18Die GleichheitNr.Z~s> Mene Tekel.Von Emanuel Seidel.Hei, wie die Tafeln sind geschmückt,Wie klar die Kerzen erglommen!Wer fingt und lacht und Rosen pflückt,Der ist zum Fest willkommen.Musik erklingt den Saal herauf,Schöne Mädchen warten aufIn leichten, losen Gewanden.Sie tanzen um das goldene Kalb,Sie fallen ihm gar zu Füße»,Sie rufen: eh' das Laub wird falb,Hilf du die Lust uns büßen!überschäumt im Kelch der Wein—Ich drücke mich stumm in den Winkel hinein.Mir schaudert das Herz im Leibe.Mir ist's, durchsichtig wird die Wand,Und draußen dicht und dichterDa drängen sich bei FackelbrandViel tausend Hungergestchter:Durchs Gewühl mit riesigem LeibHerschreitet kampfgeschürzt ein Weib,Sie trägt blutrot eine Mütze.Und steh, der Boden wird zu Glas,Und drunten seh' ich fitzenDen Tod mit Augen hohl und graßUnd mit der Sense blitzen;Särg' auf Särge rings getürmt—Doch drüberhin wie rasend stürmtDer Tanz mit Pfeifen und Geigen.Sie haben Augen und sehen's nicht,Sie prassen fort und lachen,Sie hören's nicht, wie zum GerichtSchon Ball' und Säule krachen;Lauter jauchzt der Geige Ton—Ihr Männer, ihr Weiber von Babylon»Mene, Tekel, Upharfin!Der heilige Ochse oder Triumphder Lüge.Von August Strindberg*Im Lande der Pharaonen, wo das Brot so teuerwar und es Religion in so unerhörter Menge gab, woalles heilig war, nur die Steuerzahler nicht, wo derheilige Mistkäftr seine heiligen Dreckkugeln zusammen-rollte unter dem heiligen Schutze der heiligen Religion,da stand ein junger Fellah eines schönen Tages, als derheilige Nil seinen geheiligten Schlamm am Fuße derwehenden Palmenbäume abgesetzt hatte, und sah derfreudevollen Verrichtung zu, durch die der Stier Alexanderim Begriff war, sein Geschlecht fortzupflanzen, ohne wasvon den dreißig Jahrhunderten zu wissen, die vomGipfel der Pyramiden ihre historischen Blicke auf seineFrühlingsarbeit warfen.Da erhebt sich eine rote Sandwolke am nördlichenHorizont, und eine Reihe von Kamelköpfen steigt allmählich über die zitternde Wüstenfläche, nähert sich,nimmt an Größe zu, und der Fellah wirft sich bangezu Boden vor den drei Priestern des Osiris mit ihremgeistlichen Gefolge.Die Priester steigen von den Kamelen, ohne demFellah, der aus dem Bauche liegt, die geringste Auf-merksamkeit zu schenken. Der unbändige Stier hat sichnämlich die neugierigen Blicke der geistlichen Herren zu-gezogen. Sie treten näher und untersuchen das feurigeTier vom Wirbel bis zur Zehe, kneifen es in die Seiten,gucken ihm in den Mund, und plötzlich kommt ein Bebenüber sie, sie fallen auf die Knie und stimmen einenPsalm an.Als der Stier seine Pflicht gegen das kommendeGeschlecht getan, beschnüffelte er seine unvermuteten An-beter, worauf er sich umdrehte und ihnen mit demSchwänze langsam übers Gesicht fuhr.Nachdem aber die guten Priester wieder auf dieFüße gekommen ivaren, richteten sie ihre Rede an denarmen Fellah, der nicht mehr wußte, wo er zu Hause war.„Glücklicher Sterblicher, unter deinen unreinen Händenhat die Sonne den Ochsen Zlpis geboren werden undaufwachsen lassen, die eintaufendsechzehnte Inkarnationdes Osiris."„Die Herren müßten ihn lieber Alexander nennen,"erwiderte der verblüffte Fellah.„Schweig, du Erzrindvieh, dein Stier hat die Markedes Mondes auf der Stirn, er hat die Zeichen auf denSeiten und den Mistkäfer unter der Zunge. Er ist einSohn der Sonne."* Airs„Moderne Fabeln". Hermann Seemann Nachf. Berlinund Leipzig.„Nein, gewiß nicht, liebe Herren, sein Vater war derBeschäler des Dorfes."„Fort, du Kröte," schrien die Priester wütend,„vondiesem Augenblick an gehört der Stier nicht mehr dir,kraft des priesterlichen Gesetzes von Memphis."Vergebens suchte der arme Fellah gegen diesen Ein-griff ins private Eigentumsrecht Einwendungen zu machen.Die Priester taten ihr Bestes, um seine schwache Auf-fassungsgabe zu erleuchten, aber es war ihnen nichtmöglich, ihm begreiflich zu machen, daß der Stier einGott sei; sie legten ihm schließlich ein unverbrüchlichesSchweigen auf über die Herkunst des Rindes und warennicht säumig, es fortzuführen.