Nr. 6

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Die Gleichheit

Textilproletarierinnen nicht zurück. Eine große Zahl von Neuauf nahmen in den Verband bewies, daß auch die gedrücktesten Ar beiterschichten sich gegen die herrschende Gesellschaftsordnung auf zulehnen beginnen. Von den Arbeitsverhältnissen der schlesischen Textilarbeiter berichten wir in nächster Nummer. In den säch In den säch sischen Orten müßten ebenfalls elende Lebensbedingungen die Arbeiterinnen zur Organisation treiben. Unbezahlte Arbeit wird viel von ihnen verlangt und auch geleistet, da es leider an Solis darität fehlt. In Freiberg   in Sachsen   legten die Unternehmer ein größeres Interesse für die Versammlung an den Tag als die Arbeiter. Sieben Stehkragenproletarier", ein Magistratssekretär und ein Geheimpolizist machten während ihres Verlaufes eifrig Notizen, damit sie ja nichts zu berichten vergåßen. Solche Spitze leien binden natürlich den Arbeiterinnen die Zunge und halten die meisten von den Versammlungen fern. Auf Schritt und Tritt führte uns die Agitation die frassesten Beispiele vor Augen, daß die Werte schaffenden Arbeiterinnen rücksichtslos ausgebeutet und gefnechtet und obendrein verachtet werden. Die noch festgewurzelte Gleichgültigkeit vieler gegen diese Sklavenexistenz rächt sich schwer. Weite Agitationsgebiete liegen noch brach, in anderen geht die aus­gestreute Saat spärlich auf. Das darf nicht entmutigen, muß viel mehr zur geduldigen intensivsten Weiterarbeit anspornen. Lang sam zwar, aber doch sicher legt die Aufklärung Bresche in den Wall von Vorurteilen, der die Proletarierinnen der Textilindustrie gefangen hält. Von Jahr zu Jahr wächst die Zahl der über­zeugten". Der Gedanke gewinnt an Boden, daß die Arbeiterinnen selbst mit am Werke sein müssen, um die Gleichgültigkeit ihrer Schwestern zu brechen. In dieser Erkenntnis liegt die beste Ge­währ für das Fortschreiten der Arbeiterinnenbewegung. Wenn jede ihr ganzes können in den Dienst unserer Sache stellt, die ihre ureigenste Sache ist, wenn immer neue Scharen sich dem Deutschen  Textilarbeiterverband anschließen, dann muß es gelingen, das viel tausendköpfige weibliche Textilproletariat zu dem Klassenbewußtsein zu erziehen, welches Selbstbewußtsein in sich begreift, und das es leider zur Stunde noch recht oft vermissen läßt.

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Martha Hoppe.

In Berlin   fanden am 29. November dreinndzwanzig Volks­versammlungen statt, deren Tagesordnung lautete: Mißbrauchte Kinderkraft". In der richtigen Erwägung, daß in erster Linie Frauen berufen seien, die Sache der Kinder zu vertreten, hatte die Parteileitung von Groß- Berlin dreiundzwanzig Frauen als Referentinnen für diesen Abend berufen. Die Genossinnen Arend­ see  , Baader, Bohm- Schuck, Buchmann, Demmning, Dölt, Fahrenwald, Hanna, Juchacz  , Kähler, Kiesel, Lungwiz, Matschke, Mirus, Philipp, Reichert, Schulte, Sußmann, Thiel, Tiez, Weyl, Wurm, Ziez wiesen die völlige Unzu­länglichkeit des bestehenden Kinderschutzgesetzes nach und belegten sie mit zahlreichen Beispielen aus der Praxis. Den Leserinnen der Gleichheit" ist die große Mangelhaftigkeit des Gesetzes zu bekannt, um hier nochmals einer ausführlichen Darlegung zu bedürfen. In allen 28 Versammlungen gelangte einstimmig folgende Resolution zur Annahme: Unter den schweren Schäden, welche die kapitalistische Produktionsweise für das Proletariat im Gefolge hat, steht die Kinder­ausbeutung mit an erster Stelle. Die gewerbsmäßige Kinderarbeit raubt den Kindern Lebenskraft und Lebensfreude und erstickt die besten Keime in der Entwicklung des findlichen Geistes. Für viele Kinder bildet die frühzeitige Beschäftigung in Gewerbe, Industrie und Landwirtschaft die Ursache körperlicher und fittlicher Schädi gung mannigfachster Art. Die Versammlung erklärt, daß das am 1. Januar 1904 in Kraft getretene Kinderschutzgesetz nicht im ent­ferntesten den Ansprüchen an den gesetzlichen Schutz der Kinder gegen vorzeitige Verwüstung ihrer körperlichen, geistigen und sitt lichen Sträfte genügen tann. Sie fordert deshalb: Verbot jeglicher Erwerbsarbeit schul- und vorschulpflichtiger Kinder in Gewerbe, Land- und Forstwirtschaft, bei häuslicher Arbeit, bei Boten- und Gesindediensten; Ausdehnung der Schulpflicht auf das vollendete vierzehnte Lebensjahr; Herabsetzung der täglichen Marimalarbeits­zeit für jugendliche Arbeiter von 14 bis 18 Jahren auf höchstens sechs Stunden und Einführung eines obligatorischen Fortbildungs­schulunterrichts für beide Geschlechter. Ferner fordert sie nach­drücklich die Durchführung einer wirksamen Kontrolle des Kinder­schutzgesetzes. Um diese zu ermöglichen, die Vermehrung der Ge­werbeaufsichtsbeamten und die Heranziehung von Aufsichtspersonen aus den Kreisen der Arbeiter und Arbeiterinnen. Die Versammelten geloben, daß sie mit allen Kräften an der Beseitigung der kapita­ listischen   Produktionsweise, als der eigentlichen Ursache des Kinder­elends und für Einführung der sozialistischen   Gesellschaftsordnung tätig sein wollen, da nur hierdurch Not, Elend und Ausbeutung, auch der der Kinder, ein sicheres Ende bereitet werden kann."

