Beilage zur Gleichheit Nr. 18 Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands  für die Zeit von August 1905 bis Ende Juli 1906. Die neuen Zoll- und Steuergesetze mit ihrem vielge- staltigen schlimmen Gefolge für das Proletariat in seiner Gesamtheit, wie für jede einzelne Arbeiterfamilie, haben das weibliche Proletariat in hohem Grade empfänglich gemacht für unsere Propaganda. Die proletarische Hausfrau und Mutter empfindet die Not am schmerzlichsten, wenn sie ihre Lieben darben sieht. Hand in Hand mit der Aushungerungs- Politik gingen Versuche, die Ausbeutung und Knechtung des werttägigen Volkes zu verschärfen. Mit gesteigerter Bruta- lität trat das Unternehmertum den Bestrebungen ent- gegen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Die herrschenden Klassen scheuten in den Einzelstaaten nicht vor Wahlrechtsräubereien, Eskamotierung der Koalitionsfreiheit und Schulverpfaffung zurück. Kurz, die bürgerliche Gesellschaft verschärfte auf der ganzen Linie den Klassenkampf �gegen das Proletariat. Diese Situation hat dazu beigetragen, unsere Agitation recht fruchtbringend zu gestalten. Auch das Beispiel des heroischen Freiheitskampfes unserer Brüder und Schwestern in Rußland   hat unsere Arbeit gefördert. Es entzündete Begeisterung und entfachte Kampfesmut in mancher Proletarierbrust, erweckte Kampfesfreudigkeit in mancher Proletarierin. Tausende von Versammlungen legen Zeugnis ab, wie auftüttelnd die Talsachen gewirkt haben. Um die Lage im Dienste der sozialistischen   Idee zu nutzen, haben unsere Agitatorinnen bis zur Erschöpfung gearbeitet. In unzäh ligen Versammlungen haben sie die Ursachen der leiblichen und geistigen Not der ausgebeuteten Klassen dargelegt und den Weg gezeigt, der zur Erlösung führt. Die Schar unserer Anhängerinnen ist unaufhörlich gewachsen. Von der allge meinen aufklärenden Agitation zur Verbreitung der sozia- listtschen Auffassung abgesehen, hat die proletarische Frauen- bewegung Vorgänge des öffentlichen Lebens, charakteristische Zeiterscheinungen ausgenutzt, um die Proletarierinnen von der Notwendigkeit zu überzeugen, am Kanipfe ihrer Klasse teilzunehmen. So boten ihr die Soldatenmißhand- lungen und Bluturteile militärischer Gerichtshöfe Anlaß, eine kräftige Agitatton gegen den Militarismus u entfallen. Das geglückte Attentat der Reaktion in Preußen, -« das Schulverpfaffungsgefetz die geistige Unfrei- , Weigern, in der di« Sembc* Proletariats h»ran- f. sollen, rief neben den Genossen die Genossinnen n Kampfplatz. Das um so mehr, als in ihren Kreisen KR r Frauenkonferenz in Bremen   die Beschäftigung ' et Schul- und Erziehungsfrage nicht zum Still- gekommen ist, sie ist fortwährend eine sehr rege 8|sen. feie ausgedehnte Diskussion überJugend und »zialismus" in derGleichheit" wurde durch die ndliche Erörterung der Materie ergänzt. In öffentlichen e in Vereinsversammlungen sowie in Diskussionsabenden . die Schul- und Erziehungsfrage behandelt worden. Es ourden des weiteren mehrere Agitationstouren veranstaltet, a denen sachverständige Persönlichkeiten über die Frage rächen. Das Interesse der Frauen an den betreffenden eranstaltungen ist begreiflicherweise ein sehr reges gewesen. Unsere Mütter haben das brennende Verlangen, ihre Kinder im sozialistischen   Geiste zu erziehen. In innerem Zusammenhange mit der Schul- und Er- ziehungsfrage drängte sich den Genossinnen ein anderes Problem auf. Ich meine das der Kinderarbeit und des Kinderschutzes. Die kapitalistische Kinderaus- beutung ist ein schweres Hindernis für Unterricht und Er- ziehung. Die Genossinnen bemühten sich, die durch das Kinderschutzgesetz geschaffene Lage nach besten Kräften im Interesse der proletarischen Kleinen auszunutzen. Volks- und Vereinsversammlungen wurden diesem Zwecke dienstbar gemacht. Als mit Ende des Jahres 190b die bis dahin gellenden Ausnahmebestimmungen, betreffs des gesetzlichen