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Die Gleichheit
Zeugnis. Der Verband der Maschinisten und Heizer hat seit Jahren die verdienstliche Aufgabe auf sich genommen, diese Mißstände der Öffentlichkeit bekannt zu geben. So lenkt er die Aufmerksamkeit darauf, daß namentlich bei der Oberschiffahrt die Schleppdampfer mit überlastetem( verkeiltem) Sicherheitsventil zu fahren pflegen. Dadurch wird die Schleppfähigkeit des Dampfers erhöht, aber es entsteht natürlich auch die Gefahr einer Kesselexplosion. Dergleichen verbrecherische Manipulationen haben die Gewerbeinspektoren vereinzelt auch in Gewerbebetrieben festgestellt, in der Schiffahrt aber scheinen sie gang und gäbe zu sein. Die Schiffseigner rühmen sich gegenseitig, daß ihr Dampfer jeden Schleppzug drückt. Auf der Havel und der Elbe ist diesem gefährlichen Treiben durch häufige Revisionen seitens der Berufsgenossenschaften und der Strompolizei Einhalt getan worden. Jetzt versuchen die Arbeiter durch öffentliche Festnagelung der Praktiken in der Arbeiterpresse dem frevlen Spiel mit Menschenleben auch auf der Oder Einhalt zu tun. Die Maschinisten und Heizer haben dem bis jetzt machtlos gegenüber gestanden. Weigern sie sich, die Dampfkraft zu überspannen, so werden sie entlassen, und auf dem neuen Arbeitsplatz wird ihnen dieselbe Zumutung gestellt. Als ein lehrreiches Dokument unserer kapitalistischen Kultur verdient diese Wertung des Arbeiterlebens verzeichnet zu werden.
Jm Braugewerbe Rheinland- Westfalens hat die Arbeiterorganisation nach vielen Mühen und langen Verhandlungen einen recht beachtenswerten Erfolg errungen. Im Jahre 1905 hatte fich nach der großen Aussperrung ein Boykottschutzverband der Unternehmer gebildet. Seine Aufgabe war, eine Verkürzung der Arbeitszeit unter zehn Stunden auf alle Fälle zu verhindern und die Ausbreitung des Tarifgedankens zu unterbinden. Jeht, nach fünf Jahren, nachdem die Arbeiterorganisation sich erheblich ge fräftigt hat, mußten die Unternehmer ihr Programm preisgeben und sich zu einem Tarifvertrag bequemen, der die 9% stündige Arbeitszeit zugesteht und für das große Gebiet von Hamm bis Köln mit etwa 6000 Arbeitern und Arbeiterinnen des Gewerbes gilt. Gleichfalls einen anerkennenswerten Sieg erfochten die Metallarbeiter in Leipzig . Hier galt der Kampf dem Arbeitsnachweis. Der Arbeitsnachweis, der von den Metallindustriellen eingerichtet und geleitet wurde, war in Wirklichkeit ein Maßregelungsbureau, und der Leiter des Nachweises, ein früherer Amtsgerichtssekretär, ging mit den Stellensuchenden gerade nicht glimpflich um. Die Organisation sperrte längere Zeit den Nachweis, was zur Folge hatte, daß tüchtige Arbeitskräfte im Leipziger Metallgewerbe knapp wurden. Das duckte die hochfahrenden Unternehmer, sie verhandelten mit der Organisation und erklärten, daß bei der Stellenvermittlung unorganisierte Arbeiter nicht bevorzugt werden dürfen; auch entließen sie den bisherigen Leiter des Nachweises.
In der Gegend, wo der Geist des seligen Freiherrn v. Stumm noch sputt, schreitet die Gewerkschaftsbewegung vorwärts. Der Holzarbeiterverband hat im Saargebiet nach zwölf wöchigem Kampfe einen Tarifabschluß durchgesetzt, der die lange Arbeitszeit von 60 bis 63 Stunden wöchentlich auf 58 Stunden verkürzt und auch Lohnerhöhungen bringt. Dieser Erfolg ist um so bemerkenswerter, weil im Bezirk der Saar die scharfmacherischen Großindustriellen auch die kleineren Unternehmer in dem Bann ihrer arbeiterfeindlichen Tendenzen halten und eine Verkürzung der Arbeitszeit unter 60 Stunden pro Woche nicht zulassen wollten.
