ersten Hälfte letzten Jahres im Verordnungsblatt der Bezirkshaupt­mannschaft Gablonz  ( Böhmen  ) erschien und an alle Bürgermeister und Gemeindeämter, die ärztlichen Totenbeschauer, sowie an alle Krankenhausverwaltungen gerichtet ist. Er lautet: Aus den an die f. f. Statthalterei gelangten Berichten über das seit einigen Jahren beobachtete ungünstige Verhältnis der Todgeburten im hiesigen Ver­waltungsgebiet geht hervor, daß neben allgemein sozial- hygienischen Ursachen, insbesondere der oft tristen Lebens- und Erwerbsverhält nissen, wohl auch sanitäre Schädlichkeiten lokalen Charakters zur auf­fällig hohen Zahl der Todgeburten im hiesigen Bezirke nicht unwesentlich beitragen. Außer der irrationellen Ernährungsweise und dem mangeln den Sinn für Wohnungsbedürfnisse, welche die kräftige, normale Stelets­entwicklung hindern, sind es wohl in erster Linie die schwere Fabriks­arbeit jugendlicher Mädchen, insbesondere der Mütter bis in die letzten Tage der Gravidität( Schwangerschaft), die ungenügende oft nur kurz dauernde Schonung im Wochenbett, die zu schweren chroni­schen Affektionen der Geburtswege führen und in der Folge zu schlech­ten Geburtslagen, frühzeitigem Absterben und zu mangelhafter Ent­wicklung der Früchte Veranlassung geben.... Es ist daher seitens der Gemeinden zufolge Statthaltereierlasses vom 16. April 1902 3. 50906, besondere Sorge darauf zu verwenden, daß jede Gemeinde zur Hilfsleistung für die daselbst wohnenden armen Gebärenden ge­burtshilfliche Assistenz durch Hebammen, die ausreichende Zahl von Hebammen sichern, mit denselben entweder eine fire Pauschalentloh­nung oder doch eine fallweise Entschädigung für die Mühewaltung bei geburtshilflichen Leistungen für Arme vereinbaren, daß die Kran­kenkassen für die weiblichen Mitglieder geleistete Hilfe den Hebam­men entsprechende Entschädigung fallweise oder pauschalweise, jedoch immer nach jeweiligem Bedarf zahle. Ferner ist dafür zu sorgen, daß in schwierigen Fällen, wo Komplitationen beim Geburtsatte vorauszusehen sind, rechtzeitig ärztliche Hilfe in Anspruch genommen und solche den Armen unentgeltlich von der Gemeinde, eventuell der Krankenkasse nach Bedarf beigestellt werde."

Es sind erschütternde Tatsachen, welche der Erlaß betreffs der Folgen kapitalistischer Ausbeutung feststellt, Tatsachen, wie sie auch in den deutschen Industriezentren vorliegen, wo die Frau von Kind­heit an einer schonungslosen Auswucherung preisgegeben ist. Laut und eindringlich reden sie von der Notwendigkeit eines wirksamen gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes und einer ausreichenden gesellschaft­lichen Fürsorge für Schwangere, Wöchnerinnen und Säuglinge. Seien die Proletarierinnen dieser Tatsachen und der sich aus ihnen ergeben­den Forderungen eingedenk. Sie werden dann ihre ganze Kraft da­für einsetzen, daß am 16. Juni die einzige Partei triumphiert, welche für Arbeiterinnenschutz und das Recht der Frau auf Mutterschafts­schutz kämpft: Die Sozialdemokratie.

Vereinsrecht der Frauen.

Zum Versammlungsrecht der Frauen in Bayern   ist eine sehr wichtige Entscheidung des Staatsministeriums des Innern gefallen. In einer Volksversammlung, die im Oktober vorigen Jahres in Würzburg   stattfand, veranlaßte der überwachende Polizeibeamte die Entfernung der anwesenden Frauen auf Grund seiner Erklärung, daß die Versammlung eine politische sei. Auf die eingelegte Beschwerde hat das Staatsministerium entschieden, daß der Beamte die Grenzen seiner Befugnisse überschritten hat. Dem Überwachenden steht lediglich das Recht zu, den Vorsitzenden darauf aufmerksam zu machen, daß ihm die Anwesenheit von Frauen als dem Gesetz zuwider erscheine, und daß er Strafanzeige erstatten werde. Ob im gegebenen Falle die Versammlung als eine politische aufzufassen sei, das zu entscheiden stehe den ordentlichen Gerichten zu. Der Entscheid des Staatsmini steriums stellt mithin fest, daß dem überwachenden Beamten unter keinen Umständen die Befugnis zusteht zur zwangsweisen Ausweisung von Frauen aus einer Versammlung oder zur Auflösung einer Ver­sammlung wegen der Anwesenheit von Frauen.

Wie der Freifinn das Versammlungsrecht der Frauen schützt, erhellt aus den folgenden Tatsachen, die sich im März dieses Jahres in Tilsit   zugetragen haben. Der Verein der Frei­ sinnigen Volkspartei   in Tilsit   hatte eine öffentliche Volks­versammlung einberufen, in welcher der Abgeordnete Goldschmidt sprechen sollte. Mehrere Frauen wollten der Versammlung beiwohnen. Einer der überwachenden Polizeibeamten erklärte dem Vorsitzenden, daß die Anwesenheit der Frauen gesetzwidrig sei und von ihm nicht geduldet werden könne. Nun steht zwar den Frauen das Recht zu, an öffentlichen politischen Versammlungen teilzunehmen, ja, seit der Hammersteinrede dürfen sie sogar im ,, Segment" in politischen Vereins­versammlungen anwesend sein: der tapfere Freisinnsmann sant jedoch sogleich vor der behördlichen Weisung in die Knie und gab ohne