Kinderschutzes, außer Kraft traten, wies die Unterzeichnete in einem Zirkular an die Vertrauenspersonen aufs neue auf die Pflicht der Genossinnen hin, ihr möglichstes im Kampfe gegen die Kinderausbeutung und zur Durchführung der geringen Schutzbestimmungen des Gesetzes zu tun. Das Rundschreiben informierte gleichzeitig über die Ausnahme- bestimmungen, die in Wegfall kamen, und über das etwas vermehrte Maß des gesetzlichen Schutzes der Kinder. In Manchen Orten sind von den Genossinnen Kinderschutz- kommissionen gebildet worden, die für die genaue Durchführung der gesetzlichen Vorschriften wirken. Die ge- samte von den Genossinnen in dieser Sache entfaltete Tätig- leit hat viel dazu beigetragen, die Frauen im Proletariat über die Verderblichleit der Kinderarbeit aufzuklären und ihnen die Erwerbsarbeit ihrer Kleinen als ein Unrecht zum Bewußtsein zu bringen, so daß sie demgemäß in der eigenen Familie auf die Heranziehung der Kinder zum Verdienen verzichten. Die Herausgabe der Broschüre überDie Kinderarbeit und ihre Bekämpfung" von Käte Duncker   soll dazu beitragen, den Blick der Genossinnen für ihre Aufgaben im Kampfe gegen das Kindereleud zu schärfen, fle aber auch mit Material und Schulung auszurüsten, um diese Aufgabe mit Erfolg zu lösen. Selbstverständlich hat die proletarische Frauenbewegung pflichttreuen Anteil an allen Aktionen der Sozialdemokratie genommen. Der Jahrestag des Ausbruchs der russi- schen Revolution war nicht bloß eine Sympathieerklärung für dieselbe gewidmet, sondern er leitete auch einen zähen Kampf für vermehrte Rechte und Freiheiten der Arbeiterklasse ein. Dem reakttonären Streben der Herr- schenken Klassen nach stärkerer politischer Knebelung des arbeitenden Volkes wurde die Losung entgegengestellt nach Beseitigung der Klassen, der Geldsacksparlamente, nach Einführung des allgemeinen, gleichen, gehei- men und direkten Wahlrechts für alle über 20 Jahre alten Statsangehörigen ohne Unterschied des Ge- schlechts. Besonders kamen für diesen Kampf die Staaten des Dreiklassenwahlrechts und der Wahlrechtsattentate in Betracht: Preußen, Sachsen  , Hamburg  , Lübeck  . Der prole- tarischen Frauenbewegung erwuchs durch die Wahlrechts- bewegung eine zweifache Aufgabe. Sie mußte energisch dafür arbeiten, daß die Proletarierinnen überall ziel- klaren Anteil an dem Kampfe nahmen. Sie mußte gleichzeitig darauf bedacht sein, daß in diesem Kampfe auch die Forderung des Frauenwahlrechts nicht vergessen, sondern gebührend vertreten wurde. Sie hat nach beiden Richtungen hin mit Erfolg gewirkt. Die Unterzeichnete ließ es sich angelegen sein, den hervorgehobenen Gesichtspunkten entsprechend eine einheitliche und planmäßige Beteiligung der Genossinnen herbeizuführen. Zuerst trat sie zu diesem Behufe an die Genossinnen in Sachsen   heran, wo die spätere allgemeine Wahlrechtsaktion bereits im November 1905 in Gestalt imposanter Demonstrattonsversammlungen ein Vor- spiel hatte. Sie richtete ein Rundschreiben an die Ver- trauenspersonen, in dem sie diese aufforderte, die Proletarie- rinnen zur regen Beteiligung an der Parteiaktton aufzurufen, gleichzeitig aber auch, gestützt auf die Beschlüsse des Dres- dener Parteitags und des Amsterdamer internatio- nalen Sozialistenkongresses, mit allem Nachdruck das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht für beide Geschlechter zu fordern. Die sächsischen Genossinnen haben im Sinne des Zirkulars gehandell. Ihre Beteiligung bewirtte, daß die mehrfach von den Genoffen vergessene Forderung des Frauenwahlrechts noch in beson- derer Refolutton ausdrücklich erhoben wurde. Als die Wahl- rechtsbewegung für die übrigen Teile Deutschlands   vor- bereitet und in Fluß gebracht wurde, wandte sich die Unter- zeichnete an die Verlrauenspersonen der Genossinnen mit einem Rundschreiben, das ebenfalls die oben erwähnten Punkte hervorhob. In einem weiteren Zirkular