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Die Gleichheit

möglichst solche Genossinnen als Agitatorinnen wählen, die in ihrer Bewegungsfreiheit durch häusliche Sorgen wenig gehemmt wären. Die wichtigsten Fragen der Agitation unter den Frauen würden in nächster Zeit bilden: die Fleischverteuerung, die Reichsversiche­rungsordnung, soweit die Mutterschaftsversicherung und die Witwen und Waisenversorgung in Frage kommen, und die Erringung des Frauenwahlrechts, wie es die Internationale Sozialistische Frauen fonferenz in Kopenhagen   verlangt hat. Der Parteivorstand. würde entsprechende Flugblätter für die Agitation herausgeben. Die Rednerin forderte die Frauen auf, sich mehr als bisher um die kommunalen Angelegenheiten, um die Gemeindevertreterwahlen zu fümmern. Auf dem Gebiet des Gemeindelebens, so führte Genossin Zietz aus, liegen wichtige Materien, die in erster Linie die Frauen berühren, wie Armenpflege, Säuglingsfürsorge und anderes. Wenn die Frauen auch nicht wählen dürften, so könnte durch ihre Mit­arbeit doch vieles erzielt werden. Überall, wo Wahlkämpfe statt­finden, müsse man für das Frauenwahlrecht agitieren. Um dieser Forderung mehr Stoßkraft zu geben, sei ein alljährlicher Frauen­tag geplant, an dem die Proletarierinnen erflären, daß sie volles Bürgerrecht verlangen und es zusammen mit der Sozialdemokrotie erobern wollen. Die Agitation zur Ausrüttelung der proletarischen Frauenmassen müsse fortgesetzt werden. Es sei außerdem die Er­ziehung der Frau zur sozialistischen   Weltanschauung notwendig. Zu diesem Zwecke müßten bestimmte Abende angesetzt werden, an denen sich die Genoffinnen durch Referate, Lektüre und Diskussionen theoretisch schulen könnten. An der sich anschließenden Debatte be­teiligten sich mehrere Delegierte. Sie hoben hervor, daß die Frauen immer noch zu wenig Interesse für die Mitarbeit in der Partei zeigten, und daß die wenigen tätigen Genoffinnen nicht die Zeit hätten, um sich theoretisch so auszubilden, wie es Genossin Ziet in ihrem Referat verlangte. Genossin Knöfler wies darauf hin, daß häufig Genossinnen, die sich zur Mitarbeit gemeldet hätten, von den Genossen zurückgewiesen worden seien. Genosse Beims erwiderte darauf, daß die Frauen auf ihrem Rechte bestehen und sich nicht abweisen lassen sollten. Er machte des weiteren Vor­schläge, wie die Genofsinnen mit den Genossen zusammenarbeiten fönnten. Es wurde der Wunsch ausgedrückt, daß alle in den Kon­sumgenossenschaften tätigen Männer und Frauen auch in der Partei mitarbeiten möchten. Schließlich gelangte einstimmig ein Antrag der Genosin Knöfler zur Annahme, daß, wo es möglich ist, in den Bezirken bestimmte Abende festzusetzen sind, an denen Unter richtsstunden zur theoretischen und praktischen Ausbildung von Funktionärinnen abgehalten werden.

Den zweiten Punkt der Tagesordnung bildete ein Bericht über den Stand der proletarischen Frauenbewegung im Regierungs­ bezirk Magdeburg  ". Er ward von Genossin Bollmann- Halber­stadt gegeben. Die Rednerin fonstatierte die zufriedenstellenden Erfolge der Frauenbewegung im Bezirk. Die Zahl der organisierten Frauen stieg im letzten Jahre von 1779 auf 2666, also um 49 Pro­zent, während die Zahl der Männer im gleichen Zeitraum nur um 38 Prozent wuchs. An der Hand eines reichen Bablenmaterials beleuchtete Genossin Bollmann die Ursachen des Zu- und Abganges der weiblichen Mitglieder in den einzelnen Ortschaften. Die Ge­winnung neuer Mitglieder müßte nach ihren Erfahrungen syste­matischer und vor allem mehr durch Hausagitation betrieben wer­den. Die Rednerin bedauerte, daß die Zahl der Leserinnen der ,, Gleichheit" nicht so groß sei wie die Zahl der organisierten Ge­nossinnen. Genosse Beims stellte fest, daß es beim besten Willen nicht möglich gewesen sei, mehr Mitglieder in den einzelnen Ort schaften respektive Kreisen zu werben. Die Gleichheit", die doch meist von proletarischen Frauen gelesen würde, müßte noch popu lärer werden, dann werde sie auch unter den breiten Frauenmassen mehr Verbreitung finden. Diesen Ausführungen gegenüber hielt es Genossin Zietz nicht für angebracht, den Charakter der Gleich­heit" zu ändern. Genossin Kuppinger Halberstadt wünschte, der Parteivorstand möchte von Zeit zu Zeit kleine gemeinverständ­liche Abhandlungen über Nationalökonomie herausgeben, die sich zur Verbreitung eignen.

