Nr. 20

20. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen

Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder

Die Gleichbett erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Poft vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jabres- Abonnement 2,60 Mart.

Inhaltsverzeichnis.

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Stuttgart  

4. Juli 1910

Eine Pflicht internationaler Solidarität. Die Frauen in der Unfall­versicherung. Von F. Kl. Die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Ehegatten. Von Ernst Oberholzer. Ein Nachwort zum ersten russischen Vom Spinnen Kongreß zur Bekämpfung der Prostitution. Von B. und Weben in alter Zeit. H. Von H. Jäckel. Die Lage der Arbeite­rinnen im M.- Gladbacher Industriebezirk. Von W. Pfaff. Aus der Bewegung: Bon der Agitation.- Jahresbericht der Genossinnen in Eisenberg. Jahresbericht der Vertrauensperson der Genoffinnen für den sechsten sächsischen Wahlkreis.- Jahresbericht der Kinderschutz

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Gewert

tommission in Meißen  . Politische Rundschau. Von H, B. schaftliche Rundschau.- Der Deutsche   Buchbinderverband. Bon W. K.­Zentralverband der Handlungsgehilfen und gehilfinnen Deutschlands  . Bon K. W. Verband der Sattler und Portefeuiller. Von W. Genossenschaftliche Rundschau. Von H. F.

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Notizenteil: Dienstbotenfrage. Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.- Arbeiterverfichetung. Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. Frauenstimmrecht.- Frauenbewegung. Verschiedenes.

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Eine Pflicht internationaler Solidarität.

Der modern aufgeputzte, blutstarrende russische Barismus hat sich zu einem neuen Verbrechen angeschickt. Er will die politische Selbständigkeit Finnlands   meucheln. Nicht als sieg reicher Eroberer zerstampft er mit ehernen Sohlen die Rechte eines bezwungenen Volfes; als heimtückischer Eidbrecher zer reißt er feierlich beschworene Verträge, die Finnland   seit 1809 als einem russischen Großfürstentum ein selbständiges, ver­faffungsgemäßes staatliches Leben zusichern.

Alle Verfassungsgesetze und Bürgschaften dafür, die Niko­ laus II  . noch im November 1905 mit heiligem Eid anerkannt und im Juli 1906 aufs neue bestätigt hat: sollen durch ein Manifest dieses selben Monarchen in wertlose Papierfetzen ver­wandelt werden. Am 27. März des laufenden Jahres erklärte dieses Dokument absolutistischer Herrlichkeit mit dürren Worten, daß den russischen Staatsbehörden die Entscheidung über alle Fragen des politischen, des staatlichen Lebens in Finnland   zu stehen soll. Bis jetzt war die Regierung des Baren, der zu gleich finnischer Großfürst ist, durch die Verfassung des Landes an die Mitwirkung des Parlamentes gebunden. Nach dem Manifest aber wird dieses zur Rolle eines bedeutungslosen pro­vinzialen Berwaltungsorgans erniedrigt, das lediglich auszu­führen hat, was das zarische Regiment befiehlt. Die Verfassung, die politische Selbständigkeit verflüchtigen sich also zu Schall  und Rauch, sie werden Worte ohne Inhalt.

Nichts als heuchlerischer Schein gepaart mit blutigem Hohn ist es, daß der finnische Landtag aufgefordert wurde, ein Gut achten" über die beabsichtigte Neuordnung der Dinge abzu­geben, sich mithin als politischer Machtfaktor selbst das Todes urteil zu bescheinigen. Soweit sich das Parlament Finnlands  mit dem absolutistischen Machwerk beschäftigt hat, warf es dem meineidigen Herrscher das Manifest zerrissen vor die Füße. In den verschiedenen Stadien der parlamentarischen Verhandlung wurde es einstimmig unter Berufung auf Recht und Gesetz als verfassungswidrig zurückgewiesen. Das Parlament ist fest ent­