Bon gleicher Bedeutung wie dieser Fortschritt ist die erfolg. reiche Lohnbewegung der Angestellten bei der Versicherungsgesellschaft Vittoria" in Hamburg . Im vergangenen Jahre wurde den Einnehmern und Rechercheuren eine Erhöhung ihres 100 Mt. betragenden Monatsgehaltes abgelehnt. Inzwischen haben sich diese Proletarier im Stehkragen" im Verband der Bureauangestellten organisiert. Die Gesellschaft beantwortete erneute Lohnforderungen mit Maßregelungen. Daraufhin beschlossen die Angestellten, die Arbeit einzustellen. Jetzt gab die Gesellschaft nach, bewilligte 125 Mt. Monatsgehalt und weitere kleinere Vergünstigungen.
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Die angekündigte Aussperrung in der Pirmasenser Schuhindustrie wird allem Anschein nach nicht erfolgen. Zwar ist in 65 Fabriken rund 7500 Arbeitern und Arbeiterinnen bereits ge= kündigt worden, die Vermittlungsversuche des Gewerberats scheinen aber inzwischen nicht ohne Erfolg geblieben zu sein, da sich beide Seiten nun zur Einigung geneigt zeigen.
Am Streit der Etuisarbeiter und arbeiterinnen ist keine Veränderung eingetreten, während der Streik in Rathenow nach zwanzigwöchiger Dauer beendet wurde. Die Hirsch- Dunckerschen haben dazu in der von ihnen beliebten Weise beigetragen. Zwei ihrer Mitglieder waren am Streit beteiligt, von den Mitgliedern des Buchbinderverbandes dagegen 180. Der Verhandlungskommission
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sollten aber je sechs Mann von jeder Organisation angehören. Diese Zumutung lehnte der Buchbinderverband ab. Darauf verhandelte der Gewerkverein hinter dem Rücken des Buchbinderverbandes mit den Unternehmern. Die Streifenden sahen sich schließlich gezwungen, das Angebot der Fabrikanten anzunehmen, das ihnen nur einige fleinere Zugeständnisse brachte.
Die Lohnbewegung in der Pforzheimer Gold- und Silberwarenindustrie scheint größeren Umfang anzunehmen. Infolge von Streik und Aussperrung stehen gegenwärtig etwa 2500 Arbeiter und Arbeiterinnen im Kampfe; im Laufe der nächsten Tage dürfte ihre Zahl sich verdoppeln.
Die Berliner Gasarbeiter befinden sich in einer Lohnbewegung. Eine von 3000 Mann besuchte Versammlung beschloß, alle Mittel anzuwenden, um die Forderung auf Erhöhung ihres 1300 Mt. betragenden Jahresverdienstes durchzusetzen, die der freisinnige Magistrat bisher stets abgelehnt hat.
Von einem erfolgreichen Lohnkampf der Landarbeiter ist zu berichten. Die im Landarbeiterverband organisierten Pferdeknechte zweier Güter in Halberstadt forderten eine Erhöhung ihres Wochenlohnes von 14 Mt. um 1 Mt. Die Gutsbesitzer wollten eine Lohnerhöhung nur für die Sommermonate zugestehen. Daraufhin führten die 58 Pferdefnechte die Pferde in die Ställe und stellten die Arbeit ein. Als es nicht gelang, polnische Arbeiter als Streifbrecher anzuwerben, versuchten sich die Herren Gutsinspektoren- als Führer der Rübenwagen. Aber offenbar mit geringem Erfolg, denn nach 2 tägigem Ausstand wurde den Pferdeknechten die verlangte Lohnerhöhung bewilligt.
