Nr. 16

Die Gleichheit

Genossinnen referierten. In Strießen  , Plauen  , 3schach­witz und anderwärts, wo größere Gruppen von Genofsinnen vors handen sind, wurden Diskussionsstunden nicht organisiert, weil die Frauen an den Mitgliederversammlungen des Parteivereins sich beteiligen und ihren Wünschen und Anregungen von dessen Leis tungen Rechnung getragen wird. Um mit den Genossinnen anderer Orte bessere persönliche Fühlung zu bekommen, richteten die Ges nossinnen selbst Wanderabende ein. Wie an den anderen Veran­staltungen, so war auch die Beteiligung daran recht gut. Wie sich die proletarische Frauenbewegung in den Orten Löbtau  , Cotta, Potschappel  , Naußliz und Schmiedeberg entwickelt hat, werden die Berichte der leitenden Genofsinnen zeigen, die dem nächst zur Veröffentlichung gelangen. Das Zusammenarbeiten der Genossinnen und Genossen in den Verwaltungen war alles in allem ein gutes. Das gleiche gilt von der Arbeit im Kreisvorstand, die durch die Anstellung eines Parteisekretärs einheitlicher und zweck­mäßiger geworden ist. Wo sich in den einzelnen Orten des Kreises eine Genossin findet, die befähigt ist, die proletarische Frauenbewe gung zu fördern, so wird sie von der betreffenden Lokalverwaltung der Partei zur Mitarbeit herangezogen. Die weiblichen Parteimit­glieder erhalten die Gleichheit" von der Organisation, das Blatt wird von den Parteifolporteuren ausgetragen, nur in einzelnen Orten besorgen die Genossinnen die Verteilung. Manche tapfere Mitkämpferin hat der Tod im Laufe des Jahres aus unseren Reihen geriffen. Das Wert, an dem sie freudig mitgearbeitet haben, wollen wir mutig und uneigennützig weiterführen. Es muß gelingen! Marie Wackwitz  .

Politische Rundschau.

Am 1. Mai, während Scharen lassenbewußter Arbeiter unter persönlichen Opfern mannigfacher Art für die Forderungen ihrer Klasse und für den Kulturfortschritt demonstrierten, haben die bürger­lichen Parteien als Vertreter der Besitzenden in der Finanzkommssion des Reichstags ein Exempel frechfter, nacktester Selbstfucht geliefert. Die Reichsfinanzreform tommt nicht vom Fleck, weil jede Gruppe der Besißenden sich von der Zahlung des lumpigen einen Fünftels möglichst drücken will, das von der neuen Steuerlast von 500 Millionen auf die Besitzer der gefüllten Geldbeutel entfallen soll. Daß 400 Millionen durch indirekte Steuern der großen Masse der arbeitenden Bevölkerung aufgeladen werden, daß man die Existenz von etwa 40000 Tabatarbeitern zerstört, das halten sie für selbstverständlich. Höchst empfindlich werden sie dagegen, wenn sie selbst zahlen sollen, und sei es im Verhältnis zu ihrem Besitz auch noch so wenig. Am 1. Mai tam es zu entscheidenden Abstimmungen über diese Frage in der Finanzkommission. Das Ergebnis ist eine neue Verwirrung der Lage, ein glattes Auseinanderfallen des Blocks, eine scharfe Zuspigung des Gegensatzes der Konservativen zur Reichs­regierung und die Tatsache, daß das große nationale Wert" noch genau auf demselben Fleck steht, wie beim Zusammentritt des Reichstags im Herbst 1908!

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Es hat den gewandten Regisseur Bülow nichts genügt, daß er am 20. April eine Komödie aufführen ließ. Da empfing er Depu tationen aus dem Süden und der Mitte des Reiches. Sie waren zusammengesetzt aus Professoren, höheren Staats- und Gemeinde­beamten usw. und versicherten, daß das deutsche Volt die schleunigste Erledigung der Finanzreform fordert und sich für das Steuer­programm der Regierung begeistert, insbesondere aber für die Erb­schaftssteuer allerdings nur in sehr verstümmelter Form.. Den ostelbischen Junfern haben diese Bülowschen Steifleinenen absolut nicht imponieren können. Sie bleiben entschieden bei ihrer Vers werfung der Erbschaftsbesteuerung, und auch das Murren der Bes amten und anderer städtischen Elemente, die sich deshalb von der fonfervativen Partei zurückzuziehen drohen, macht sie darin nicht wankend. Die Intereffen des Großgrundbesizes über alles! Raumt hatte Bülow vor dem Volke" seiner Deputationen wieder einmal feierlich verkündet, daß die Regierung an der Besteuerung der Erb­fchaften der Ehegatten und Kinder festhalten müsse, kaum hatte er babei abermals den Junkern zu verstehen gegeben, daß sie auf weitgehende Milderungen dieser Steuer und auf fette Branntwein liebesgaben rechnen könnten, wenn sie sich nur in diesem einen Bunfte nachgiebig erweisen würden: da fuhren ihm die so heiß umworbenen Herren mit einem Antrag in die Parade, an Stelle der Erbschaftssteuer eine Reichswertzuwachssteuer auf Grund und Boden und Wertpapiere zu setzen. Diese Steuer hat für die Groß­grundbesitzer das Angenehme, daß sie ihre Portemonnaies sehr wenig belästigt, dafür aber um so fräftiger den städtischen Grundbesitzern und den Börseanern und Aktieninhabern zu Leibe geht. Natürlich sehen die Liberalen um so saurer auf diese Steuer. Sie wollen

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fie sich allenfalls gefallen lassen, wenn die Großgrundbesizer Erb­schaftssteuer zahlen aber daß die frei ausgehen und die städtischen Schichten der besseren und besten Leute die Besitzsteuer fast allein aufbringen sollen, das paßt ihnen natürlich nicht.