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Zuschriften an die Redaktion der Gleichbeit find zu richten an Frau Klara Zetkin  ( Zundel), Wilhelmshöhe, Poft Degerloch bel Stuttgart  . Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furtbach- Straße 12.

schlossen, seinen Widerstand gegen den Vorstoß fortzusetzen und das Bolt zum Kampfe für seine politische Selbständigkeit aufzurufen. Denn die Regierung des Zaren wird mit faltem, verächt­lichem Lächeln auf die Entscheidung der Volksvertretung pfeifen. Sie kann sich für ihre Gewaltpolitik auf die dritte Duma be rufen ein Muster von Parlament nach dem Herzen aller Reaktionäre, das wesenseins mit der preußischen Geldsacks- und Herrenvertretung ist. Ihre Mehrheit hat dem Regierungsent­wurf bereits jubelnd zugestimmt. Die echtrussischen Leute sind dabei ebenso nichtachtend über die vorliegenden Sympathies erklärungen westeuropäischer Politifer für Finnlands   Selb  ständigkeit und die Gutachten der Staatsrechtslehrer über sein verfassungsgemäßes Recht weggestampft, wie über den Wider spruch der gemäßigt liberalen Kadetten und den schärfsten Protest der sozialdemokratischen Fraltion, die grundsätzlich ab­lehnte, über die verfassungsbrüchige Vorlage auch nur zu ver handeln. Nun hat noch der russische Reichsrat das Wort, und die Widerstände, die sich in ihm gegen die Regierungsvorlage

regen sollen, sind keinesfalls dauernde Bürgschaften für die politische Unabhängigkeit des Landes der tausend Seen.

Es ist nicht das erstemal in neuerer Zeit, daß das Henker­regiment des russischen Zaren die finnische Selbständigkeit würgen will. Bereits 1899 sollte die russische Reichsgesetz­gebung auch auf Finnland   ausgedehnt und damit dort jede freiheitliche Entwicklung, jede Regung des erwachenden Klassen­lebens der ausgebeuteten Volksmassen erstickt werden. Bobrikom fam als Väterchens Stellvertreter ins Land und suchte auf dem Verwaltungswege, unterstützt von Gefängnis, Sibirien   und dem Galgen, Ordnung" zu stiften. Um jeden Widerstand zu brechen, beseitigte er 1901 das 1878 geschaffene Militärgesez, nach dem die Finnen nur in ihrem eigenen Land zu Kriegs. dienst verpflichtet waren. Das Bobrifowsche Regiment des weißen Schreckens wurde durch den erfolglosen bürgerlichen Terror patriotischer Attentate beantwortet. Die zum Militär ausgehobenen jungen Männer streiften, sie weigerten sich, ihr Vaterland zu verlassen und Dienst zu tun. Der Ausbruch des russisch  - japanischen Krieges und sein Verlauf strafften dem Wider stand des finnischen   Volkes die Muskeln. Die russische Revo­lution erst trug ihn seinem Höhepunkt und Sieg entgegen, und es war das junge finnische Proletariat, das unter Führung der Sozialdemokratie die entscheidende Schlacht für die politische Selbständigkeit Finnlands   schlug. Im unvergeßlichen Oktober 1905 trat es fämpfend an die Seite der russischen Arbeiter, und die nämliche Waffe, mit der diese den Absolutismus aufs Haupt schlugen der Massenstreit, erwies sich auch in seiner Hand als befreiendes Schwert.

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Der Absolutismus   mußte auf der ganzen Linie vor der sieg­reichen Revolution tapitulieren. Zähneknirschend beschwor er in Rußland   die Konstitution; fleinlaut mußte er in Finnland  die Diktatur zusammenbrechen lassen; die Ufase der Vergewal tigung wurden zurückgezogen, die beamteten Schergen ver­schwanden. Die finnische Arbeiterklasse aber hatte nicht bloß über den äußeren Gewalthaber triumphiert, sondern auch über ihren inneren Feind: die besitzenden und bevorrechteten Klassen.