Nr. 15
Die Gleichheit
der Regierenden und die Profitgier der Ausbeutenden fie hezen wollen, so werden sie wissen, wo der innere Feind" steht, den es zu überwinden gilt.
Am 1. Mai, diesem proletarischen Auferstehungsfest, das feine Glocken verkünden und feine Pfaffen segnen, hebt ein frohes Aufatmen die Bruft der Proletarierin. Sie richtet ihren von der Last zwiefacher Knechtschaft gekrümmten Rücken auf und stimmt freudig in den Ruf der Brüder ein, mit denen sie Schulter an Schulter für ihre Befreiung kämpft. Nieder mit dem Militarismus! Krieg dem Kriege und der Gesellschaftsordnung des Krieges! Friede und Freundschaft den Aus gebeuteten aller Länder, Kampf der Ausbeutungswirtschaft! Der Klaffenkampf ist die Vorfrucht des Weltfriedens! Der Sozialismus wird die Menschheitsverbrüderung sein! Ottilie Baader .
Der Arbeiterinnen Losung.
Wenn die schlummernden Kräfte in der Natur zu neuem Leben erwachen, wenn das Maienwunder" in seiner ewig jungen Schönheit sich uns wieder offenbart, dann ist auch das Sehnen nach Freiheit, nach Lebenssonnenschein in der Menschenbrust lebendiger denn zu anderen Zeiten. Mit Recht wurde daher vor nunmehr zwanzig Jahren von dem Internationalen Sozialistentongreß zu Paris die Zeit des„ Werdens" im Jahresfreislauf als die geeignetste für den Weltfeiertag der Arbeit festgehalten. So wenig wie der starrste Winter imftande ist, das Weben und Wirken der unsichtbaren Kräfte der Natur zu hindern, die nach Entfaltung drängen, so wenig vermag die brutale Macht der Herrschenden in den arbeitenden Massen die Erkenntnis ihrer Lage zu ersticken, den Willen nach sozialer Befreiung, nach vollem Menschentum zu töten. Das tiefe, unstillbare Sehnen der Ausgebeuteten und Unterdrückten nach Freiheit hat in der Maifeier sich ein Symbol, ein Ausdrucksmittel geschaffen. Durch die Maifeier erklären die zum Klaffenbewußtsein erwachten Proletarier aller Länder den Nutznießern ihres Mühens und Darbens, daß sie der Knechtschaft durch das Kapital müde sind. Und sie heischen jene Reformen, die dazu beitragen, ihre Kraft zu stählen, damit sie als ihr eigener Heis land das Werk ihrer Erlösung von sozialer Not jeglicher Art vollbringen können. Der Kernpunkt dieser Reformen ist der gesetzliche Achtstundentag.
Diese Forderung fand immer lauteren Wiederhall in den Herzen der Arbeiterinnen. Immer größer werden die Massen der erwerbstätigen Frauen und Mädchen, die am 1. Mai be wußt zum Ausdruck bringen, daß auch fie ein Anrecht haben, Beit zu gewinnen für Erholung und Bildung, für Glück und Lebensfreude. Sehr begreiflich! Die wirtschaftliche Entwicklung drängt von Jahr zu Jahr neue Tausende von Frauen, naments lich auch verheiratete, in die Industrie, in den Daseinskampf außerhalb der Familie. Sie löst sie von allem los, was Jahr tausende hindurch als Beruf des Weibes galt, und unterwirft fie der kapitalistischen Ausbeutung mit all ihren verderblichen Folgen für die Frau selbst, für ihre Kinder, für ihre Klasse. Den Frauen erwächst aus dieser Lage der Dinge die Verpflich tung, sich um alles das zu fümmern, was ihnen bisher fernlag. Wie sie den Männern gleich den Existenzkampf im Wirtschaftsgetriebe aufnehmen, so müssen sie sich auch, dem Beispiel ihrer Arbeitsbrüder folgend, zum Kampfe für ihr Recht gegen die Ausbeutung ftellen. Die Erkenntnis dieser Notwendigkeit findet ihren Niederschlag in der wachsenden Zahl der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterinnen. Im Jahre 1907 wurden deren 168111 gezählt. Diese Zahl zeigt, daß immer mehr Arbeite rinnen einsehen, wie wertvoll, wie unentbehrlich die Gewerk schaften find, um die Bedingungen zu erfämpfen, die das Arbeitsverhältnis in der heutigen Produktionsordnung erträg. licher gestalten, die den Lohnfronern die Kraft erhalten, deren sie für ihren Aufstieg zu Freiheit und Kultur bedürfen. Das Unternehmertum gewährt nicht freiwillig solche Arbeitsbedin gungen. Sie müssen ihm entriffen werden, und nur die
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Macht einig zusammenstehender, gut organisierter Arbeitermassen ist imftande, sie zu erringen. Die Arbeiterinnen aber sind gerade an dem Erfolg ihrer Gewerkschaften besonders interessiert. Sie werden ja nicht nur ebenso rücksichtslos ausgebeutet wie der Arbeiter, sondern vielfach noch härter als er, weil sie- Frauen sind. Geringeren Rechts wie der Mann, oft auch weniger aufgeklärt wie er, nehmen sie nur zu leicht ohne zu mucen und zu murren die schlechtesten Arbeitsbedingungen hin. Sie haben es daher bitter nötig, daß hinter sie die schützende Kraft der Organisation tritt und günstigere Arbeitsbedingungen erfämpft, unter denen gerade auch für sie die Verkürzung der Arbeitszeit mit an erster Stelle steht.