So zeigte denn die Sigung der Finanzkommission am 1. Mai die tiefste Uneinigkeit der bürgerlichen und besonders auch der im Block angeblich noch vereinigten Parteien. Einig waren sie nur allesamt in der Ablehnung des sozialdemokratischen An­trags, der den Ersatz der geplanten indirekten Steuern auf Bier, Branntwein und Tabak durch Reichsvermögens-, Reichseintommen­und Reichswertzuwachssteuern fordert. Von den Konservativen bis zu den Freisinnigen, Zentrum und Polen   eingeschlossen, sind die Bürger­lichen ein Herz und eine Seele in der Forderung, daß das Volk die Hauptlast der neuen Steuern zu tragen hat. Dann aber ging die Katz­balgerei los, deren Endergebnis war, daß sowohl der konservative Antrag auf Ersatz der Erbschaftssteuer durch die Reichswertzuwachs steuer, als auch der freisinnige Antrag, Ausarbeitung einer Erbschafts­Steuer, mit Stimmengleichheit abgelehnt wurden. Angenommen wurde lediglich ein Antrag der Antisemiten, der die Ausarbeitung eines Wertzuwachssteuerentwurfs fordert. Dieser Antrag hilft aber der Regierung nicht aus der Patsche, da sie sich auf der Erbschafts­steuer festgelegt hat, die mit Hilfe des Zentrums und der Polen  die Konservativen gegen die Stimmen ihrer Blockgenossen wiederum abgelehnt haben.

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Der Karren der Finanzvorlage steckt also gründlich im Dreck, und Bülow ist in gefährlicher Lage. Seine Mehrheit, der Block, ist zer­fallen; will der Kanzler fich halten, so muß er den Kampf mit den preußischen Junkern aufnehmen, was bisher noch keinem deutschen Staatsmann gut bekommen ist. Will man die Entscheidung nicht bis zum Herbst verschieben, so scheint nur zweierlei möglich ent­weder der Rücktritt Bülows oder Auflösung des Reichs­tags. Das letztere ist das Unwahrscheinlichere, weil die preußische Krone so leicht nicht mit den Junkern anbindet. Indes sind über­raschungen nicht ausgeschlossen, und die Arbeiterklasse muß auf alle Eventualitäten gefaßt sein. Unter Umständen kann das Proletariat noch in diesem Sommer berufen sein, die Scharte des Winters 1907 auszuweßen. Und dazu gälte es dann die letzte Kraft ein­zusetzen.

Die Maifeier hat der preußischen Bureaukratie wieder mehr­fachen Anlaß gegeben, zu zeigen, daß sie trotz aller Versicherungen, daß das neue Reichsvereinsgesetz loyal angewendet werden soll, die alte Polizeiwirtschaft gegen die kämpfenden Proletarier aufrecht­zuerhalten weiß, als ob noch das alte preußische Vereinsgesetz be= stünde. Unter den gesuchtesten, bisweilen ganz ungesetzlichen Vor­wänden wurden die Maifestzüge, die die Arbeiter angemeldet hatten, in den verschiedensten Städten verboten. Wo aber die Ortspolizei loyal genug war, anzuerkennen, daß der einzige Verbotsgrund nicht angewendet werden könne, den das neue Gesetz kennt, die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, hoben noch in letzter Stunde die vom Ministerium des Innern angewiesenen Regierungspräsidenten telegraphisch die Genehmigung wieder auf.

In der Türkei   ist der Vorstoß der Reaktion von den Jung­ türken   schnell und energisch abgeschlagen worden. Mit den treu­gebliebenen mazedonischen Truppen haben sie nach kurzem Kampfe Konstantinopel   besetzt, die Meuterer entwaffnet und den Sultan und seine Vertrauten, sowie andere Häupter der Gegenrevolution gefangen genommen. Abdul Hamid   ist durch die Nationalversamm­lung des Thrones entsetzt worden und harrt jetzt in Saloniti des Gerichts. Sein Bruder Reschad ist ihm als Mohamed V.   auf dem Throne gefolgt, ein Mann, den 30jährige Gefangenschaft, in der ihn der mißtrauische Sultan hielt, abgeſtumpft hat, und der des­halb ein williges Werkzeug in den Händen der herrschenden Partei sein wird. Das sind zurzeit wenigstens in der europäischen  Türkei   unbestritten die Jungtürken  . Ob auf längere Dauer, das steht dahin. Die Schwierigkeiten, die sie zu besiegen haben, um ihr Werk durchzuführen, sind groß, in Asien   steht ihre Herr­schaft auf sehr schwachen Füßen und wird voraussichtlich erst mit H. B. dem Schwert befestigt werden müssen.

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Gewerkschaftliche Rundschau.

Unsere Industriellen sind ob der neuesten sozialpolitischen Taten" der Reichsregierung in schwerer Sorge. Zum dritten Male inner­halb eines halben Jahres müssen sie sich deshalb das schwere Opfer aufbürden und Delegierte zu einer Sigung nach Berlin   ent­fenden, die Stellung gegen die Kommissionsbeschlüsse des Reichs­tags zum Arbeitskammergesetz und zur Abänderung der Gewerbeordnung nehmen soll. Diesmal wird sich der Appell der Ausbeutungsritter nicht mehr an den Reichstag richten, bei