forderte sie die sozialdemokratische Presse auf, in ihren Wahlrechts- artikeln auch die Forderung des Frauenwahlrechls zu ver- treten. Ein Aufruf inahnte die Proletarierinnen daran, daß es ihre Pflicht als Frauen, Mütter und Arbeiterinnen sei, sich zahlreich an den Demonsttationen zu beteiligen und mit der Sozialdemokratie zusammen volles polittsches Bürgerrecht für alle noch rechtlosen, über zwanzig Jahre alten Staats- angehörigen zu fordern, die Frauen dabei inbegriffen. Soweit Berichte vorliegen, ist die Beteiligung der prole- tarischen Frauen an den Wahlrechtsversammlungen eine außerordentlich zahlreiche gewesen. In allen Versammlungen ist der Resolution des Parteivorstandes entsprechend ausdrücklich das Wahlrecht für beide Geschlechter gefordert worden. Außer den Genossinnen, die als Referentinnen im Wahlrechtskampfe so gut wie die Genossen vollauf ihre Schuldigkeit getan, haben zahlreiche Diskusstonsrednerinnen und-Redner die Forderung noch ausdrücklich begründet. Die sozialdemokratische Tagespresse hat so gut wie allgemein das Frauenwahlrecht verfochten. Allen Blättern voran hat das Zentralorgan der Partei, derVorwärts", die Forderung ausdrücklich vertreten. Es ist selbstverständlich, daß das Organ der Genossinnen, dieGleichheit", mit größter Energie den Kampf für das Frauensttmmrecht führte und daß es der Frage fortlaufend die in der gegenwärttgen Situatton gebührende Beachtung geschenkt hat. Der Wahl- rechtskampf wurde von der Sozialdemokratie in den Reichstag   getragen. Sie forderte in einem Antrag, in allen Einzelstaaten die gesetzgebende Gewalt in die Hände einer Volksvertretung zu legen, die auf Grund des all- gemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahl- rechts für alle über 20 Jahre alten Statsangehö- rigen ohne Unterschied des Geschlechts gewählt werden solle. Die Forderung des Frauen Wahlrechts wurde durch Genossen Bebel  , dem bewährten Vorkämpfer für die Gleichberechttgung der Geschlechter, überzeugend verteidigt. Der Antrag der Sozialdemokratie veranlaßte, daß auch in bürgerlichen Kreisen die Frage des Frauen- stimmrechts lebhafter diskutiert wurde als gewöhnlich. Er zwang außerdem die bürgerlichen Parteien zur Stel- lunznahme. Diese haben den Forderungen gegenüber voll- ständig versagt; sogar die bürgerlichen Politiker, die sich im Prinzip als Anhänger des Frauenstimmrechts geberden, stimmten dagegen. Damit ist wieder einmal bestätigt, daß die Reklame der Frauenrechtlerinnen für den bür- gerlichen Liberalismus als Verfechter der Frauenrechte und ihre Hetzerei gegen die Sozialdemokratie als unzuver- lässige Verteidiger derselben nichts als Äußerungen des bourgeoisen Klasseninteresses sind. Alles in allem ist der Wahlrechtskampf der Sozialdemokratie auch die umfassendste und kräftigste Aktion für das Frauenstimmrecht gewesen, die wir in Deutschland   bis jetzt gehabt haben, und die ins- besondere alles weit übertrifft, was die bürgerlichen Frauen- rcchtlerinnen bis jetzt an Agitation für diese wichtigste aller Forderungen einer ernsten bürgerlichen Frauenbewegung geleistet haben. Die Genossinnen sind selbstverständlich nicht bloß in den ersten, sondern auch in den folgenden Demon- strationsversammlungen vom 18. März, wie am 1. Mai auf dem Posten gewesen. Unsere agitatorisch wie organisatorisch tättgen Genossinnen haben ebenso eifrig wie für die politische Aufklärung der Frauen für die gewerkschaftliche Organisierung der Arbeiterinnen gewirkt. So führten sie den Ver- bänden der Fabrik- und Landarbeiter, der Textil- arbeiter, Porzellanarbeiter, Holzarbeiter, Schneider und Schneiderinnen, Handlungs- gehilfen und-gehilfinnen und anderen noch durch öffentliche Agitation und Kleinarbeit neue und besonders weibliche Mitglieder zu. An Werkstubensttzungen und sonstigen gewerkschaftlichen Arbeiten haben sie sich beteiligt. Daß die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterinnen, die 