Nr. 15

19. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen

Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder

Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post viertelfährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig.

Die Maifeier.

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Jabres- Abonnement 2,60 Mart.

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Inhaltsverzeichnis.

Stuttgart  26. April 1909

Die Internationalität des Maifestes. Von Luise Ziet. Was ist den Proletarierinnen der Achtstundentag? Von Hannah Dorsch Lewin. Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin. Die Maienbotschaft. Von Gustav Hoch  . Nieder mit dem Militarismus! Von Ottilie Baader  . Der Arbeiterinnen Losung. Von Martha Hoppe.- Wer sorgt für den Achtstundentag? Von H. Stimmrecht für wohlhabende Frauen. Von Mathilde Wurm  . Aus der Bewegung: Von der Agitation. -Gewerkschaftliche Rundschau.

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Politische Rundschau. Von H. B. Der Kampf im Eulengebirge beendet! Notizenteil: Dienstbotenfrage. Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen. Frauenarbeit auf dem Gebiet der Industrie, des Handels- und Verkehrs­wesens. Frauenstimmrecht. Sozialistische Frauenbewegung im Aus­land. Weibliche Fabrikinspektoren. Die Frau in öffentlichen Aemtern.

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Die Maifeier.

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Die zwanzigste Wiederkehr des 1. Mai zieht herauf mitten im scheinbaren Frieden innen und außen. Die bürgerliche Welt dünkt sich wieder für einen Augenblick stark in ihren Grund­vesten. Hat sie nicht erst jüngst die drohende Wolfe eines Welt­frieges durch ihre diplomatischen Zauberkünfte siegreich be­schworen? Liegt nicht die gewaltige Revolution in Rußland  am Boden, verblutend unter der ehernen Sohle der trium­phierenden Reaktion? Krieg, Revolution- die schwarzen Schatten des Elementaren, des Verhängnisvollen sind wieder für eine Weile gebannt. Die bürgerliche Gesellschaft fühlt sich wieder einmal als Meisterin ihrer Geschicke und Herrin der Millionen gebeugter Nacken in ihrem Joche. Das Streben der Prole tarier beider Welten, das Ideal des Sozialismus, der Wahn einer neuen Gesellschaft, einer Gesellschaft der Freien und Gleichen wie fern, wie luftig erscheinen sie wieder den Biederen, die die Zügel ihres Wagens in der Hand zu halten wähnen! Nur noch mehr Mammon und Eisen, noch mehr Steuern, Soldaten und Panzerschiffe dann kann sich die Herrschaft des Kapitals noch lange halten, dann kann sich der brave Bürger ruhig seinen Tagessorgen an der Börse, an dem Markte widmen, wo er mit dem Schweiße und Blute der Lohn sklaven schachert!

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Und doch liegt gerade jetzt ein schwerer Schatten auf diesem Sonnenbilde der Schatten der Krise! Tausende, ja Mil­lionen von Arbeitslosen in Europa   und Amerika   schreien nach Brot, das ihnen die kapitalistische Gesellschaft nicht zu geben imstande ist. Die Krise, die schon seit Jahren wie eine schleis chende Krankheit am Leibe der Gesellschaft zehrt, und die durch keine Diplomatenkünste, durch keine Gewaltstreiche zu bannen, zu erdrücken ist, die Krise, die wie ein Schatten jede der modernen Revolutionen und jeden Krieg der Neuzeit be­gleitet hat und die ihre schwarzen Flügel auch über dem dies­jährigen Maifest ausbreitet: sie allein ist Bürge genug, daß der Sieg der bürgerlichen Gesellschaft über Krieg und Revolution bloß ein Gaufelspiel, daß die Ruhe und Kraft, die sie sich selbst vorspiegelt, eitel Lug und Trug sind.

Jm Elend der Krise steigen wieder aus der Tiefe die Ge­spenster des unerbittlichen Verhängnisses auf, das der kapita­

Zuschriften an die Redaktion der Gleichbeit sind zu richten an Frau Klara Zetkin  ( 3undel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart  . Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furtbach- Straße 12.

listischen Welt schon an ihrer Wiege den unvermeidlichen Unter­gang verkündet hat.

Der tiefe Zwiespalt, der durch die bürgerliche Gesellschaft geht und der in ihrem innersten Kern steckt, der welthistorische Zwiespalt zwischen Kapital und Arbeit, zwischen der letzten, reifsten Form der Ausbeutung und dem gewaltigsten Heer der Ausgebeuteten, das die Geschichte gesehen hat, dieser innere Zwiespalt, an dem die bürgerliche Ordnung zugrunde gehen wird, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Jahrhunderts. Wie eine furchtbare Ahnung blitzte er zuerst gespenstisch im Schwefellicht der großen französischen   Revo­lution auf. Mit schwarzen Lettern prangte er dann auf den Bannern der Lyoner Seidenweber, der Rebellen aus nacktem Hunger, die im Jahre 1834 den Ruf ausstießen: Arbeitend leben oder kämpfend den Tod." Er huschte im rötlichen Fackel­schein über den nächtlichen Versammlungen der Chartisten in England in den dreißiger und vierziger Jahren. Er leuchtete plötzlich wie eine feurige Säule aus dem graufigen Gemetzel der Junilämpfe auf in den Straßen von Paris   im Jahre 1848. Er flammte als purpurner Schein am Himmel der franzö fischen Hauptstadt im Jahre 1871, als die siegestrunkene bürger­liche Kanaille mit meuchlerischem Eisen und brandzündenden Kartätschen an den gefallenen Kommunehelden ihre Rache nahm. Er umwitterte am 22. Januar 1905 wie ein Orkan den Bitts gang der zweihunderttausend Petersburger Arbeiter, mit dem die russische   Revolution die revolutionäre Taufe des zwanzig­sten Jahrhunderts eingeläutet hat.

Und derselbe Odem des unerbittlichen Klassenkampfes, der nur ein Ende fennt: den Sieg auf den Trümmern der fapita listischen Welt, umweht die jährliche Maifeier des Weltprole­tariats.

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Das milde Lenzwetter, die ruhigen Umzüge der Massen, die ernsten Versammlungen, die fröhlichen Ausflüge mit Frauen und Kindern welches Bild des tiefen Friedens, der harm losen Jdylle! Vorbei ist der erste Schrecken der Bourgeoisie, die nur hinter verschlossenen Fenstern mit Beben dem ersten Maiaufgebot entgegenzublicken wagte. Der Maitag war ge­kommen, er war gegangen, und die Welt stand noch! Der Bourgeois erhob sich am anderen Tage mit dem Seufzer der Erleichterung und dem höhnischen Lächeln um die Lippen, mit dem Leute über einen ausgebliebenen Weltuntergang spotten, den sie gestern noch zitternd erwarteten. Seitdem ist der Bour­geois übermütig geworden, die Feigheit wandelte sich bei ihm auch hier, wie immer, in grausame Rachsucht. Und zum Dank dafür, daß die Maifeier des Proletariats bis jetzt eine fried­liche Kundgebung gewesen, daß ihm das Dach über dem Kopfe noch nicht zusammengestürzt ist, lohnt er den Proletariern mit Maßregelungen, mit der Hungerpeitsche.

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Die friedliche Maifeier! Doch ist sie nichts anderes als das jährliche Memento mori  " das Gedenke, daß du sterben mußt", das die Arbeiterklasse beider Welten dem herrschenden Kapitalismus   zuruft. Das liebliche Maifest! Doch ist es nichts anderes als eine jährliche Heerschau der heutigen Todfeinde und künftigen Totengräber des Kapitalismus  . Die harmlose Maiidylle