Nr. 3.

Die Gleichheit

13. Jahrgang.

Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 3189) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart  

Mittwoch den 28. Januar 1903.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Cuellenangabe gestattet.

Inhalts- Verzeichniß.

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Frauen arbeit und Krise. Von Else Feld. Ein Fortschrittchen. Die Hausfrau als Finanzminister. Plauderei von Brutus. II.- Aus der Be­wegung. Feuilleton: Der Garten. Von Albert Gnutzmann. Autorisierte Übersetzung von Wilhelm Thal. Johanne Schackow+ Notizenteil: Gewerkschaftliche Arbeiterinnenorganisation. Das Ende des Meeraner Weberausstandes. Frauenbewegung. Änderungen und Ergänzungen der Adressen weiblicher Vertrauenspersonen.

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Frauenarbeit und Krise. EX

Als in der Mitte des 19. Jahrhunderts in England eine furcht­bare Krise Arbeiter und Arbeiterinnen ihres Erwerbes beraubte, beobachtete man einen Rückgang der Kindersterblichkeit. Die Ar­beitslosigkeit, welche die Frau brotlos machte, gab ihr die Mög lichkeit, ihre Aufgabe in der Familie zu erfüllen, gab die Mutter ihrem Kinde zurück. Auch die gegenwärtige Krise hat die Ar beiterschaft zu Tausenden aus der Werkstätte vertrieben und hat sie zu Tausenden arbeitslos und brotlos gemacht. Sind aber heute auch die Frauen von der Arbeitslosigkeit betroffen? Gibt auch heute der wirtschaftliche Niedergang die Frau dem Hause zurück zu geschäftiger Fürsorge für die zarte Jugend?

Die Berichte der preußischen Gewerbeinspektion für das Jahr 1901 sprechen nicht für eine solche Erscheinung. Da zählte man neben 1878 474 Männern, deren Zahl um 18 480 gegen das Vorjahr abgenommen hat, 400 354 Frauen, das ist 6540 mehr als im Vorjahr. Wenn man die Frau allein als Erwerbende betrachtet, so würde diese Zunahme für sie ein erfreu­liches Resultat melden. Schiene es doch, als ob in der allgemeinen Arbeitsnot die Frau vor Erwerbslosigkeit bewahrt sei, als ob ihr das Arbeitsfeld offen bliebe, ja sogar sich erweitere! Anders aber sieht diese Erscheinung vom Standpunkt der Arbeiterfamilie, der Arbeiterklasse aus. Eine Zunahme der arbeitenden Frauen bei gleichzeitiger Abnahme der männlichen Arbeiter legt die Deutung nahe, daß weibliche Arbeitskräfte die männlichen verdrängt haben, und das hieße: Der bisherige Ernährer der Familie ist brotlos und an seine Stelle tritt die Frau in die Fabrik ein, um für die Hälfte oder zwei Drittel des Lohnes seine Arbeit zu verrichten.

Ein genaueres Bild von der Zu- und Abnahme der Arbeiter­schaft in den einzelnen Industrien, soweit es die Berichte der Ge­werbeaufsichtsbeamten geben, lehrt übrigens, daß auch die arbeitende Frau von den schlimmen Folgen der Krise nicht verschont ge­blieben ist, insbesondere in der Textilindustrie. In den meisten Aufsichtsbezirken hat die Zahl der in Tertilfabriken beschäftigten Arbeiterinnen abgenommen. In Hannover  , Osnabrück  , Aurich  wurden im letzten Jahre 437 Textilarbeiterinnen entlassen, in Düsseldorf   467( obgleich die Zahl der Betriebe mit weiblichen Arbeitskräften um 123 stieg), in Erfurt   655, in Frankfurt  ca. 1000, in Berlin- Charlottenburg   2c. sogar 2157, das ist 33,3 Prozent aller in diesem Bezirk beschäftigten Tertilarbeiterinnen, Entlassungen hatten auch eine große Zahl von Frauen in der Lederindustrie, in Ziegeleien in den rheinischen Bezirken, in den Zuckerfabriken der Provinz Sachsen   und einer Reihe anderer Fabriken der Nahrungs- und Genußmittelindustrie zu erleiden. Wo es nicht zu Entlassungen kam, ist überall der Arbeitsverdienst durch Verkürzung der Arbeitszeit geschmälert worden.

Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" sind zu richten an Frau Klara Zetkin  ( Bundel), Stuttgart  , Blumen­Straße 34, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

In welchem Grade diese Arbeitseinschränkungen auch die Frauen trafen, beweist die in den Berichten häufig wiederkehrende Mit­teilung, daß die Zahl der Gesuche, in denen die Erlaubnis zur Beschäftigung der Arbeiterinnen über die gesetzlich festgelegte Ar­beitszeit gefordert wurde, auf die Hälfte und ein Drittel, ja für einzelne Industrien auf ein Zehntel sank.

Die Berichte lassen also keinen Zweifel darüber, daß eine große Masse von Arbeiterinnen von der Ungunst der Verhältnisse schwer betroffen wurde. Neben diesen Mitteilungen von der Entlassung vieler Arbeiterinnen erscheint es aber um so bedeutsamer, daß die Gesamtzahl der arbeitenden Frauen zugenommen hat. Denn da, wie oben festgestellt, viele Arbeiterinnen der Textil- und anderer Industrien ihre Stellen verloren, so muß die Zahl solcher Stellen, die weiblichen Händen neu zufielen, um so größer gewesen sein. Und es fehlt in den Berichten in der Tat nicht an Angaben, die zu einem solchen Gedanken berechtigen.

Eine zahlenmäßige Vermehrung der arbeitenden Frauen hier zu Hunderten, dort zu Tausenden bei gleichzeitiger Abnahme der männ lichen erwachsenen Arbeiter ist in sehr vielen Bezirken beobachtet worden. So in Westpreußen  , Oppeln  , Berlin  , Magdeburg  , Schleswig  , Lüneburg  - Stade  , Minden  , Düsseldorf  , Aachen   und Sigmaringen  . Am lautesten sprechen die Zahlen aus dem Ber­ liner   Bezirk, wo im letzten Jahre eine Zunahme der Arbeiterinnen um 6100, das ist 10 Prozent( gegen 7,2 Prozent im Vorjahr), festgestellt wurde, während die erwachsenen männlichen Arbeiter in der Statistik der Gewerbeinspektion sich um 1,3 Prozent vermindert haben. Diese Zunahme, welche die Aufsichtsbeamten mit ihrer Zählung nachweisen, findet nicht eine richtige oder ganz gewiß keine ausreichende Erklärung darin, daß die neuerdings veränderte Art und Weise der Zählung ein verändertes Ergebnis verursacht. Eine Reihe von Mitteilungen in den Berichten, die von den all­gemeinen Urteilen der Berichterstatter noch bestätigt werden, er­geben vielmehr, daß ein tatsächlicher Zuwachs an Industrie­arbeiterinnen stattgefunden hat.

Nach einer Anzahl von Äußerungen wäre die Zunahme damit zu erklären, daß in einzelnen Bezirken in gewissen Industrien neue Betriebe errichtet und bestehende vergrößert worden sind. Und es fanden in der Tat etliche Hundert Arbeiterinnen aus diesem Grunde neue Arbeitspläge in Zigarrenfabriken( Minden  ), Konserven fabriken( Posen, Magdeburg  ), Papierfabriken( Posen, Berlin  , Merseburg  ) und in der Bekleidungsindustrie, die im letzten Jahre in Berlin  , Erfurt  , Schleswig  , Hannover   und Minden   eine erhebliche Zunahme von Arbeiterinnen aufweist. Es scheint also, daß gerade einige Industrien mit viel Frauenarbeit nicht unmittel­bar von der Strise betroffen wurden, und daß hierauf das relativ so starke Anwachsen der Frauenarbeit zurückzuführen sei. Man muß für diese Industrien allerdings eine solche Erklärung gelten lassen; man kann für sie nicht feststellen, ob der Zuwachs an weiblichen Arbeitskräften auch auf einem Ersatz männlicher Arbeiter beruht.

Ohne Zweifel aber läßt sich eine solche Verschiebung in einer Reihe anderer Industrien nachweisen; denn nach ausdrücklichen Mitteilungen der Inspektoren traten schlechter entlohnte Frauen an die Stelle von Männern in der Metallindustrie, in elektro­technischen Fabriken und in Kohlengruben.

Das Interesse der Unternehmer an billiger Arbeitskraft führt sicherlich oft zur Verwendung einer weiblichen an Stelle einer