Die Arbeiterinnen wissen, wie schnell ihre Gesundheit untergraben, Siechtum und früher Tod heraufbeschworen wird durch lange Arbeitszeiten, mit der täglichen Hezzerei des Arbeitsprozesses, den ständigen Aufenthalt in staubigen, allen hygienischen Anforderungen hohnsprechenden Räumen, mit der unausgesetzten, angespannten Aufmerksamkeit, die die Beschäftigung erfordert. Schon allein ihrer förperlichen Konstitution wegen, in Hinblick auf die Anforderungen, welche die Mutterschaft stellt, würde die Arbeiterin besonderer Rücksichtnahme bedürfen. Für verheiratete Frauen kommt noch als Folge der niedrigen Entlohnung des Mannes die Last der Hauswirtschaft hinzu. Sie, die während des langen Arbeitstags Mehrwert für den Kapitalisten schaffen müssen, find gezwungen, nach Feierabend einen neuen häuslichen Arbeitstag zu beginnen, der oft bis tief in die Nacht reicht. Häufig genug werden für sie die Sonn- und Feiertage zu häuslichen Werkeltagen. Und trotz allen Hetzens und Plagens müssen sie sich eingestehen, daß ihre Kräfte nicht ausreichen, den Haushalt zu versehen, wie sie es möchten. Das Heim wird öde und frostig, ungemütlich für den Mann und die Kinder. Nicht um das Weib zu befreien und zu beglücken, nein, aus Borliebe für seine billige Arbeitskraft erschließt ja der Kapitalismus den Frauen Werkstätten und Fabriken; sie sind ihm profitable Ausbeutungsobjekte, nichts mehr. Wie er der Arbeiterin die Möglichkeit raubt, Familienpflichten zu erfüllen, Familienglück zu genießen, so auch die Gelegenheit, sich an der Natur zu erfreuen, ihrem Bildungsdrang zu gehorchen. Er degradiert sie zur willenlosen Maschine! Welch ein Segen für die Arbeiterin, daß die Gewerkschaft dem profitwütigen Unternehmertum fürzere Arbeitszeit abzwingt! Es ist das um so wichtiger, als die Proletarierin der Gesellschaft gegenüber wahrlich anderes zu leisten hat, als nur Mehrwert für den Kapitaliften zu schaffen. Sie soll einer neuen Generation das Leben geben und ihr Teil zu deren Erziehung beitragen. Daher hat sie Anspruch auf Schonung und Zeit, Zeit, die ihr auch bleiben muß, um sich das Wissen anzueignen, dessen sie als Mutter bedarf. Sie soll die Kinder, denen sie das Leben gibt, ja im Sinne unserer Weltanschauung erziehen, damit sie einst das begonnene Werk der Befreiung ihrer Klasse weiterführen; die Schule des Klassenstaats aber enthält ihr die dazu nötigen Kenntnisse vor. Die Arbeiterin braucht Wissen jedoch auch um ihrer selbst willen, weil fie als Ausgebeutete, Entrechtete am Kampf ihrer Klasse für bessere gegenwärtige Tage und für eine helle, freie Zukunft teilnehmen muß.
Auch für höhere Entlohnung der Arbeit kämpft die Gewerk schaft. Sollte das die Arbeiterin nicht anerkennen, die meist für faure Wochen mit wahren Hungerlöhnen abgespeist wird, die daher bei ihren Ausgaben für Nahrung, Wohnung, Kleidung, Erholung und Bildung mit jedem Pfennig rechnen muß? Und die Gewerkschaft tut noch mehr an der Arbeiterin. Sie lehrt sie nachdenken über ihre Lage, fie gibt ihr Wissen und Bildungsmittel, fie ruft in ihr die Erkenntnis der Solidarität aller Berufsgenoffen, aller Ausgebeuteten wach. Sie weckt auch die Selbständigkeit der Arbeiterin, das Bewußtsein ihres persönlichen Wertes, das jahrtausendelange Entrechtung niedergehalten hat. Immer größer wird darum die Schar der Arbeiterinnen, die die Knechtschaft der kapitalistischen Ausbeutung als unwürdig und schmachvoll empfinden, damit aber auch die Notwendigkeit von der Vereinigung der Schwachen zum Kampfe erkennen. Einigkeit macht start!" Einigkeit im Wollen und Handeln!