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Die Gleichheit

zu fordern. Doch zurück zu unserem Fall! Fräulein H. hatte während der 26 Tage an 30 mt. Trinkgeldern erhalten. Ihr Lohn von 12 Mt. war fast ganz für die Wäsche draufgegangen, die sie außer dem Hause waschen lassen mußte. Es liegt darüber folgende Abrechnung vor: 1 Paar Strümpfe 10 Pf., 1 Hemd 15 Pfennig, 1 Beinkleid 15 Pf., 1 Unterrod 20 Pf., 1 Kleid 50 Pf. ( die Mädchen müssen vormittags helle Kleider tragen), 2 Taschen­tücher 10 Pf., 2 bunte Schürzen 30 Pf., 4 weiße Schürzen 80 Pf., 1 Häubchen 20 Pf., 2 Kragen 12 Pf. Das macht zusammen in der Woche 2,62 Mt. und im Monat 10,48 Mt. Zu dieser Ausgabe kommen noch monatlich 1,50 Mt. Beiträge für Kranken- und In­validenversicherung. Wie man sieht, brauchte sich Fräulein H. nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, wie sie ihren Lohn in Puz an­legen, in Vergnügungen vergeuden wollte. Von den 30 Mt. Trint­geldern erhielt der Vermittler 8 Mt., so daß dem Mädchen für ihre 26 tägige Arbeit ein Verdienst von 22 Mt. blieb. Das macht einen Taglohn von 848/ 1s Pf. und bei 17 stündiger Arbeitszeit einen Stundenlohn von 5 Pf. aus, sage und schreibe von fünf Pfennigen deutscher Reichswährung. Der geschilderte Tatbestand wirft ein grelles Streiflicht auf das, was Hausangestellten zugemutet wird, was sie unter Umständen erdulden müssen. Es ist daher ihre Pflicht der Selbstverteidigung, sich dem Hausangestelltenverband anzu­schließen. Das Bureau und der Stellennachweis der Ortsgruppe Hamburg   befinden sich Kurze Mühren 81 rechts, eine Minute vom Hauptbahnhof. 2. Kähler.

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Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.

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Die Verwendung zahlreicher Lehrmädchen in der Damen­schneiderei bildet ein besonderes Kapitel von der Ausbeutung weiblicher Arbeitskraft. Sie sichert den Inhaberinnen solcher Be­triebe billigste und wehrlose Arbeitskräfte und übt einen Druck auf die Löhne der gelernten älteren Arbeiterinnen aus. Es fehlt daher nicht an Damenschneidereien, in denen die Zahl der jungen An­sängerinnen die der eigentlichen Gehilfinnen übersteigt, in denen die Lehrlingszüchterei systematisch betrieben wird. So stellt der Bericht der Gewerbeinspektion in Osnabrück   fest, daß dort viel­fach in kleineren Damenschneidereien eine verhältnismäßig bedeu­tende Zahl von jugendlichen Arbeitskräften verwendet wird. Auf eine Werkstätte, in der außer der Leiterin nur eine Gehilfin tätig ist, kommen oft fünf Lehrmädchen. Von einer eigentlichen Unter­weisung der Lehrmädchen ist natürlich keine Rede. Sie lernen während der ein bis zwei Jahre ihrer Lehrzeit hauptsächlich durch Übung nur die einfachsten Fertigkeiten und das ist der Kern­punkt der Sache- arbeiten während dieser Zeit unentgeltlich für den Profit der Arbeitgeberin. Es ist dringend notwendig, daß diesem Unwesen entgegengewirkt wird. Das aber im Interesse der jugendlichen Proletarierinnen selbst, die um den Lohn ihrers Fleißes geprellt werden und keine gründliche Ausbildung erhalten, wie im Interesse der gelernten Arbeiterinnen, deren an und für sich nicht rosigen Arbeitsbedingungen durch die unfreiwillige Schmutzkonkur renz ihrer jüngeren Berufsgenossinnen noch verschlechtert werden. Die nächsten Forderungen, die gegen die Lehrlingszüchterei. erhoben werden müssen, sind: Weitere gesetzliche Beschränkung der Arbeits­zeit der Jugendlichen, gesetzliche Bestimmungen, welche die wichtigs ften Bedingungen der Lehrzeit regeln und den Lehrlingen eine wirt­lich berufliche Ausbildung sichern; obligatorischer Fortbildungs­schulunterricht für alle jungen Mädchen bis zum 18. Jahre. Für diese Forderungen zu fämpfen, fie der Gesetzgebung des Klassen­staats abzuringen, muß eine der Aufgaben sein, der die Genossinnen ihre volle Aufmerksamkeit zuwenden. g. b.

Frauenstimmrecht.

Um die Einführung des beschränkten Frauenwahlrechts in England ist im Unterhaus in zwei Sizungen gekämpft wor den. Das Resultat ist eine ebenso zerschmetternde Niederlage für die philisterhaften Gegner des Prinzips der politischen Gleich­berechtigung der Geschlechter wie für die Anhänger des undemos fratischen beschränkten Frauenwahlrechts. Was in dieser Beziehung die Debatten flarstellten, bestätigte die Abstimmung. Die Bill Shackleton, welche ein beschränktes Frauenwahlrecht forderte, ge­langte mit 299 gegen 190 Stimmen zur zweiten Lesung; der Weg zur dritten Lesung wurde ihr dagegen mit 320 gegen 175 Stimmen durch den Beschluß verlegt, die weitere Beratung der Vorlage dem als Komitee konstituierten Hause zu überweisen. Das ist eine parla­mentarische Form, ihre Befürworter auf den Sankt Nimmerlein zu vertrösten. Als wirtlicher Sieger aus den Verhandlungen ist das allgemeine Wahlrecht für beide Geschlechter hervorgegangen. Das muß sogar ein so eingefleischter Wahlrechtsfeind wie die" Times"

