Frauenstimmrecht.
Für die Einführung des allgemeinen Frauenwahlrechtes in Norwegen demonstrierten gelegentlich des norwegischen Verfassungsfestes am 17. Mai die sozialdemokratischen Frauen und die organisierten Arbeiter in Christiania . Sie hatten einen imposanten Demonstrationszug veranstaltet, dem zwei weiße Banner vorausgetragen wurden mit der Inschrift:" Allgemeines Wahlrecht auch für Frauen". Ihnen folgten zunächst die proletarischen Frauenvereine mit 800-1000 Teilnehmerinnen, dann die Gewerkschaften. Im ganzen nahmen 82 Vereine am Zuge teil, der circa 5000 Personen zählte. Auf dem Festplatz waren etwa 10 000 Menschen zusammengeströmt. Nach einer Rede von Genossin Margareta Ström beschlossen die Versammelten, eine Eingabe an das Storthing um die Einführung des allgemeinen Frauenwahlrechtes zu richten. Die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen nahmen an der Demonstration feinen Teil. Die Scheidung zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung wird in Norwegen immer ausgesprochener. Dazu tragen vor allem zwei Umstände bei. Die kapitalistenfreundliche Prinzipienreiterei, mit welcher die Frauenrechtlerinnen den gesetzlichen Arbeiterinnenschutz bekämpfen. Ihre ganz schwächliche, zum Teil ablehnende Haltung zu der Forderung des allgemeinen Frauenwahlrechtes. Als Angehörige der besitzenden Klasse fühlen die Damen sich befriedigt, daß dem weiblichen Geschlecht ein Zensuswahlrecht zu den Gemeindevertretungen zuerkannt worden ist, das große Scharen proletarischer Frauen rechtlos macht. Wer erinnert sich dabei nicht, daß unsere deutschen radikalen Frauenrechtlerinnen bei dem preußischen Landtag um ein Wahlrecht der Frauen zu den Gemeinderäten petitionierten, das an eine Steuerleistung gebunden sein sollte? Der frauenrechtlerische Apfel fällt nicht weit vom kapitalistischen Stamme.
Frauenbewegung.
Die bürgerlichen Frauen und das allgemeine Wahlrecht. Gelegentlich des bayerischen Frauentags, der kürzlich in München stattgefunden hat, hielt Fräulein Dr. Schirmacher in öffentlicher Versammlung einen Vortrag über„ Die Frau im öffent lichen Leben". Die Versammlung war von dem jungliberalen Verein einberufen worden. Fräulein Schirmacher trat in ihrer Rede zwar für das Frauenwahlrecht ein, erklärte sich aber gleichzeitig sehr entschieden gegen das allgemeine Wahlrecht, weil den unteren Voltsklassen jedes politische Verständnis fehle. Das Wahlrecht, das die frauenrechtlerische Führerin für die Frau fordert, soll mithin jedenfalls auch fein allgemeines sein, vielmehr nur ein Vorrecht für die Damen der besitzenden Klassen. Dies ist wenigstens der Schluß, der sich aus ihren Gedankengängen aufdrängt, und der um so näher liegt, als ja auch die Frauen der unteren Volksklassen fehlendes politisches Verständnis" bekundet haben. In der Tat: die aufgeklärten Proletarierinnen konnten seinerzeit nicht mit Fräulein Schirmacher entdecken, daß die Damen mit dem Doktorhut die einzig berufenen Führerinnen einer einzigen Frauenbewegung sein müßten. Mehr noch sie zerschnitten das Tischtuch zwischen der proletarischen und bürgerlichen Frauenbewegung und gliederten die erstere dem großen Emanzipationsfampf des Proletariats ein. Zuletzt und nicht zum mindesten: sie haben für die persönlichen Extravaganzen des Fräulein Schirmacher, wie frauenrechtlerisches Zölibat, frauenrechtlerische Uniformierung, nie etwas anderes übrig gehabt als mitleidiges Achselzucken. Solcher Mangel an politischer Reife muß gerochen werden! Folglich: kein allgemeines Frauenwahlrecht. Überflüssig zu sagen, daß Fräulein Schirmachers Verurteilung des allgemeinen Wahlrechts von einem großen Teile der ,, Liberalen " mit lebhaftem Beifall aufgenommen wurde, ein Mitglied des Vorstandes erklärte außerdem ausdrücklich seine Übereinstimmung mit dem reaktionären Standpunkt der Referentin. Die proletarischen Frauen würden ihre schwer empfundene politische Rechtlosigkeit verdienen, wollten sie ihre Gleichberechtigung in Harmonieduselei mit radikalen Frauenrechtlerinnen und nicht im Bunde mit der Sozialdemokratie erstreben.
