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Die Gleichheit

mit ihren Eltern Lehrverträge abgeschlossen, nach denen die junge Arbeiterin eine Lehrzeit von 3 bis 4 Jahren durchzumachen hatte, um sich die zum Anlegen notwendigen Fertigkeiten anzueignen. Das Anlegen kann aber in vielleicht einem halben Jahre gründlich erlernt werden, und es ist eine ganz unerhörte Zumutung, Arbei­terinnen dafür eine so lange Lehrzeit durchmachen zu lassen. Die lange Lehrzeit ist nur eine gemeingefährliche Zwangsmaßregel, zu der gewiffe Prinzipale greifen, um ihr Personal zu halten. Außerdem werden die jungen Arbeiterinnen geradezu betrogen, wenn durch die Lehrzeit" das Erlangen   einer besonderen Qualifitation" vor­gespiegelt wird, die sich im späteren Leben als null und nichtig erweist. Kein Prinzipal anerkennt das Anlegen als qualifizierte Arbeit, für ihn ist die Anlegerin nur eine Arbeiterin, die er im Streitfalle durch die erste beste andere ungelernte zu ersetzen sucht. Die Konferenz beriet eingehend über die vorliegenden Beschwerden des Hilfspersonals und fam zu folgenden Beschlüssen:

,, Es wird eine Tariffommission gegründet, bestehend aus je fünf Vertretern der Prinzipale und des Hilfspersonals aus verschiedenen Gegenden Deutschlands  . Diese Kommission hat die Aufgabe, die örtlichen Tarifabmachungen auf ihre Übereinstimmung mit den ,, Allgemeinen Bestimmungen" hin zu prüfen und eventuelle Ver stöße gegen diese auszumerzen.

Die örtlichen Schiedsgerichte, die aus je drei Vertretern der Prinzipale und des Hilfspersonals bestehen und für die Tarifdauer gewählt sind, müssen auf Antrag einen unparteiischen Vorsitzenden einsehen, welcher entweder dem Rechtsanwaltstande angehören oder in der Gewerbegerichtspraxis tätig sein muß. Gegen ein aus diesem Schiedsgericht hervorgegangenes Urteil tann Berufung an das Tarifs amt der deutschen Buchdrucker eingelegt werden, wenn das Urteil mit weniger als Zweidrittelmehrheit gefaßt worden ist. Jedes Ur­teil des Schiedsgerichts muß auch im Falle der Berufung an das Tarifamt bis zu dessen endgültigem Bescheid ausgeführt werden. Die Lehrzeit darf unter keinen Umständen über ein Jahr hinaus ausgedehnt werden; alle dem entgegenstehenden Verträge sind tarif widrig und daher ungültig."

Die Verhandlungen und Beschlüsse der Konferenz beweisen, daß beide Teile für strikte Durchführung der tariflichen Abmachungen forgen wollen. Das Hilfspersonal setzt unter dem Tarif alle Kraft daran, den Verband größer zu machen und in sich zu festigen. Es ist sich klar darüber, daß wenn der jetzt geltende Tarif abläuft und durch eine neue Vereinbarung ersetzt wird eine große, starke, allumfassende Organisation die beste Gewähr für die Erfüllung der weiteren Forderungen bietet, welche die Arbeiterinnen und Arbeiter im Interesse ihrer Lage erheben müssen.

Notizenteil. Dienstbotenfrage.

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Gert.

Dienstbotenlage und bürgerliche Sozialreformer. Herr Professor Kähler aus Aachen   hielt fürzlich in der Gesell. schaft für soziale Reform" zu Köln   ein Referat über die Dienstbotenfrage. Es sei sehr schwer, so führte der Sozialreformer aus, sich in dieser Frage ein objektives Urteil zu bilden, weil man so vielen Einzelhaushaltungen gegenüberstehe und mit den ver schiedensten individuellen Ansichten zu rechnen habe. Die meisten Dienstmädchen kämen vom Lande, stünden fulturell unter der Herrschaft und hielten daher viele ihrer Anordnungen für Aus­flüsse von Launen. Da aber andererseits der Haushalt ungemessene Dienstleistungen, Störungen in der Nacht und sonstige Unannehm lichkeiten für die Dienstboten mit sich bringe, so wäre deren Unzu­friedenheit begreiflich. Reibungsflächen würden besonders durch die Verschiedenheit der fulturellen Entwicklung zwischen Herrschaft und Dienstboten geschaffen. Die Dienstboten wechselten oft die Stelle, be­trachteten den Dienst nicht als Lebensaufgabe und kämen daher nie dazu, sich zur vollen Kulturhöhe der Herrschaft aufzuschwingen. Die Zahl der Bevölkerung mit höherem und mittlerem Einkommen, die sich Dienstboten halten tönne, wachse, während die der ländlichen Be­völkerung im Rückgang begriffen sei. Die Nachfrage nach Dienstboten übersteige daher das Angebot, wodurch die Herrschaften schon von selbst gezwungen würden, den Dienstboten bessere Behandlung und höheren Lohn zu gewähren. Das überwiegen der Nachfrage über das Angebot wäre andererseits bedauerlich, da viele Frauen aus dem Mittel- und Beamtenstand gezwungen seien, die Hausarbeit selbst zu verrichten. Dadurch aber werde ihnen die Gelegenheit ge< nommen, an ihrer Bildung zu arbeiten. Tatsache sei, daß der reale Lohn der Dienstboten, wenn man ihre gute Belöstigung und ihre bessere Wohnung berücksichtige, denjenigen der Arbeiterinnen in Industrie und Handel weit übersteige. Der Herr Professor ver­