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zugeben, das wird erhärtet durch die Meldung, daß die Minister Winston Churchill   und Lloyd George   in Verbindung mit liberalen Politikern bereits eine Wahlrechtsvorlage ausgearbeitet haben, die viel weiter geht als die engherzige Bill Shackleton. Eine Tatsache, wie sie beschämender nicht für die Mitglieder der Arbeiterpartei gedacht werden kann, die wie Shackleton  , Keir Hardie   und andere entgegen den wiederholten Beschlüssen ihrer eigenen Parteikongresse und vieler Gewerkschaften immer wieder aufs neue für den pluto­fratischen Wechselbalg eines Damenwahlrechts gekämpft haben, statt für das Wahlrecht aller Großjährigen. Die frauenrechtlerischen und konservativen Bundesgenossen der betreffenden Arbeiterparteiler haben zum Überfluß noch offiziell und mit aller wünschenswerten Offenheit erklärt, daß das beschränkte Frauenwahlrecht von ihnen nicht als Abschlagszahlung auf das allgemeine Wahlrecht gefordert werde, daß vielmehr mit ihm ihr Begehren befriedigt sei. Des leidigen Raummangels wegen müssen wir einen ausführlichen Be­richt über die außerordentlich bedeutsamen Verhandlungen für die nächste Nummer zurückstellen. Die Situation wirft klärendes Licht auf zwei Tatsachen. Daß es das organisierte englische   Proletariat in der Hand hat, durch eine Bewegung großen Stils unter Füh rung der Sozialisten ein wirklich demokratisches Wahlrecht für beide Geschlechter zu sichern, wenn es den Kampf dafür mit der gleichen Energie und Zähigkeit aufnimmt, mit der ihn die Adult Suffrage Society bis jetzt geführt hat. Daß die englischen Suffragettes mit der weiteren Agitation für das Wahlrecht des weiblichen Geldsacks nur noch die Geschäfte der Konservativen, der offenen Reaktion, besorgen. Im Lichte dieser Sachlage muß die letzte riesige Demon­stration der Suffragettes gewürdigt werden, die im Hyde- Part 250 000 Menschen um 40 Rednertribünen geschart hat. In drei ge waltigen Zügen marschierten die Demonstrierenden auf. Besonders der eine davon zeichnete sich durch sein malerisches Gepräge aus. Er wurde durch die greise Mrs. Drumond zu Pferde eröffnet, der unter Führung der Damen Lawrence und Panthurst die 617 Suffra gettes folgten, die den turbulenten Kampf für ihre Überzeugung mit Gefängnis gebüßt haben. Es famen dann die Malerinnen mit Pinsel und Palette, eine lange Reihe berühmter Schauspielerinnen, irische Frauenrechtlerinnen in Orange und Gelb unter Vorantritt von Pfeifern, Deputationen von Frauenrechtlerinnen aus der Pro­vinz und dem Ausland usw. In den zwei anderen Zügen mar­schierten zahlreiche Studentinnen in Barett und Scholarenmantel, Doktorinnen in der bunten Tracht ihrer Fakultäten usw. Die Reden waren insgesamt auf den Ton von Mrs. Pankhursts Ausführungen gestimmt. Sie erklärte, die Suffragettes hätten sich durch Mut, Ausdauer und Opferfreudigkeit des Genusses vollen Bürgerrechtes würdig gezeigt. Troß der Opposition der Regierung müsse die Bill Shackleton Gesetz werden. Die dieser Auffassung entsprechende Resolution erhielt bei der Abstimmung eine große Majorität, aber bei der Gegenprobe erhoben sich sehr viele Hände gegen sie, ein charakteristisches Anzeichen dafür, daß die Blütentage furzfichtiger Schwärmerei für das beschränkte Frauenwahlrecht gezählt sind. An den Sozialisten ist es, die Situation zu nutzen, um das allgemeine Wahlrecht für beide Geschlechter zum Siege zu tragen, statt sich von den Liberalen in dieser wichtigen Frage den Wind aus den Segeln nehmen zu lassen.

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.

Genossin Olivia Nielsen+. Die sozialistische Frauenbewegung Dänemarks   hat einen herben Verlust erfahren. In Aarhus   starb, 57 Jahre alt, Genossin Nielsen an den Folgen einer Operation, der sie sich wegen Darmverschlingung unterziehen mußte. Genossin Nielsen war eine der tüchtigsten Vorkämpferinnen für die gewerk schaftliche und politische Organisierung und Betätigung der Prole tarierinnen. Seit 17 Jahren stand sie an der Spitze des Arbeite rinnenverbandes, den sie aus kleinen Anfängen aufbauen ge holfen hatte, und nahm als seine Vorsitzende und Vertreterin an dem Kongreß des Arbeiterverbandes in Aarhus   teil, wo der Tod fie ereilte. Als die Zuerkennung des aktiven und passiven Gemeinde­wahlrechts an das weibliche Geschlecht unseren dänischen Genos finnen 1909 zum erstenmal erlaubte, Wählerinnen zu sein, aber auch Kandidatinnen für einen Siz in der Gemeindevertretung, wurde Olivia Nielsen in die Stadtverordnetenversammlung zu Kopenhagen   entsendet. Ihren Fähigkeiten und ihrem selbstlosen Eifer mußten auch die Gegner Gerechtigkeit widerfahren lassen. Das Andenken der lauteren, arbeits- und opferfreudigen Frau wird bei den dänischen Genossinnen und Genossen in Ehren bleiben. Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Betfin( Bundel), Wilhelmshöhe, Poft Degerloch bet Stuttgart  .

Druck und Verlag von Paul Singer in Stuttgart  .