Zum dritten Punkt der Tagesordnung Zeitungslektüre und Arbeiterfraueninteressen" nahm Genossin Kaßner das Wort. Sie beleuchtete den Inhalt der noch von so vielen proletarischen Frauen gelesenen gegnerischen Zeitungen. Diese Presse verdummt und ver giftet den Geist großer Schichten der arbeitenden Bevölkerung. Die Gegner benutzen sie als treffsichere Waffe im Wahllampf. Mit Berleumdungen bekämpfen die bürgerlichen Zeitungen Partei, Ge werkschaften und die Genossenschaften, und sie erschweren uns da durch die Aufklärung unter den uns noch fernstehenden Massen. Die Frauen müßten aufs eifrigste in Stadt und Land für unsere Parteipresse, für die Magdeburger Volksstimme", für die Land­

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post", das Organ der Landarbeiter, und die Gleichheit", ihr eigenes. Blatt werben. In der Diskussion wurde hauptsächlich darauf hin­gewiesen, in welcher Weise die Frauen am besten für die Arbeiter­presse agitieren könnten. Dann gelangte ein Antrag zur Annahme, der den Wunsch ausdrückt, die in Magdeburg   bestehende Preß­fommission um eine Genossin zu verstärken. Damit waren die Ar­beiten der Konferenz erledigt. Nach einem furzen Schlußwort der Vorsitzenden wurde sie mit einem dreifachen Hoch auf die inter­nationale sozialistische Frauenbewegung geschlossen.

Dorothea Raßner.

Genoffin Katharine Keliner- Prenngesheim. Nach langem, schwerem Krankenlager verschied am 3. November in Preunges­ heim   bei Frankfurt   a. M. unsere Genossin Katharine Kellner. Seit zwei Jahren wohnte sie in unserem Orte und gab durch ihren Eifer bei jeglicher Parteiarbeit den Genosfinnen ein leuchtendes Vorbild. Klar über die Ziele der Arbeiterbewegung und die Rolle, die die proletarische Frau in ihr zu spielen hat, tat fie schon während des Ausnahmegesetzes in Frankfurt   a. M. ihre Pflicht für die Partei. Sie war damals Witwe und besaß das Restaurant Zum Hainerhof am Baulsplay in Frankfurt   a. M. Sie hieß zu jener Zeit, nach ihrem ersten Manne, einem Maler, noch Gils. Gar mancher der zu jener Zeit von der Polizei geächteten Ge nossen wird sich beim Lesen dieser Zeilen vielleicht daran er­innern, wie liebe und verständnisvoll er bei der Genossin auf­gehoben war, während die Polizei ihn anderswo wähnte. Wenn die Wände reden könnten, so würden sie von manchem Schnippchen erzählen, das die Verstorbene der preußischen Polizei schlug. Das Leben ging hart mit ihr um. In ihrer zweiten Ehe mit dem Monteur Kellner war ihr wie in der ersten auch das Glück nicht lange hold. Ihr Mann wurde bei einer Arbeit in Italien   durch einen Unfall zum Invaliden. Ihn hat sie jetzt mit zwei noch nicht erwachsenen Kindern zurückgelassen. Die Mitglieder des Sozial demokratischen Vereins von Preungesheim   beteiligten sich in an sebnlicher Zahl an ihrer Beerdigung und legten cinen schönen Blumenkranz mit einer prächtigen roten Schleife an ihrem Grabe nieder. Die Genossinnen und Genossen werden der Dahingeschie denen ein dauerndes Andenken bewahren und in ihrem Sinne weiter wirken. Herm. Bender.

Politische Rundschau.

Der Reichstag   ist wieder zusammengetreten. Seine erste große Berhandlung galt der Fleischnot, die zweite der Königsberger Kaiserrede. Beide Verhandlungen hat die Sozialdemokratie durch Interpellationen erzwungen. Die Konservativen hatten allerdings auch eine Fleischnotinterpellation eingebracht, aber nicht, um von der Not des Volkes, dem das Fleisch fehlt, zu reden. Ihre Interpellation sollte der Not der Landwirtschaft, das heißt der Großgrundbesitzer gelten, die angeblich eintreten werde, wenn die Grenzen für fremdes Vieh und Fleisch geöffnet würden. Ja diese Not sei schon zum Teil eingetreten, da die süddeutschen Staaten für französisches Vieh die Tore aufgetan haben. Nun, die Herren Junker dürfen zufrieden sein, die Regierung hat ihnen durch den Mund des Staatssekretärs Delbrück   und des preußischen Land­wirtschaftsministers Schorlemer- Liesa auf das Bestimmteste ver­sichert, daß ihr die Gewinne der Viehzüchter hoch über den Inter­essen des Volkes stehen. Die deutsche Arbeiterschaft und der Mittel­stand mögen ruhig darben und ihren Fleischverbrauch auf das Außerste einschränken, die Voltsernährung und Volksgesundheit mag auss schlimmste geschädigt werden, die Reichsregierung be ziehungsweise die preußische Regierung denkt nicht daran, auch nur das Geringste dagegen zu tun. Mag Österreich   die Einfuhr gefrorenen argentinischen Fleisches gestatten, in Preußen- Deutsch  land herrschen die Junker unumschränkt und ein solch schwächliches Nachgeben vor den Forderungen des Voltes zieht hier nicht. Die völlig unzulängliche Öffnung der französischen   Grenze nach Süd­ deutschland   wird in Preußen und im verpreußten Norddeutschland teine Nachfolge finden und den süddeutschen Staaten wird auf feinen Fall gestattet werden, auf diesem Wege noch einen Schritt zu tun. Es gibt keine Aufhebung der Viehsperren, keine Aufhebung oder auch nur Herabsetzung der Wucherzölle auf Vich und Fleisch oder auf Futtermittel, feine Erleichterung der Vieheinfuhr an den wenigen Ausnahmestellen, wo sie noch gestattet ist, durch Reform der chilanösen und verteuernden Kontrollvorschriften, keine Änderung der ebenso wirkenden Vorschristen des Fleischbeschaugesetzes. Und noch empörender als dieser voltsfeindliche Beschluß selbst ist die elende Heuchelei, womit er als ein Akt der Fürsorge für die Ge sundheit des deutschen Volkes und für seine Nahrungsversorgung ausgegeben wird. Denn angeblich darf und fann feine der Forde