1994 43604 betrug, nach dem vorliegenden Bericht der Ge- neralkommission auf 74411 gestiegen ist, also eine Zunahme von bS'/io Prozent erfahren hat, dazu hat die Arbeit unserer Genossinnen mitgeholfen. Unsere Frauenbewegung hat dank der entfalteten Agitatton wiederum in neuen Gegenden festen Fuß gefaßt. So sind vor allem schöne Erfolge zu verzeichnen in Sachsen- Weimar  , Anhalt, Braunschweig   und in Bayern  . In Bayern   wird zwar seit vielen Jahren fleißig von Ge- nossinnen agitiert, doch beschränkte sich ihre Betättgung über- wiegend auf das gewerkschaftliche Gebiet. Ohne"die nöttge gewerkschaftlich« Arbeit irgendwie zu vernachlässigen, ist nun im letzten Jahre mehr Gewicht als bisher auch auf die politische Aufklärung der Frauen gelegt worden. Mit gutem Erfolg. Wir haben in Hof, Günzburg  , Penz- berg, Rehau  , Ingolstadt  , Regensburg  , Lech- Hausen, Augsburg  , Nürnberg   eifrig tätige Ver- trauenspersonen. In der Hauptstadt Bayerns  , in München  , fehlt es dagegen noch immer an einer solchen. Seit kurzem besteht in dieser Stadt ein Frauenbildungsverein. Zu den Fortschritten unserer Bewegung in Bayern   hat sehr viel die jahrelange geduldige und fleißige Arbeit unserer Genossin Greifenberg  -Augsburg   beigetragen. Sehr vorteilhaft hat es die Entwicklung der proletarischen Frauen- bewegung in Bayern   beeinflußt, daß seit einem Jahre im Nürnberger   Arbeitersekretariat eine Beamtin tätig ist, deren erfolgreiches Wirken sich bereits bemerkbar macht. Wir verdanken ihm unter anderem die Gründung eines Dienstbotenvereins in Nürnberg  , der im Gegensatz zu anderen Organisationen seiner Art nicht Haus- angestellte und Herrschaften umschließt, sondern ausschließ- lich Dienende ausnimmt und nur deren Interesse vertritt. In München   und Köln   haben die Genossinnen tätig zur Gründung von Dienstbotenorganisationen mitgewirkt, die nach dem Muster des Nürnberger   Vereins konstttuiert worden sind. Auch in anderen Orten haben die Genossinnen be- gönnen, der Dienstbotenftage erhöhte Aufmerksamkeit zu- zuwenden. Mit Hilfe des Parteisekretärs für Pommern  ist es gelungen, auch dort der sozialistischen   Frauenbewegung Eingang zu verschassen. Es wird in Pommern   eifrig weiter agitiert, und so hoffen wir, daß der jetzt nur für die Be- sitzenden so gesegnete Landstrich in absehbarer Zeit auch mit Sozialistinnen reich gesegnet sein wird. Trotz allem Erreichten ist noch gar viel zu tun. Je weiter wir vordringen, desto mehr wird der Blick geschärft für das, was noch geleistet werden muß, gar viel gilt es noch im weiblichen Proletariat zu erwecken, zu belehren und heran- zubilden. Unsere Genossinnen, auf welchem Posten sie immer in der Bewegung stehen, werden in Zukunft ebensowenig ein Ermüden, ein Ausruhen kennen, wie bisher. Zu dem bis- herigen tüchttgen Stamm bewährter Rednerinnen sind junge Kräfte hinzugekommen, welche sich bereits als recht wir- kungsvolle Agitatorinnen erwiesen haben. Die erfreuliche Entwicklung unserer proletarischen Frauen- bewegung vermögen die Polizeischikanen nicht zu hemmen. Im Berichtsjahr hat die Polizeibehörde verschiedener Orte wiederum ihre besondere Aufmerksamkeit der öffent- lichen Betätigung der Frauen zugewendet, wie auch Ver- anstaltungen, bei denen Frauen mit in Betracht kamen. An dieser Stelle sei daran erinnert, daß die Behörden in Er- furt Versammlungen verboten haben, an denen teilzunehmen Frauen nach dem Gesetz berechtigt sind. In Aachen   ver- wies die Polizei in öffentlichen Versammlungen die Frauen ins Segment. Zahlreich sind die Fälle behördlicher, gesetz- widriger Belästigungen. Hervorgehoben sei noch, daß die brave Obrigkeit auch den unpolitischen Frauen- bildungsvereinen ein erhöhtes fürsorgliches Interesse zuwendet. In Velbert   zum Beispiel wurde die Bildungs- organisation für die Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse