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Die Gleichheit

persönliche Regiment im Umherziehen" mit seinen Launen, Blöglichkeiten, Gefahren, Provokationen ist wohl der Ausdruck von des Kaisers Eigenart, aber die Schuld und das Verbrechen der herrschenden Klassen, allen voran der Bourgeoisie. Ihr ureigenstes Geschöpf ist der notdürftig konstitutionell heraus­geputzte Absolutismus, dessen konsequenter, überzeugter Ver­treter Wilhelm II.   iſt.

Indem die herrschenden Klassen das System duldeten, ja wollten und festigten, das wie ein Alp auf Deutschlands   ge­samter Entwicklung lastet, aber gleichzeitig die Massen der Habenichtse knebelt, haben sie das Jhrige dazu getan, um Wil­ helm II.   als Monarchen zu dem zu machen, was er heute ist, und das zu ermöglichen, was er als solcher tut. Es gemahnt daher lebhaft an das Treiben der Wilden, welche bei einer Enttäuschung den Fetisch prügeln, den sie eben noch in brün­ftiger Verehrung anriefen, wenn die bürgerlichen Barteien und Klassen sich augenblicklich über die Persönlichkeit des Kaisers und das Regieren, wie er es versteht, mit Worten ereifern, deren Schärfe die Erinnerung an die efelerregenden Lobhude leien wachruft, mit denen sie gewöhnlich dem Herrscher nach friechen. Die Wut, die sich in Worten austobt, gilt bei Lichte betrachtet weit weniger dem regierenden Absolutismus   als der Unvorsichtigkeit, mit der er sein gemeingefährliches Wesen ent­hüllt und breitesten Massen zum Bewußtsein gebracht hat.

Dieser Lage der Dinge entsprechend mußte sich die Aktion der bürgerlichen Parteien im Reichstag aus einem entschiedenen, ernsten Kampfe gegen den Absolutismus und für den Parla­mentarismus, die Demokratie, in eine bedeutungs- und geschmack lose Komödie wandeln. Mit demütig gebogenem Knie, Ent schuldigungen stammelnd, wurde das persönliche Regiment etwas gestäupt, aber hinter die kritisierenden Worte trat feine Tat zu seiner Niederzwingung. Auch nicht ein bürgerlicher Abgeordneter konnte namens seiner Partei das Parlament auf­rufen, im Interesse der eigenen Würde, ja seiner Existenzberech­tigung die ihm verfügbare Macht gegen den Absolutismus zu setzen. Nicht einmal zu einem unzweideutigen Mißtrauens­votum gegen die Karikatur eines Politikers und Mannes im Kanzleramt vermochte sich die bürgerliche Majorität des Reichs­tags aufzuraffen. Und weltenfern lag ihr der Gedanke, den von der Sozialdemokratie gezeigten Weg zur Eroberung der parlamen tarischen Macht zu beschreiten: Verweigerung der Reichsfinanz reform, Verweigerung des Reichsbudgets, bis verfassungsgemäße Garantien gegen die persönliche Regiererei geschaffen seien. Der ,, radikalsten" der bürgerlichen Parteien blieb es aber wieder vorbehalten, wie so oft in letzter Zeit den Gipfel der Lächers lichkeit und Bedientenhaftigkeit vor der Reaktion zu erklimmen. Der Volksparteiler Haußmann schlug eine Adresse an den Kaiser vor, welche nur die Forderungen enthalten sollte, denen auch die Konservativen als Bürgschafter gegen das persönliche Regiment zustimmen würden. Mit anderen Worten: des Teufels Großmutter wurde angefleht, darüber zu entscheiden, um wieviel dem Teufel die Nägel zu stutzen feien!

Die

Die Veröffentlichung des Daily Telegraph  " hat dem selbst herrlichen Regiment im Deutschen Reich und seiner Diplomatie nebst Bureaufratie eine beispiellose Blamage gebracht. Die Verhandlung im Reichstag hat ihr eine schimpfliche moralische und politische Niederlage des deutschen   Parlamentarismus hin zugefügt. Der Reichstag   stieß das gute Schwert zurück, das die Gunst der Umstände ihm bot, und klapperte mit dem blechernen Kinderfäbel. Dem Kampfe mich er aus und inszenierte ein Schauspiel.

An dem Proletariat und seiner Partei liegt es, den ent­brannten Kampf im männlichen Selbstvertrauen anf die eigene Kraft auszufechten! Innerhalb des Parlaments und außer­halb des Parlaments! Bereit sein, das Proletariat durch Wort und Tat bereit machen, das fordert die Stunde. Nicht das Häuflein der Besitzenden, das werftätige Volf wirft das Los über Absolutismus   und Parlamentarismus, und nicht im Reichs­tag, draußen im Lande wird es fallen. Dort, wo die aus­beutende Minderheit herrscht: Schauspiel. Da, wo die aus­gebeuteten Massen arbeiten, ringen, streben: Kampf.

