Nr. 4Die Gleichheit57Aus der Bewegung.Von der Agitation in Ostelbien. Zu den dunkelsten WinkelnDeutschlands gehört die Provinz Westpreußen. Die ostelbischenJunker haben im Bunde mit den Pfaffen hier immer noch dieOberhand. Aber trotz ihrer Bemühungen, das Volk in Dummheitzu erhalten, damit es seine Knechtschaft ruhig weiter trage, beginnendoch die Bestrebungen unserer Genossen zu fruchten. Schritt fürSchritt ringt die Sozialdemokratie der arbeiterfeindlichen Sippe,die hier herrscht, den Boden ab. Nicht nur in de» großen Städten,sondern auch in den kleinen Orten brechen sich die sozialdemo-kratischen Ideen immer mehr Bahn, die Zahl ihrer Anhänger undAnhängerinuen wächst und wächst. Gelegentlich einer Agitationstourdurch die ostelbischen Gefilde konnte ich beobachten, wie lief auch hierder Vefreiungsgedanke des Sozialismus in die Brust vieler Proletarierund Proletarierinnen eingedrungen ist. In den größeren Städten,wie Tanzig und Elbing mit ihren zahlreichen industriellen Arbeiter-Massen, männlichen und weiblichen Geschlechts, nimmt das wenigerwunder. Ja in Elbing müßte es eigentlich schon besser um unsereBewegung stehen, wenn die Massen nicht zu abgestumpft wären.Jedoch auch in den kleinen Orten kann man seine helle Freude andem Geist haben, der unter den Genosse» und Genossinnen herrschtund von ihnen immer mehr unter die Massen getragen wird. Unddas trotz aller Schwierigkeiten, die wirtschaftliche Abhängigkeit undNot zusammen mit geistiger Niederhaltung für unsere Agitationschaffen. Wie außerordentlich die bürgerlichen Parteien und diehinter ihnen stehenden Klassen durch die famose Finanzreform ungewollt dafür gesorgt haben, daß das Verständnis der proletarischenMassen für die sozialdemokratische Aufklärung wächst, bewiesen auchdie Versammlungen, die vom 3. bis 24. Oktober in folgenden Orlenstatlsanden: Thorn, Graudenz, Dragaß, Elbing, Marien-werder, Rotebude, Schöneberg, Danzig und Umgegend,Schlodiau, Jastrow und Flatow. Sie sollten insbesondere auchder Ausrütlelung und Organisierung der Frauen dienen und hatten— mit geringen Ausnahmen— einen guten Besuch. In Danzigund Umgebung war zum Beispiel von den sechs einberufenen Ver-sammlungen nur eine schwach besucht. Die für Deutsch- Eylauund Hammerstein geplanten Veranstaltungen konnten leidernicht stattfinden. In dem erstgenannten Orte wollte der Wirtseinen Saal zu einer Frauenverjammlung nur gegen eine Mielevon Li) Mk. hergebe». Das war den Genossen am Orte zuviel,und so mußte die Versammlung ausfallen. In Hamm erst ein hielten die Genossen die Zeit für eine Versammlung unge-eignet, weil die meisten Frauen mit Landarbeit beschäftigt warenund die Männer außerhalb des Ortes ihrem Beruf nachgingen.Schade, daß der Versuch unterblieben ist, vielleicht wäre dieVersammlung trotz allem gut besucht gewesen. In zwei derweiter oben genannten Orte war kein Versammlungslokal vor-handen. Genossen halten ihre Wohnung als solches hergegeben.In dein einen Falle reichte die geräumige Stube kaum für dieerschienenen Frauen aus, die Männer mußten mit einem Platzin der Hausflur fürlieb nehmen. Tie Lokalfrage ist für unsin vielen Orten Westpreußens eine brennende. Der Mangel angenügenden Versammlungsräumen hemmt unsere Agitation rechtbelrächtlich. Nur solche Wirte, die vor dem Ruin stehen, gebenihre Säle für sozialdemokratische Versammlungen her und trotzendadurch der Polizei. In Flatow stellt uns ein Wirt seinen Saalzur Verfügung, weil er keine Schankkonzession dafür hat und denSaal gar"nicht benützen kann. Trotzdem nur ganz mangelhafteSitzgelegenheit vorhanden ist und die Reinigung des Raumes vonden Genossen selbst besorgt werden muß, verlangt der Wirt 10 Mk.Entschädigung. Irgend eine Beleuchtungsanlage sehlt. Als es imLause unserer Versammlung dunkel wurde, bekamen wir als Licht-quelle eine einzige Petroleumlampe ohne Glocke. Ostelbische Idylledas! In Danzig-Ohra und in Danzig-Schödlitz hatte sichin der Versammlung die Polizei besonders zahlreich eingesunden,unter ihrem Schutze fuhren wir sogar noch in der Straßenbahnvon Odra bis Danzig zurück. Fast in allen Versammlungen gelang es, der Partei neue Mitglieder zuzuführen. Auch im west-preußischen Paradies ver Junker marschiert die Sozialdemokratieunaufhaltsam weiter. Trotz des Bündnisses von Geldsack, Altarund Staatsgewalt! Frida Wulff.Zwei überfüllte Versammlungen in Stettin, in denen GenossinZietz über„Die Stellung der Sozialdemokratie zur Heuligen Staats-und Gesellschaftsordnung" sprach, brachten der sozialdemokratischenParteiorganisation eine Anzahl»euer Mitglieder.