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jeden Protest das dürftige Frauenrecht preis. Er entfendete ein Vor­standsmitglied zu den Frauen und ließ sie auffordern, den Versamm­lungsraum zu verlassen. Auf ihre Weigerung, der Weisung nach­zukommen, ersuchte er den Polizeibeamten, ihn in seinem Hausrecht zu schützen. In seiner Begleitung begab er sich zu den Frauen, welche die neuerliche Aufforderung zum Verlassen der Versammlung mit dem Hinweis auf ihr Recht beantworteten, ihr beiwohnen zu können. Der Vorsitzende ersuchte den Polizeibeamten darauf noch­mals, ihn bei der Wahrung des Hausrechtes zu schützen". Derselbe forderte hierauf die Frauen auf, den Anordnungen des Vorsitzenden unweigerlich zu folgen und die Versammlung zu verlassen, was nach längerem Sträuben auch geschah. Diese Vorgänge sind in mehr als einer Beziehung charakteristisch und interessant. Sie zeigen zunächst die Tatsache, daß die Frauen das ihnen gesetzlich zustehende Recht auf Beteiligung an öffentlichen Versammlungen besser kannten, als die freisinnige Lokalgröße, weshalb sie erst der Berufung auf das Hausrecht wichen. Sie enthüllen weiter die Waschlappigkeit der Frei­sinnigen, Frauenrecht gegenüber polizeilichen Übergriffen zu verteidigen. Sie beleuchten endlich die typische Philisterfeigheit, die bei allem und jedem nach der Polizei schreit. Es setzt dem Verhalten der Freisinns­helden die Krone auf, daß er gegen das gesetzliche Recht der Frauen sein Hausrecht unter dem Schutze der Polizei ausspielte. Und die freisinnige Presse, wie beurteilte sie die höchst blamablen Vorgänge? Sie hatte kein Wort des Tadels gegen die lendenlahme Haltung des vorsitzenden Jammermanns, fein Wort der Aufmunterung zum Kampfe für das gesetzliche Frauenrecht. Ihr Eintreten dafür erschöpfte sich in einem leichten, linden Schrei nach bestimmteren Instruktionen für die Polizeibehörden, die Anwesenheit von Frauen in politischen Ver­sammlungen betreffend. Dieses Wünschen erhält für den vorliegenden Fall dadurch einen pikanten Beigeschmack, daß die in Frage kommende Polizeibehörde durch ein Mitglied der Freisinnigen Volkspartei  repräsentiert wird, welches der betreffenden Versammlung beiwohnte: dem Oberbürgermeister der Stadt. Der Tilsiter Vorgang ist ein Beweis mehr, wie lau und flau der Freisinn bei Verteidigung des Rechtes der Frau auf dem Gebiet des Vereins- und Versammlungs­rechtes ist. Und diesen Freisinn wagen die Damen Augspurg   und Heymann als vornehmsten Vorkämpfer für Frauenrechte den Frauen zur Unterstützung im Wahlkampf anzupreisen! Halbheit findet sich! Der Freisinn, welcher nicht einmal gesetzlich feststehendes Frauenrecht gegen polizeiliche Übergriffe schützt auf der einen Seite, auf der anderen aber die Führerinnen des Vereins für Frauenstimmrecht", welche die Forderung des Frauenwahlrechtes in die Tasche stecken: sie sind einander wert. Die proletarischen Frauen werden bei den Reichstagswahlen beweisen, daß sie schon längst zu dieser Erkenntnis gekommen sind und wissen, wer allein in Deutschland   für das volle Recht des weiblichen Geschlechtes kämpft.

Soziale Gesetzgebung.

Gesetzlicher Schutz für das Wirtschaftspersonal in der Schweiz  . Die Basler   Vereinigung zur Förderung des inter­nationalen Arbeiterschutzes hat im Hinblick auf die Revision des fantonalen Wirtschaftsgesetzes folgende Forderungen zum Schutze des Personals aufgestellt: 1. Eine normale Nachtruhe von wenigstens 8 Stunden; für Lehrlinge und Bedienstete unter 20 Jahren von wenigstens 9 Stunden. 2. Eine feste Polizeistunde um 12 Uhr nachts, auch an Sonnabenden und Sonntagen. Für sogenannte polizeilich bewilligte Freinächte hohe Überstundenlöhne für die Bediensteten. 3. Schließung aller Restaurants bis halb 11 Uhr an Sonntagvormit­tagen( Bahnhöfe ausgenommen). 4. Alle 14 Tage am Sonntagvor­mittag eine zweistündige Freizeit für die Angestellten und in jeder Woche einen halben Ruhetag. 5. Erlaubnis für das dienende Per­sonal, sich zu setzen und regelmäßige halbstündige Eßpausen mit­tags und abends. 6. Regelmäßige Inspektion der Schlafräume und Sorge darfür, daß in denselben jeder Bedienstete sein eigenes Bett hat. 7. Konzessionsentziehung bei fortdauernden Schlafeinrichtungen, welche die Sittlichkeit der Angestellten gefährden. 8. Feste Entlohnung der Angestellten, womöglich auch Trinkgeldverbot und Schutz gegen petuniäre Schädigungen seitens der Gäste und der Wirte. 9. Die betreffenden Verordnungen sind in jedem Wirtschaftslokal gleich den Fabrikordnungen gedruckt anzubringen. Die Durchführung dieses Revisionsprogramms würde eine fühlbare Verbesserung der Arbeits­und Lohnverhältnisse des Wirtschaftspersonals bedeuten, jedoch ist darin ein ganz wichtiger Punkt vergessen: nämlich die Verpflichtung der Wirte, dem Personal heizbare bezw. geheizte Räume als Schlaf­und Wohnräume zu überlassen.

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