Die Kreiskonferenz für den Reichstagswahlkreis Nieder­ Barnim   beschloß die Bildung eines Zentralwahlkomitees, in das Genossin Ihrer als Kreisvertrauensperson der sozialdemokratischen Frauen gewählt wurde.

Die preußischen Genossinnen werden das vereinsgefeßliche Ein­tagsrecht als Staatsbürgerinnen energisch ausnutzen und zwar bei jeder ausgeschriebenen Wahl. Auf Grund einer Verständigung mit den Genossen werden sie sich jetzt wie später entscheiden, ob es praktisch erfolgreich ist, einen eigenen Wahlverein zu gründen oder mit den Genossen zusammen einen Wahlausschuß zu bilden oder aber das eine wie das andere zu tun. Zweckmäßigkeitsgründe be­stimmen den Weg, den die Frauen beschreiten, und den bahnen zu helfen die Pflicht wie das Interesse der Genossen heischt. Heißer als je wird der bevorstehende Wahlkampf. Wichtiger, unentbehrlicher als je ist deshalb die Frau als Mitstreiterin. Geschart ums rote Banner ziehen Proletarierinnen und Proletarier zur Schlacht gegen den ge­meinsamen Feind, zum glorreichen Siege.

Notizenteil.

Weibliche Fabrikinspektoren.

Wie Fabrikinspektorinnen ihre Tätigkeit ausüben sollen. In dem kürzlich für 1902 erschienenen Jahresberichte der badischen Fabrifinspektion ist im Wortlaut ein Brief abgedruckt, mit welchem die frühere Assistentin, Fräulein Dr. v. Richthofen, die Anfrage beantwortet, ob während der Zeit ihrer Tätigkeit im Gewerbeauf­sichtsdienste sich Arbeiterinnen an sie gewandt hätten in Dingen, über welche mit Männern zu reden Frauen berechtigte Scheu tragen; ferner ob sie bejahenden Falls zu der Überzeugung ge­langt sei, daß diese Dinge nicht zur Aussprache gelangt sein würden, wenn den Arbeiterinnen nicht Gelegenheit geboten gewesen wäre, sich an einen weiblichen Beamten zu wenden. Der Brief lautet: Während ich bei der Fabritinspektion war, haben sich Arbeiterinnen ohne vorherige Anregung überhaupt selten an mich gewandt. Dinge, welche nicht ebensogut mit Männern hätten verhandelt werden können, wurden dabei von den Arbeiterinnen ihrerseits nicht berührt. So­bald ich aber Fragen an sie richtete, die speziell die Hygiene des weiblichen Organismus betrafen, waren sie gerne bereit, mir Auskunft zu geben und offenbar dankbar dafür, daß auf solche Dinge ein Augenmerk gerichtet wurde. Ich erinnere mich eines Falles, wo mir Weberinnen über die nachteiligen Folgen des anhaltenden Stehens während der Schwangerschaft berichteten und hinzufügten:" So etwas fragen die Herren eben nicht!" Ein anderer Fall, der die Beschäftigung eines jungen Mädchens an einer mit dem Fuß zu bewegenden Stanzmaschine betrifft, ist im Jahresbericht erwähnt( wir kommen darauf zurück). Hier hätte jedenfalls das Mädchen seine Klagen einem Herrn nicht vorbringen mögen; sie war aber erst auf meine Fragen damit herausgekommen. Meines Erachtens liegt der Schwerpunkt der Wirksamkeit einer Frau im Gewerbe­aufsichtsdienst nicht darin, daß sie bereit ist, Klagen entgegenzu­nehmen, sondern darin, daß sie herausfindet, wo etwa Schä­digungen der Gesundheit der Frauen zu erwarten sind und dann fragt. Auf diese Weise wird sie mit der Zeit genug wert­volles Material gewinnen und in vielen Fällen Gelegenheit finden, auf hygienische Maßregeln hinzuweisen, die sonst unbeachtet bleiben. Ich habe zum Beispiel in sehr vielen Fällen mit einzelnen Arbeite­rinnen über§ 137 Absatz 5 der Gewerbeordnung( derselbe enthält Bestimmungen zum Schuße der Wöchnerinnen) gesprochen und sie auf die üblen Folgen aufmerksam gemacht, die eine verfrühte Wiederauf­nahme der Arbeit nach sich zieht. Nur eine Frau, der naturgemäß alle diese Dinge näher liegen, wird geeignet sein, sie mit den Arbeite­rinnen zu besprechen, das ist meine feste Ueberzeugung. Sie wird ihnen ihre Aufmerksamkeit in erster Linie zuwenden und sobald die Arbeiterinnen sehen, daß die Beamtin sich für ihre Gesundheitsver­hältnisse interessiert, reden sie auch darüber, was einem Manne gegen­über nicht immer der Fall ist. Diesen Eindruck habe ich während meiner Tätigkeit erhalten und gerade in der letzten Zeit, als ich zum Teil zum zweitenmale in Betriebe kam und auch sicherer im Verkehr mit den Leuten war, hat er sich befestigt."

Dieser Brief ist sehr wertvoll und kann dazu beitragen, die Tätigkeit aller Beamtinnen der Gewerbeinspektion wirksamer und erfolgreicher zu gestalten. Er ist auch ein schönes Zeugnis für die Menschenkenntnis, den offenen Blick und das soziale Verständnis der früheren Assistentin der badischen Fabrikinspektion, die sich von der Schablone frei machte und neue Wege betrat. Die von ihr ange­wendete Methode müßte aber noch größere Erfolge zeitigen, wenn die Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin  ( Bundel) in Stuttgart  .

