Nr. 25

Die Gleichheit

für keinen Regierungsakt, sondern für ein persönliches Bekenntnis des Monarchen erklärte. Damit hat er zugegeben, daß er, der an geblich verantwortliche Leiter der deutschen   Politit, von dieser starke politische Wirkungen auslösenden Rede des Kaifers nichts gewußt hat. Das Versprechen, das der Kaiser nach den Novembertagen abgab, bezog sich gerade auf solche plökliche persönliche Bekennt nisse" des Monarchen, die die Politik des Reichs engagieren. Gerade darin, so verlangte die öffentliche Meinung damals, solle sich der Kaiser Zurückhaltung auferlegen und diese Zurückhaltung wurde versprochen. Jetzt hat der Kanzler selbst dieses Versprechen für nichtig erklärt und sich mit der Rolle des Handlangers einverstanden erklärt, der nachträglich ausißt, was ihm die plöglichen persön lichen Bekenntnisse" des Monarchfen auch einbrocken mögen. Die Forderung, die Bülow vertrat, daß das Staatsoberhaupt nur im Einverständnis mit dem verantwortlichen Kanzler öffentliche poli tische Rundgebungen erlasse, ist restlos aufgegeben, das persönliche Regiment in ganzer Größe wieder hergestellt, der Zustand, wie er vor den Novembertagen bestand, noch verschärft worden. Was die Sozialdemokratie den bürgerlichen Parteien vorausgesagt hat, daß das persönliche Regiment nicht durch die Zwirnsfäden eines solchen, nur auf die Augen eines vergänglichen Reichskanzlers gestellten Versprechens gebunden werden könne, daß allein die Demokras tisierung der Verfassung ihm halbwegs Schranken setzen tönne, das ist in vollem Maße eingetroffen. Aber der deutsche Liberalismus ist viel zu sehr herabgekommen, als daß er aus dieser Erfahrung nun die Konsequenz ziehen, sich jetzt zu einem energischen Kampfe gegen das persönliche Regiment, um Verfassungsgarantien, ent schließen könnte. Schon nach der Erklärung der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" fiel ein Teil der nationalliberalen Preffe um und erklärte die anfängliche Aufregung als auf mißverständlicher Auslegung der Rede beruhend. Als dann aber Wilhelm II.   zu Marienburg eine Rede hielt, worin er die Ausführungen zu Königs berg unterstrich, zugleich aber gnädigst zugestand, daß jeder ehrliche Christ unter der höchsten Obhut und dem höchsten Auftrag unseres Herrn und Gottes arbeite wie der König  ", worin er vor allem den Ruf zur Sammlung der Parteien zur vaterländischen Arbeit" ergehen ließ, da gab's bei den Nationalliberalen fein Halten mehr. Der Ruf zur Sammlung, der allgemein sofort als die Auf­forderung zum gemeinsamen Kampfe aller bürgerlichen Parteien gegen die Sozialdemokratie verstanden wurde, hatte die National liberalen gepackt, wo sie sterblich sind. Die Angst vor der roten Flut hat sie in den Klauen, und je höher diese Flut steigt, um so mehr wird ihnen bange vor ihrem eigenen Mut, der sie zur Auflehnung gegen die Konservativen verführen wollte. Nun der Kaiser selbst zum Kampfe gegen den Umsturz aufruft, sind sie mehr als bereit, wieder wie einst sich der Rechten anzuschließen und bei den kom menden Wahlen, zu mindesten bei den Stichwahlen, Konservative und Zentrum gegen die Sozialdemokratie herauszuhauen, in ber Hoffnung, daß ihnen zum Ausgleich die Hilfe der Blauschwarzen gegen die gefährliche, stetig vordringende Sozialdemokratie zuteil wird. Ihre Blätter flehen den Reichskanzler förmlich an, die Sammlungsrede des Kaisers durch ein förmliches Sammlungs programm zu ergänzen, das den liberalen Helden den Abmarsch nach rechts erleichtern, ihre Umkehr weniger blamabel gestalten soll. Bon irgend welchen Attionen gegen die absolutistischen Außerungen des Raisers, von einer auch nur schüchternen Verwahrung gegen das kaiserliche Versprechen von 1908 verstoßende erneute Hervor treten ist teine Rede mehr. Der entschiedene" Liberalismus der Fortschrittlichen Boltspartei aber fürchtet, den Anschluß an die Nationalliberalen zu verlieren, mit denen er den liberalen Block bilden möchte. Ungeachtet aller Tatsachen, die den Abmarsch des Nationalliberalismus nach rechts zeigen, gibt der Fortschritt diese Jdee nicht auf und hält sich ängstlich von jedem energischen Borstoß gegen den Kaiser zurück, um nur ja mit den National liberalen in einer Front zu bleiben. So hat denn der Absolutis­ mus   vom deutschen Bürgertum nichts zu befürchten. Diesmal wird es nicht einmal einen schwächlichen Versuch machen, ihm die Krallen zu stutzen, nicht einmal einen Anlauf dazu, wie es noch 1908 unter­nahm, allerdings nur, um hinterher um so schmählicher zu vers sagen. Das deutsche Bürgertum läßt der Krone gern die Herr schaft, wenn es sich dadurch Schutz vor der Sozialdemokratie er faufen kann. Der glänzende Sieg, den die Arbeiterpartei eben wieder in 3fchopau- Marienberg   davongetragen hat, ihre achte Mandatseroberung seit der Verabschiedung der Reichsfinanzreform, ist dem Liberalismus arg in die Glieder gefahren. Nicht minder freilich dem schwarz- blauen Block, der dort in der Person des antisemitischen Randidaten eine geradezu zerschmetternde Nieder­lage erfahren hat. Wie sehr ihn die Angst ob dieses unaufhalt samen Vordringens der Sozialdemokratie gepackt hat, das zeigt die