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sicherte, daß er die Mißstände in der Lage der Dienstboten nicht man höre und verkenne. Er forderte zu ihrer Beseitigung staune eine Mindestnachtruhe von acht Stunden, alle vierzehn Tage einen freien Sonntagnachmittag, eine Hausordnung, der sich die Dienstboten zu unterordnen hätten. Von einem Schiedsgericht, zusammengesetzt aus Vertretern der Dienstboten und Herrschaften, das Streitigkeiten zwischen den beiden Interessengruppen regeln sollte, wollte der Sozialreformer nichts wissen, da seiner Ansicht nach das geistige Niveau der Dienstboten nicht hoch genug für eine solche Einrichtung sei. Bei Vertragsbruch eines Dienstboten brauche nicht auf gerichtliche Strafe erkannt zu werden. Es genüge ein Zurückbehaltungsrecht der Herrschaften am Lohne   der Dienstboten, um diese am Vertragsbruch zu verhindern. Das Koalitionsrecht müsse den Dienstboten gewährt werden, um nicht den Anschein zu erwecken, als seien fie niedere Arbeiter. Eine Aufnahme junger Dienstmädchen in die Invalidenversicherung sei nicht zweckmäßig, weil sie das eingezahlte Geld bei ihrer Verheiratung doch zurückfordern, die Beiträge der Herrschaft aber nur nutzlos im großen Topfe der Invalidenversicherung verschwinden würden. Die Unfallgefahr der Dienstboten sei äußerst gering, ihre Aufnahme in die Unfallversiche­rung sei daher unnötig. Erkrankte Dienstboten müßten sofort dem Krankenhaus überwiesen werden, weil sie doch der Herrschaft nur zur Last fielen. Eine Organisation der Dienstboten erachtete der Herr Professor für ein Unding, weil die Mädchen in Einzelhaus­haltungen zerstreut tätig sind. Die Bücher, die über die Not der Dienstboten berichten, sind nach ihm voller Übertreibung. Er kenne Fälle, wo die Dienstmädchen nach furzer Stellung so üppig wurden, daß die Nähte ihrer Kleider platten. Seine zwei Dienstmädchen äßen mehr Butter, als im ganzen übrigen Haushalt verbraucht werde. Warum wir diese Ausführungen des Herrn Professors bringen? Je nun, gerade weil sie in der Gesellschaft für soziale Reform" vorgetragen wurden und den Beifall der anwesenden Herrschaften fanden. Sie find bezeichnend für die Augen, mit denen bürger­liche Reformer die Verhältnisse der Dienenden betrachten, und für die Ohren, mit denen sie die Klagen und Forderungen der Mäd chen hören. Für den Redner stand von vornherein fest, daß die verschiedene Kulturhöhe von Dienstboten und Herrschaft die Haupt­ursache der Reibungen zwischen Dienenden und Befehlenden bildet. Man kann nicht leugnen, daß dank der miserablen' Volts­schulbildung und anderer Folgen der Armut viele Dienstmädchen, die frisch vom Lande kommen, an geistiger Bildung unter der Dame der Gesellschaft stehen. Merkwürdig ist aber, daß viele Herrschaften diese Reibungsflächen" mit Vorliebe schaffen, indem sie den Mäd chen vom Lande" so gern vor den kulturell höherstehenden Städte rinnen den Vorzug geben. Sollte das nicht mit der Tatsache zu sammenhängen, daß die Mädchen vom Lande, weil in der Kultur tiefer stehend, willig und leicht lenkbar sind, sich jeder Laune ihrer " Dame" widerspruchslos fügen? Und sollten diese Reibungs flächen" vielleicht nicht gerade erst dann entstehen, wenn die Haus­frau die Entdeckung macht, daß das Dienstmädchen kulturelle Be dürfnisse an den Tag legt und auch als Mensch behandelt sein will? Der Herr Prosessor will und fann es nicht verstehen, daß die Dienstboten von selbst ein Urteil über den Widersinn der heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse gewinnen müssen, weil sie den Kontrast zwischen den Schaffenden und Nichtstuern, den Dienen den und Herrschenden, zwischen den Genießenden und Darbenden täglich vor Augen haben. Er flagt herzbrechend über den Mangel an Dienstboten, der die bürgerlichen Frauen zwinge, den Haushalt selbst zu besorgen, anstatt an ihrer Bildung zu arbeiten. Schauder haft, höchst schauderhaft! Nur die verstockten Herzen proletarischer Barbaren vermag das traurige Los dieser besseren Frauen und höheren Töchter" wenig zu rühren! Die Dienstboten haben den Mut der Überzeugung, daß das Recht auf Bildung nicht allein jenen Damen zukommt; mehr noch, sie lehnen sich mit der ganzen Kraft ihrer Unkultur" dagegen auf, mit der eigenen Versklavung und Unwissenheit die Bildung und Kultur jener Damen zu be zahlen. Ihre Augen sind scharf genug, um zu sehen, daß die tagdiebenden Herrschaften sich mit nichts weniger befaffen als mit der Bildung ihres Geistes, und daß sie nichts weniger fördern als die Wissenschaft, nach der sie der naiven Überzeugung des Professors nach so lechzen. Sie brauchen ja nur einen Blick in die Kaffee­tränzchen dieser wissensdurstigen" Damen zu tun, um zu wissen, was sie von deren Bildungseifer zu halten haben. Die weitere Behauptung des Professors, daß die Lage der Dienstboten im all­gemeinen so viel besser sei, als die der industriellen Arbeiterinnen, steht auch nicht auf festen Füßen. Wäre dem so, so würden die industriellen Arbeiterinnen schnell ihre Freiheit" aufgeben und fich dazu drängen, sich ebenfalls von der Gnadensonne einer höheren Kultur" bestrahlen zu lassen.

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