Den Kampf um die sechstägige Arbeitswoche hat der Bäckereiarbeiterverband von neuem aufgenommen. Die Forderung ist sehr alt. Schon 1891 hat die Organisation auf einem Verbandstag die vollständige Sonntagsruhe gefordert. 1904 wurde ihre gesetzliche Einführung durch Petitionen verlangt. Der Bundesrat würdigte damals den Bäckerverband nicht einmal einer Antwort, sondern übermittelte seinen ablehnenden Bescheid dem Verband der Bäckerinnungen. Ärzte und Hygieniker befürworteten das Verlangen der Bäcker im Interesse der Gesundheit dieser Proletarier, mit Rücksicht auch auf die Reinlichkeit der Betriebe und damit auf das Interesse der Konsumenten. In einigen Bundesstaaten ist die sechs tägige Arbeitswoche bereits eingeführt worden. Dem Verband ist es seinerseits gelungen, für etwa 6000 Arbeiter wenigstens einen wöchentlichen Ruhetag zu erringen. Dazu kommen etwa 15000 Arbeiter des Bäckergewerbes in Westfalen , in den Regierungsbezirken Aachen , Trier und am Niederrhein , wo schon seit Jahren nur an sechs Tagen in der Woche gearbeitet wird. Kurz, insgesamt etwa ein Siebentel aller in Bäckereien Beschäftigten hat in der Woche einen Ruhetag. Wenn es möglich war, die Forderung für das Siebentel zu verwirklichen, so muß sie gewiß auch allgemein durchführbar sein. Unsere Leserinnen können und müssen ihr Teil dazu beitragen, daß die Proletarier des Bäckergewerbes den notwendigen Ruhetag erhalten.
Der nächste Gewerkschaftstongreß, der in Dresden tagen soll, wird vom 25. Juni bis 1. Juli stattfinden. #
Aus der Textilarbeiterbewegung. Der Stickerstreit in Plauen ist am 19. November beendet worden. Zur Zeit des Abbruchs des Kampfes standen noch 170 Sticker im Streit. Für die übrigen war der Tarifvertrag erneuert worden. Im ganzen dürften nunmehr 140 Verträge zu Recht bestehen. Daß nicht ein voller Sieg errungen wurde, liegt an der noch mangelnden Einheit und Kampffähigkeit der Sticker. Auch zur Kampfbereitschaft bedarf es einer Erziehung. Für große Kämpfe sind aber die Sticker so gut wie die Maschinenbesitzer unvorbereitet. Wären die Maschinenbesitzer genügend unterrichtet, so hätten sie, als im Vorjahr die Fabrikanten ihre Forderungen ablehnten, die von den organisierten Arbeitern deutlich genug angebotene Hilfe angenommen und gemeinsam mit diesen gegen die Fabrikanten gekämpft. Statt dessen krochen sie vor den Fabrikanten zu Kreuze und wandten sich gegen die Arbeiter, indem sie diesen eine Lohnreduktion von 3 Pf. pro 1000 Stich vorschlugen. Wären andererseits die Sticker kampferprobte Proletarier gewesen, so hätten sie sich im vorigen Jahre leicht im ganzen Vogtland den Tarifvertrag errungen, und ebenso spielend hätte das in diesem Jahre geschehen können. Immerhin waren die Kämpfe für die Sticker von außerordentlichem Nutzen, nicht nur für die Sticker, sondern für die gesamte Industrie. Die gewaltigen Lohnschwankungen haben nachgelassen und die Schmutzkonkurrenz konnte sich infolgedessen nicht wie früher fühlbar machen. Früher war in der stillen Zeit der Lohn oft bis zu 40 Prozent niedriger als zur Zeit der vollen Geschäftstätigkeit. Was in den Jahren 1886 bis 1893 der von Fabrikanten und Maschinenbesitzern gebildete Zentralverband der Stickereiindustrie nicht fertig brachte,