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Haltung der Zentrumspresse. Im Jahre 1908, da das Zentrum aus der Regierungskoalition gedrängt war, tat es so, als sei es bereit, Garantien gegen das persönliche Regiment zu schaffen. Nachdem es wieder vermittels des schwarz- blauen Blocks zur Res gierungspartei geworden ist, hat es diese demokratische Maske fallen lassen. Jetzt hat die Zentrumspresse genau so wie die kon­ſervative sofort die Partei des Kaisers genommen und alles getan, um das persönliche Regiment zu stärken. Denn dieses persönliche Regiment bedeutet in Wirklichkeit das Regiment der Junker und Klerifalen, bie den Träger der Krone nach ihren Wünschen lenken. Ist doch auch die Marienberger   Sammlungsrede zur Förderung ihrer Politit gehalten, bedeutet doch die Sammlung wider den Umstura, daß der Liberalismus die schwarz- blaue Mehrheit nach Kräften erhalten hilft. Daß die schwarz- blaue Blockmehrheit am Ende ihrer Herrlichkeit wäre, wenn der Liberalismus in den Stich wahlen gegen die Rechte entschiede, wenn er sich entschließen könnte, im zweiten Wahlgang mit der Sozialdemokratie zusammenzuwirken, das wissen Konservative und Zentrum sehr wohl. Ein Artikel der Kölner Voltszeitung", des führenden Zentrumsorgans des Westens, zeigt das sehr deutlich. Er gibt klar zu erkennen, daß die Parteien der Rechten mit großen Berlusten bei den kommenden Wahlen rechnen. Deshalb sucht das Blatt dem Liberalismus graulich zu machen vor der roten Flut und ihm vorzurechnen, daß ihm ein Sieg, der eine liberal- fozialdemokratische Reichstagsmehrheit schüfe, doch nichts nüßen könnte, weil die Sozialdemokratie zwei Drittel des Großblocks belegen und den Liberalismus darin an die Wand quetschen würde, weil die Regierung außerdem mit einer solchen Mehrheit weder arbeiten könnte noch wollte.

Wie richtig das Zentrumsblatt mit diesen Ausführungen speku liert, zeigt das Verhalten der nationalliberalen Presse. Die Angst vor dem Umsturz" treibt die bürgerlichen Parteien zur einen reaktionären Maffe zusammen. Die Sozialdemokratie steht als die einzige Partei da, die den Absolutismus bekämpft, als die einzige Partei, die die Wolfsrechte gegen das persönliche Regiment ver­teidigt, als die einzige Partei, die der Herausforderung des Gottes­gnadentums die grundsätzliche Verneinung, die Forderung der Republik   entgegenzusehen wagt. Die Sozialdemokratie wird bei den kommenden Wahlen den gesammelten bürgerlichen Parteien gegenüberstehen als die einzige Partei, die das Recht des Volkes und die Wohlfahrt des Wolfes verficht. Das klärt die Situation, das wird Hunderttausenden die Augen öffnen über das Wesen ber bürgerlichen Parteien, das wird der Partei der Arbeiterklasse trotz des vereinigten Ansturmes aller ihrer Feinde die Kraft verleihen, über sie alle zu triumphieren. H. B.

Gewerkschaftliche Rundschau.

Start pulfiert gegenwärtig das Leben unter den Massen, hohe Wellen wirft es in Bersammlungen und Streifs. Auf politischem Gebiet bringt jede Nachwahl zum Reichstag ein Anwachsen sozial demokratischer Stimmen, und auf gewerkschaftlichem Boden zeigen die öffentlichen Wahlen diefelbe Geltendmachung des Klaffenbewußts seins. Bet den Gewerbegerichtswahlen der letzten Zeit war das zu tonstatieren. Noch schärfer aber tritt es zutage bei der gewichtigsten Wahl auf gewerkschaftlichem Gebiet, bei den Wahlen der Sicher heitsmänner im Bergbau. Um das Verlangen der Bergarbeiter nach einem Reichsgesetz und vor allem nach Arbeiterkontrolleuren im Bergbau( entsprechend den Gewerbeinspektoren für Fabrikbetriebe) zu beschwichtigen, schufen die Regierung und die Parteien im preußis schen Landtag bas Sicherheitsmännergesetz. Auf Grund dieses Ges setzes können die Bergarbeiter Leute aus ihren Reihen wählen, die das Recht haben, zweimal im Monat in Begleitung eines Aufsichts. beamten die Abteilung zu befahren, in der fie arbeiten, um den Schacht auf seine Sicherheit für Leben und Gesundheit der Ar beiter zu prüfen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind in Fahrbücher einzutragen, Betriebsunsicherheiten sind der Bergbehörde sofort zu melden. Da die Kontrolleure nicht unabhängig von den Wertbesitzern gestellt und nur mit geringen Befugnissen ausgestattet find, so protestierten die Bergleute gegen das Gesetz. Aber die richtigen Antworten gaben sie Regierung und bürgerlichen Parteien bei ben soeben vollzogenen Wahlen der Sicherheitsmänner. In drastischer Weise veranschaulicht der Stimmzettel Gesinnung und Stimmung der Bergarbeiter. Im Ruhrrevier hat der alte Verband einen weit über Erwarten glänzenden Sieg errungen. Es waren 1600 Sicherheitsmänner zu wählen. 1090 Kandidaten des alten Verbandes wurden gewählt. Der chriftliche Gewerkverein, der stets viel Aufhebens von sich macht und der einer der stärksten Stützen der chriftlichen Gewerkschaftsbewegung ist, brachte von seinen Kandi­daten 290 durch. Die polnische Organisation, deren gesonderte