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Arbeiterinnen organisiert und aufgeklärt wären. Hoffentlich befolgt die neue Assistentin die im Briefe enthaltenen Winke, um ihre Tätig­keit für die Arbeiterinnen recht nüßlich zu gestalten.

Die Beamtinnen der Fabritinspektion haben wirklich Grund nach dem Vertrauen und der Anerkennung der Arbeiterinnen zu streben, da sie bei den Unternehmern vielfach auf Vorurteil und bösen Willen stoßen. So wird berichtet, daß ein Fabrikant in sehr unangemessener Weise sich bei dem Amtsvorstand über die Vornahme der Betriebsrevision durch einen weiblichen Beamten beschwerte. Der Fabrikdespot war auf die Assistentin sehr wild geworden, weil sie die Anbringung eines Holzbelags auf dem Steinfußboden seiner Fabrik im Interesse der Arbeiterinnen angeordnet hatte. Das bedeutete eine unnüße Aus­gabe", eine Beeinträchtigung des Profits und darum die unverfrorene Hetze gegen die Assistentin. Auf Veranlassung der Fabrifinspektion lud der Amtsvorstand den in seinen heiligsten Geldsacksgefühlen ver­letzten Ausbeuter vor und drohte ihm mit Geldstrafen für den Fall der Wiederholung derartiger unqualifizierbarer Ausfälle.

Ueber den Verkehr mit den Arbeiterinnen wird berichtet, daß er, wenn auch langsam, Fortschritte gemacht hat, besonders in denjenigen Betrieben, in welchen die Assistentin zum zweitenmale erschien. Es wurden der Assistentin wiederholt Klagen über Mangel an Sitzgelegenheiten, über ungünstige Temperaturverhältnisse und dergleichen vorgetragen. Auch im übrigen waren die Arbeiterinnen bereit, sich über ihre gesundheitlichen und wirtschaftlichen Interessen auszusprechen. Eine gewisse Furcht vor den Vorgesetzten, besonders vor den Meistern, denen die Arbeiterinnen unterstellt sind, hemmt noch häufig die freie Aussprache und wird erst nach längerm Gespräch überwunden." Damit wird es wohl im Laufe der Zeit besser werden.

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Über den im Briefe des Fräulein Dr. v. Richthofen erwähnten Fall eines Mädchens wird im Berichte folgendes mitgeteilt: In einer Schreibwarenfabrik wurden zum Bedienen einer Presse zum Aus­stanzen von Metallblättchen, die mit dem Fuße in Bewegung zu setzen ist, Arbeiterinnen verwendet. Nachdem bei einer der Arbeiterinnen sich zweifellos infolge ihrer Arbeitsverrichtung Störungen der Unter­leibsorgane gezeigt hatten und auch eine zweite über Beschwerden klagte, wurde der Firma nahegelegt, die Arbeiterinnen an der Presse durch Arbeiter zu ersetzen, was denn auch geschah. Die Arbeit war also für Arbeiterinnen durchaus ungeeignet, sie waren der ihnen ge­zahlten geringeren Löhne wegen dazu herangezogen worden.

Auf die Arbeits- und Lohnverhältnisse der Arbeiterinnen sowie die Durchführung des Arbeiterinnenschutzes werden wir noch zurück­kommen. D. Z.

Als staatliche Assistentinnen der Gewerbeinspektion in Hessen   sind die beiden Hilfsbeamtinnen angestellt worden, die seither versuchsweise tätig waren. Fräulein Geist, welche bereits vier Jahre in Offenbach   amtiert hat, wurde zur Assistentin für Offenbach   und Darmstadt   ernannt, mit dem Site in Offenbach  . Für die Gewerbe­inspektion der Kreise Mainz  , Worms   und Gießen   wurde Fräulein D'Angelo zu Mainz   als Assistentin bestellt, die hier ein Jahr lang als Hilfsbeamtin tätig gewesen ist. Die definitive staatliche Anstellung der Assistentinnen ist einer Anregung unseres Genossen Ulrich im hessischen Landtag zu verdanken.

Quittung.

Im Februar und März gingen für den Agitationsfonds der Ge­nossinnen bei der Unterzeichneten ein: Hamburger Genoffinnen 10 Mark; Genossinnen in Neumünster   durch L. Z. 27,80 Mart  ; Genossin Ledebour   gesammelt 6 Mark; Honorar für einen Artikel im Vorwärts" L. Z. 16,10 Mart  ; 1. Quartal 1903 M. Kt. 3 Mart; Köln   a. Rh. durch Genossin Müller 50 Mark; Überschuß vom Abonnement der Gleichheit" aus Emmendingen   durch Genossin Sillmann 5 Mart; Summa: 117,90 Mark. Dantend quittiert

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Difilie Baader,

Vertrauensperson der sozialdemokr. Frauen Deutschlands  , Berlin  , SW, 29, Belle- Alliancestr. 95.

Zur Beachtung.

Alle auf die Agitation unter den proletarischen Frauen bezüglichen Briefe und Sendungen sind zu richten an:

Ottilie Baader  Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands  Berlin   SW. 29, Bellealliancestraße 95.

Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf.( G. m. b. h.) in Stuttgart  .