Frauenrechtlerische Ochsenfröschlichkeit im Kampfe gegen den Sozialismus. Die radikalen Frauenrechtlerinnen und die Damen Augspurg und Heymann wollen bekanntlich dem bürgerlichen Freifinn die Wahlhilfe der Frauen zuwenden. In Hamburg soll dieselbe besonders auf den zweiten Wahlkreis fonzentriert werden, den Genosse Diet vertritt. Die Wahlagitation der Frauenrechtlerinnen spitzt sich damit unmittelbar zu einem Kampfe gegen die Sozialdemokratie zu, gegen die einzige Partei, welche in Deutschland in Theorie und Praxis grundsätzlich für die volle Gleichberechtigung der Geschlechter eintritt. Da nicht die geringste Aussicht besteht, daß der Kandidat des Freisinns auch nur in Stichwahl kommen könnte,
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trägt die Kandidatur den Charakter einer bloßen Demonstration für die bürgerliche Gesellschaftsordnung. Die frauenrechtlerische Wahlhilfe ist im Hinblick darauf ebenfalls als eine Kundgebung für den Kapitalismus gegen den Sozialismus zu bewerten. Wäre es den Frauenrechtlerinnen darum zu tun, für„ Gerechtigkeit, Freiheit und Fortschritt" einzutreten, so müßten sie den Freisinn vor allem in solchen Wahlvereinen unterstützen und es fehlt nicht an ihnen- wo dieser gegen Konservative, Nationalliberale, Zentrümler oder andere Parteien der Rechten im Kampfe steht, wo es deshalb vergleichsweise den Fortschritt repräsentiert. Statt dessen unterstützen sie ihn in einem Wahlkreis, der sich seit langen Jahren in dem Besitz einer Partei befindet, die hundertmal entschiedener für„ Gerechtig feit, Freiheit und Fortschritt" kämpft, als es der verkommene, schwächliche bürgerliche Liberalismus tut. Die radikalen Frauenrechtlerinnen bestätigen damit, daß sie in erster Linie als Angehörige der besigenden und herrschenden Klasse empfinden und handeln und nicht als Glieder des benachteiligten weiblichen Geschlechts. Nur unter dem Gesichtswinkel dieser grundsätzlichen Bedeutung ist ihr Vorgehen bemerkenswert. Praktisch ist es für die Entscheidung des Wahlkampfes belanglos. Genosse Dietz wurde 1898 mit 21791 Stimmen gewählt, das ist mit 72,3 Prozent aller abgegebenen Stimmen. Auf den Kandidaten des Freisinns entfielen dagegen nur 4608 Stimmen. An diesen Ziffern gemessen erscheint die Wahlaktion der Hamburger radikalen Frauenrechtlerinnen im Sinne einer bürgerlichen liberalen Politit" als unverfälschte Ochsenfröschlichkeit.
Verschiedenes.
Soziale Reime des Züricher Arbeiterinnenvereins. Der Züricher Arbeiterinnenverein steht erfreulicherweise bei verschiedenen Aktionen der Arbeiterbewegung mit in Reih und Glied, und sehr gut versteht er es, durch treffende Schlager in Reimen bei Demonstrationen seinen Forderungen prägnanten Ausdruck zu geben. So führte er bei der jüngsten Maifeier im Festzuge mehrere Inschriftentafeln mit, auf denen unter anderem zu lesen war:
Das Haus- und Küchentopfidyll,
Das ihr uns rühmt, ist längst entschwunden, Auch uns mahnt die Maschine schrill
Zu Kampf und Streit für die acht Stunden.
Eine zweite, ebenso treffende Inschrift des Arbeiterinnenvereins lautete:
Wenn ihr wie wir erzogen In Sorge, Elend und Not, Ihr wäret statt aus Ärger
Aus Überzeugung rot.
Von anderen Maireimen des Festzugs seien noch die folgenden ins Schwarze treffenden Verschen erwähnt:
Und:
Mancher Arbeitgeber Wäre kein Tyrann, Wenn seine Arbeiter Keine Sklaven wären.
Gering ist der Lohn! Es ist ein Hohn, Durch indirekte Steuern Das Brot zu verteuern.
An der Landesprotestversammlung der organisierten Arbeiterschaft, die vor zwei Jahren in Bern stattgefunden und gegen die Gewalttätigkeiten der Behörden wie der Unternehmer gerichtet war, beteiligte sich auch der Züricher Arbeiterinnenverein durch eine Abordnung. Dieselbe führte eine Inschrifttafel mit, deren Verse dem Widerstand der Geldsacksvertreter im Parlament gegen die Freigabe des Samstag- Nachmittags galten und die mit Anspielung auf das Schneckenposttempo der weiteren Ausgestaltung der Sozialreform
lauteten:
Es geht die Industrie zu Grund' Am freien Samstag- Nachmittag; Ja, schafften wir wie Ihr in Bern , Die Industrie käm' auf den Hund!
Die Frage des freien Samstag- Nachmittags soll jetzt nun so gelöst werden, daß durch ein Sondergesetzchen der Feierabend an den Vorabenden von Sonn- und Festtagen auf 5 Uhr festgesetzt wird. Nach 25 Jahren Fabrikgesetz eine klägliche Reform".
dz.