***Der Tempel des Apis wurde von den Strahlen derMorgensonne beleuchtet und bot einen unvergleichlichenAnblick, der auf die Uneingeweihten überwältigend undgeheimnisvoll wirkte, aber eher lächerlich auf die Ein-geweihten, die seine Zeichen, welche nichts bezeichneten,zu deuten verstanden.Eine Schar Bauersftauen hatte sich vor dem großenPylon versammelt und wartete den Augenblick ab, wodas Tor geöffnet werden und man sie von ihren Milch-Kütten befreien würde, die sie für Rechnung des sogenanntenneugeborenen Gottes dahin gettagen hatten.Endlich war aus dem Innern des Tempels derdüstere Klang eines Horns zu hören, und eine kleineLuke wurde m dem großen Tor geöffnet. Die Buttenwurden von unsichtbaren Händen in Empfang genonimenund die Luke wieder zugeschlossen.Im Innern des Tempels aber, im Allerheiligsten,stand der Stier Alexander in seiner Zelle und kaute aneinem Bündel Heu, nach der niederen Priesterschaftschielend, die dabei war, Butter zu den Honigkuchen zubuttern, welche die höhere Priesterschaft die Güte hatte,im Namen des Gottes Apis zu verzehren.„Die Milch fängt an, schlechter zu werden," ließ sicheiner aus.„Der zunehmende Unglaube!" erwiderte ein anderer.„Willst du Platz machen, du Esel," schrie ein dritter,dabei, den Stier zu striegeln, und ließ seinen Worteneinen Tritt vor die Brust folgen.„Es geht zurück mit der Religion," fing der erstewieder an.„Zum Teufel mit den Religionen, wenn die Geschäftenicht mehr gehen."„Ja, aber es ist jedenfalls eine Religion ftirs Volknötig! Und dann diese ebenso gern wie eine andere."„Dreh dich um, du Kracke," hörte man wieder denStierhüter, der im Striegeln fortftchr,„morgen sollst duden lieben Gott spielen, daß der Teufel die Gemeindeholt."Und alle Priesterschaft brach in Lachen aus, in einrückhaltloses, aufrichtiges Lachen, auf das sich eine auf-geklärte Priesterschaft so gut versteht.Den Tag darauf, auf den das Fest angesetzt war,wurde der Gott Apis, mit Girlanden und Blumenkränzenbedeckt und mit seidenen Bändern umwunden, eine ScharKinder und Musikanten vor sich, in festlichem Zuge ringsum den Tempel geführt, um die Huldigung des Volkesentgegenzunehmen.Alles ging so gut wie möglich, und nichts störtewährend der ersten Halbstunden die Freude. Aber derboshafte Zufall fügte es, daß der frühere Besitzer desarmen Alexander, der von Sorgen um die Steuer ge-ritten wurde, am selben Morgen seine Kuh zum Marktnach der Stadt geführt hatte, um sie zu verkaufen. Undsie stand noch da, als der Festzug aus einer angrenzendenStraße hervorwogte und den Gatten an ihre Seite führte,von dem sie während so vieler Monate von Tisch undBett getrennt gewesen. Dieser, der nach seinem auf-gezwungenen Strohwitwerstand unglaubliche Kräfte insich fühlte und jetzt von dem besonderen Geruch seinerfrüheren Ehehälfte angelockt wurde, ließ, die Pflichten,die ihm seine Eigenschaft als Gott auferlegte, vergessend,seine Götterrolle fallen, warf seine Wächter zu Bodenund stürzte seiner Gattin entgegen.Die Situatton wurde ernst, und man mußte sie,wenn möglich, retten. Zum Unglück für die Priesterwar die Freude des Fellahs, seinen Stier wiederzufinden,allzu groß, als daß er sich zurückhalten konnte, und er,der bereits außer sich war, begann zu rufen:„Ach, du mein armer Alexander, wie habe ich dichvermißt!"Aber die Priester hatten ihren Widerspruch fertig:„Er lästert! Tod dem Heiligtumschänder!"Der Fellah, der in einem Nu von dem wütendenHaufen mürbe geschlagen war, wurde von der Polizeiin die Hand genommen und vors Gericht gezogen. Auf-gefordert, die Wahrheit zu sagen, blieb der Fellah stand-hast dabei, daß der Ochse ihm gehöre, und daß er unterdem Namen Alexander in seinem Dorfe als Gemeinde-stier gedient habe.Aber es komme jetzt nicht darauf an, ein Faktum zukonstatieren; der Fellah habe sich nur gegen die Anklagezu verteidigen.