— In einer überfüllten Frauenversantmlung in Berlin, im sechsten Kreis, referierteGenossin Zietz über:„Der neueste Steuerraub und die Stellung derFrauen dazu". Die Versammlung wurde in mustergültiger Weisevon Genossin Lohse geleitet. Zirka 60 Neuaufnahmen für diePartei waren der greifbare Erfolg.Am 2ö. Oktober fanden in Hamburg überfüllte Versammlungenstatt, die Stellung zur Finanzreform nahmen und zu dem an Ferrerverübten Justizmord. Genosfin Zietz hatte dem Rufe der Genossendes ersten Hamburger Wahlkreises entsprechend das Referat für dieVersammlung übernommen, die im Gewerkschaftshaus tagte undlange vor ihrer Eröffnung überfüllt war. Überall tritt die Em-pörung über die ungeheure Neubelastung des Volkes in einer stärkerenAnteilnahme am Klassenkampf in Erscheinung. L. Z.Über„Die Aufgaben der Kinderschutzkommission" referierte inder zweiten Hälfte des Oktober in einer gut besuchten Versamm-lung zu Adlershof Genosfin Wurm-Berlin. Eingehend schil-derte sie Ursachen und Entwicklung der Kinderarbeit. Sie zeigte,wie durch die kapitalistische Produktionsweise das Kind aus demHelfer der Eltern zum Schmutzlonkurrenten des erwachsenen Ar-beiters geworden ist, und wie ungeheuer langsam die herrschendenKlassen sich zu einem gesetzliche» Schutz des Kindes entschließen.Die Furcht vor der zunehmenden Militäruntauglichkeit der Volks-massen hat endlich ihr Reformverständnis etwas geweckt, und inDeutschland tat die Sozialdemokratie das Ihrige, damit der kapi-talistischen Ausbeutung der proletarischen Kinder Halt gebotenwurde. Das bestehende, immer noch höchst mangelhafte Kinder-schutzgesetz ist den seit 1867 stets wiederkehrenden Forderungenunserer Abgeordneten im Reichstage zu danken. Allerdings ist esihnen noch nicht gelungen, gegen die allmächtigen Junker denSchutz der Kinder in der Landwirtschaft durchzusetzen. Die Tätig-keit der Kinderschutzkommission hat da einzusetzen, Ivo die für jedenStreikposten so scharsblickenden Gesetzeswächter offenbar keine Augenhaben: nämlich bei der Beschäftigung von Kindern vor Schulbeginnund über die gesetzlich erlaubte Zeit hinaus. Die Mitgliederder Schutzkommission haben auf die Eltern dieser Kinder einzu-wirken, sie aufzuklären über die Gefahren, welche bei frühzeitigerÜberanstrengung den schwachen kindlichen Körper und Geist be-drohen. Wo aber jede Aufklärung erfolglos bleibt, muß die Kinder-schutzkommission dafür sorgen, daß dem Unternehmer die gesetz-widrige Beschäftigung von Schulkindern unmöglich gemacht wird. DieTätigkeit solcher Kommisstonen an allen Orlen wird dazu beitragen,daß den Kindern immer mehr das gesetzlich festgelegte, bescheideneMaß an Schutz auch wirklich zuteil wird. Des weiteren aber wirddurch sie Material gesammelt, aus Grund dessen unser« Vertreter imParlament die Unzulänglichkeit des bestehenden Kinderschuygefetzesnachweisen können. So wirken die Kommissionen auch für das Zu-stanvekommen eines besseren Gesetzes. Das Proletariat braucht einekörperlich und geistig gesunde Jugend, die dereinst mit voller Kraftfür die Befreiung der Arbeiterklasse eintritt und sie erkämpft, in. w.Bon de» Organisationen. In letzter Zeit fand in Augs-bürg eine Versammlung der politisch organisierten Frauen derParteiseltion Wertach-Vorstadt statt, welche sich dank der gutenVorarbeit der Genossen eines sehr guten Besuches erfreute. DieUnterzeichnete referierte über das Thema„Die Einwirkung derneuen Steuern auf den Haushalt"; Genosse Röthlich- Lechhausenüber„Politische Rechte und Pflichten der Frauen". Die ver-sammelten Genossinnen folgten mit großer Aufmerksamkeit den beidenVorträgen und bekundeten auch durch reichen Beifall, daß sie denAusführungen beipflichteten. Es wurden 14 Neuaufnahmen fürden sozialdemokratischen Verein erzielt, so daß dessen genannteSektion allein bereits das erste Hundert weiblicher Mitglieder er-reicht hat. Ein Beweis, welch großes Interesse auch seitens derFrauen dem politischen Leben entgegengebracht wird. Hoffen wir,daß es dem regen Eifer und der opferfreudigen Tätigkeit der Ge-nossinnen und Genossen gelingt, bald die weibliche Mitgliederzahlzu verdoppeln. Die Aufrlärungsarbeit unter den proletarischenFrauen trägt für die Arbeiterklasse reichste Früchte.Rosa Fleischmann.Die Berliner Stadtverordneteutoahlen. Den roten Siegenzu den Landtagen reihen sich die Siege in den Gemeindewahlenim ganzen Reiche würdig an. Die Berliner Stadtverordneten-wählen am 3. November haben uns nicht nur neben dem altenBesitzstand drei neue Mandate, sondern auch einen gewaltigenStimmenzuwachs gebracht. Ist doch die Zahl der sozialdemo-kralischen Stimmen von 26874 im Jahre 1303 auf 43109 bei derletzten Wahl gestiegen, indes der Freisinn von 7316 auf 6477 Stimmenheruntergekommen ist. Unserer unermüdlichen Aufklärungsarbeitist es gelungen, einen der liberalen Führer, den StadtverordnetenGericke, der seit 26 Jahren den Berliner Freisinn immer mehrnach rechts drängt, aus der dritten Abteilung endgültig hinauszu-wählen. Zwar gelang es ihm, auf den Krücken des Dreiklassen-Wahlrechts am nächsten Tage aus der ersten Abteilung in das