Der Arbeiterinnenschutz

Nr. 4

in der Kommission des Reichstags.

I.

g. h. Bekanntlich haben die verbündeten Regierungen Ende vorigen Jahres dem Reichstag einen Entwurf eines Gesetzes betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung" vorgelegt. Der Reichstag hat den Entwurf nach der ersten Lesung au eine besondere Kommission verwiesen. Bei der Beratung des Entwurfes in der Kommission zeigte es sich, daß die Vorschläge der Regierungen wieder einmal weit hinter den unbedingt not­wendigen Verbesserungen zurückbleiben. Deshalb brachten die einzelnen Parteien, namentlich die Sozialdemokraten, eine lange Reihe von Verbesserungsanträgen ein. Die Folge davon war, daß die Beratungen in der Kommiffion fich lange hinzogen, und daß beim Beginn der Sommerferien des Reichstags erst ein kleiner Teil der Vorlage durchberaten war.

Um ihre Arbeit zu fördern, beschloß damals die Kommission auf den Antrag der Sozialdemokraten, daß sie im Herbst ihre Beratung acht Tage vor der ersten Plenarsizung des Reichs­tags wieder aufnehmen werde. So ist es auch geschehen. Und in dieser Zeit hat die Kommission den Teil der Vorlage durch­beraten, der sich auf den besonderen Schutz der Arbeiterinnen bezieht. Die Kommission hat sich dann sofort an die zweite Lesung dieses Abschnittes gemacht und will darüber möglichst bald Bericht an das Plenum erstatten. Daher wird aller Wahr­scheinlichkeit nach die Reform des gesetzlichen Schutzes für die Fabritarbeiterinnen noch in diesem Winter zum Abschluß tommen. Was wird uns diese Reform bringen?

Bisher fanden die Schutzbestimmungen der Gewerbeordnung über die Beschränkung der Lohnverwirkung, über die Arbeits­ordnungen und über die Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeiterinnen nur auf" Fabriken" Anwendung. Die Regierungen haben vorgeschlagen, das Anwendungsgebiet jener Schutzbestimmungen dadurch bestimmter als bisher abzu­grenzen, daß statt Fabriken gesagt wird: Betriebe, in denen in der Regel mindestens zehn Arbeiter beschäftigt werden." Die Sozialdemokraten beantragten, daß die Schutzbestimmungen für alle Betriebe mit mindestens fünf beschäftigten Arbeitern gelten sollen. Durch die Anderung wäre der gesetzliche Schutz auf die vielen Arbeiterinnen ausgedehnt worden, die in den Betrieben mit fünf bis zehn Arbeitern beschäftigt sind. Außer­dem beantragten die Sozialdemokraten, daß bei der Feststel­lung der Zahl der beschäftigten Arbeiter nicht nur die Arbeits­träfte berücksichtigt werden, die in dem Betrieb arbeiten, son dern auch die Arbeiter, die für den Betrieb tätig sind. Nehmen wir zum Beispiel eine Zigarrenfabrif, die zwölf Arbeiterinnen beschäftigt. Arbeiten alle zwölf Arbeiterinnen in der Fabrik, dann gelten für sie die Schutzbestimmungen der Gewerbeordnung. Der Betriebsleiter kann sich jedoch von der Rücksicht auf die Arbeiterinnenschutzbestimmungen frei machen, indem er drei Arbeiterinnen als Heimarbeiterinnen in deren Wohnungen be­schäftigt. Dann arbeiten diese Arbeiterinnen nicht mehr in" dem Betrieb; die Zahl der in ihm beschäftigten Arbeiterinnen ist auf neun gesunken, der Betrieb gilt nicht als ein solcher, der die Schutzbestimmungen der Gewerbeordnung einzuhalten hat. Diese mögliche Umgehung der Arbeiterschutzgesetze müßte unbedingt verhindert werden. Das wäre durch die Annahme des Antrages der Sozialdemokraten erreicht worden. Trotzdem stimmte die bürgerliche Mehrheit ihn beidemal nieder. Auch in der zweiten Lesung gelang es den Sozialdemokraten nicht, mit ihrem Antrag durchzudringen. Es bleibt bei dem Vor­schlag der Regierungen.

Die wichtigste Änderung, die uns die bevorstehende Reform bringen soll, ist die Herabsetzung der täglichen Marimalarbeits­zeit für die Arbeiterinnen über 16 Jahre von elf auf zehn Stunden. Diese Anderung mußten die Regierungen deshalb vorschlagen, weil es einem großen Teil der Arbeiterinnen dank dem Drucke der gewerkschaftlichen Organisationen gelungen ist, ihre tägliche Arbeitszeit auf weniger als elf Stunden zu be­schränken. Die Herabsetzung der gesetzlich zulässigen Arbeits­