die den näheren Erkundigungen nicht stand hielten; 2 weitere, die ohne jede Adresse waren und deshalb Nachforschungen ausschlossen; 1 weil die Beschwerde zu spät ein­gereicht worden war, und 4 endlich, bei denen Uebelstände in Betracht tamen, gegen die keine gesetzlichen Bestimmungen vorhanden sind. So wurde zum Beispiel das eine Mal darüber geklagt, daß in einer Gummiwarenfabrit für 5 Minuten Zuspätkommen 25 Pfennig Strafe abgezogen wurden und die Arbeiterin außerdem noch bis 8 Uhr aus­setzen mußte 2c.

Von den übrigen 19 Beschwerden bezogen sich 11 auf ungehörige Verhältnisse in Fabriken, fehlende Schutzvorrichtungen, unpünktlichen Arbeitsschluß an Sonnabenden, mangelnde oder schlechte Wasch-, Um­