„Hast du oder hast du nicht den heiligen Ochsen da-durch geschmäht, daß du ihn Alexander nanntest?"„Gewiß habe ich ihn Alexander genannt, da..„Genug! Du hast ihn Alexander genannt."„Da... es die Wahrheit ist."„Man darf nicht die Wahrheit sagen."„Soll man denn lügen?"„Man sagt nicht lügen; man benutzt den Ausdruck:die Ansichten anderer respektieren."„Welcher anderer?"„Das weißt du wohl... seines Nächsten... allerMenschen."„In diesem Falle, würdiger Richter, geruhet, meineAnsicht von dem Stier zu respektteren und laßt mich inFrieden!"„Aber, du Dummkopf, die anderen, nicht du, be-greifst du."„Ja, ich begreife, die anderen, das sind alle außerdem Fellah."„Willst du mich vielleicht verhören? Geh deinerWege; die Priester dürfen nach Gutdünken mit dir ver-fahren."Zum Tempel des Osiris geführt, fand der Fellahden Oberpriester empfänglicher für Gründe, als er zuhoffen gewagt hatte.Es sei ohne allen Zweifel der Stier Alexander, daswolle er nicht bestreiten, aber man dürfe es nicht sagen,weil... genug... da nun einmal die Gesellschaft aufstilles Übereinkommen sich aufbaue, sei es durchaus not-wendig, die Ansichten der anderen zu respektieren.„Aber warum denn, in des Himmels Namen, nichtdie Überzeugung des Fellahs respektieren, da er ja auchein anderer ist im Verhältnis zum Haufen."Der Oberpriester, ein ehrlicher Mann, der das Herzauf dem rechten Fleck hatte, fühlte sich aller Diebskniffemüde und war von dem ungekünstelten Gesichtspunktdes Fellahs gerührt. Er fand die Gelegenheit günstig,Reformen vorzuschlagen, und nachdem er sich mit allenseinen Amtsbrüdern beraten hatte, ließ er das Volk, dassich vor den Pylonen zusammengerottet hatte, in dieVorhalle, und nachdem er den Ornat abgelegt, stieg er,in eine bürgerliche Tunika gekleidet, auf dm Altar, umzum Haufen zu sprechen.„Meine Kinder," fing er an.Aber unter dem bestürzten Volke, das ihn nicht mehrwiedererkannte, entstand eine Bewegung.„Meine Kinder," rief der Oberpriester aus,„dieTracht macht nicht den Mann. Seht ihr nicht, meineFreunde, daß ich es bin, der Oberpriester des Osiris!"Der Haufe fing an zu murmeln.„Nun denn, meine Kinder, die Stunde ist jetzt ge-kommen, euch in die heiligen Mysterien einzuweihen.Werdet nicht bange! Ich bin nur ein einfacher Sterb-licher, wie ihr alle, und um euch zu beruhigen, habe ichdie bis auf die Füße reichende Kleidung abgelegt. Ihrhabt den Stier, das Sinnbild der allbefruchtenden Sonne,für den Gott selbst genommen."Und sich an die Priester wendend, ftlhr er fort:„Zieht den Vorhang von der Vorhalle zurück!"Der Haufe, der niemals das Innere des Tempelsgesehen hatte, warf sich vor den Sphinx- und Osiris-bildwerken auf die Knie, die durch die halboffenen Vor-hänge schimmerten. Niemand wagte dahin zu blickm.„Steht auf," donnerte der Priester,„steht auf! Undzieht nun den zweiten Vorhang fort!"Der Vorhang erhob sich. Und vor den bestürztmAugen des Volkes offenbarte sich ein ganz gewöhnlicherStall im Hintergrund des Tempels, und da lag derheilige Ochse ganz ungeniert und wiederkäute.„Wir sehen hier den Stier Alexander," rief derPriester,„ihr glaubt, es sei ein Gott, und doch ist esnur ein armes Rind, oder nicht, Fellah?"Da aber entstand ein fürchterliches Geschrei, und inall dem verworrenen Lärm brach eine Fraumstimme mdie Worte aus:„Tempelschänder! Nieder mit dem Lästerer, demLügner."Und in weniger als einer Minute war der Ober-priester von den Weibern erwürgt, hinausgeschleppt undin einen Brunnen geworfen.Und dieselbe Behandlung widerfuhr dem Fellah, derdie heilige Lüge geschändet hatte.Aber die Priester glaubten am besten zu tun, wennsie die Vorhänge herabließen und ihre Zuflucht zumAllerheiligsten nahmen, wo sie mit ihrer heiligen Vieh-zucht fortfuhren und für und für ihr Leben der Ver-ehrung des alleinseligmachenden Jrttums widmeten.BerantworUtch für die Redaltion! Fr. Klara Zetkin(Zündet), Wilhelmshöh«Post Degerloch bei Stuttgart.Druck und Verlag von Paul Singer in Stuttg-