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Mit Hilfe der allerorts von Partei und Gewerkschaft gemeinsam begründeten Kinderschuhkommissionen muß es gelingen, jede kindliche Erwerbsarbeit zu beseitigen. Das heranwachsende Prole­tariat hat ein Recht auf gesunde, glückliche Kindheit, eine solche ihm zu erkämpfen, das ist unsere Aufgabe. Arbeiten wir auch auf dem Gebiet des Kinderschutzes vereint mit unermüdlichen Kräften, so wird auch hier der Erfolg endlich unser sein.

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m. w.

Auf Veranlassung des Agitationskomitees für den Ober­rhein referierte die Unterzeichnete in 26 Versammlungen, die im Oktober und Anfang November stattgefunden haben und teils als Volksversammlungen, teils als Frauenversammlungen einberufen worden waren. Eine dieser Versammlungen, in Köln- Nippes, beschäftigte sich mit den Moabiter   Vorgängen. Die Versammelten verurteilten aufs schärfste die Ausnutzung dieser Ereignisse durch die Scharfmacher zur Hetze gegen die organisierte Arbeiterklasse. Im Stadt- und Landkreise Köln   wurden außerdem noch sechs Versammlungen veranstaltet, in denen das Thema lautete: Teures Brot und wenig Rechte". Die gut besuchten Veranstaltungen im Volkshaus zu Köln   und in Ehrenfeld   waren Frauenversamm­lungen; auch in den übrigen Bersammlungen waren viele Frauen anwesend. Als Gewinn konnten wir sechzig neue Mitglieder ver­zeichnen. Im Wahlkreis Mülheim- Wipperfürth wurden fünf Volksversammlungen abgehalten. Die Tagesordnung lautete in Bergneustadt  :" Der Kampf des Volkes um Brot und Recht", in Mülheim, Dellbrück  , Dünnwald und Torz:" Zentrum und Sozialdemokratie". In allen Versammlungen stellten die Frauen einen großen Prozentsatz der Besucher. 25 Aufnahmen in die Partei waren zu verzeichnen. In Düren  , Aachen  , Eschweiler   und Würselen   behandelte die Unterzeichnete das zuerst genannte Thema. Die Partei rekrutierte in Eschweiler   17 Mitglieder, darunter die ersten drei Frauen. In Aachen   war das Lokal bis auf den letzten Platz gefüllt, und mehr als die Hälfte der Besucher waren Frauen. 9 neue Mitglieder schlossen sich hier der Partei an. Auch die Ver­sammlungen in Würselen   und Düren   erfreuten sich eines guten Besuchs. In Godesberg   fand eine Vereinsversammlung statt mit dem Thema: Zentrum und Sozialdemokratie", zu der Gäste ein­geladen waren, denn zu öffentlichen Versammlungen erhalten unsere Genossen dort kein Lokal. Unter diesen Umständen freut es uns besonders, daß der Partei 12 neue Mitglieder beitraten. In der Versammlung in Bonn   mit der Tagesordnung: Die Frau und die Politik" war viel bürgerliches Publikum erschienen. Die prole= tarischen Frauen fehlten fast ganz. In der Diskussion sprach ein Herr von der demokratischen Vereinigung und ein Fräulein v. Schmid, die ihrem Adel eine sehr große Bedeutung beilegte. Als die Unterzeichnete die Stellung der Fortschrittlichen Volkspartei  zum Frauenwahlrecht festnagelte, meinte die Dame, wir Sozial demokraten sollten nur vor der eigenen Tür kehren. Auf der Inter­nationalen Frauenkonferenz habe die orthodoxe Luise Zieß sich dar­über beklagt, daß die Männer oft der Forderung des Frauenwahl rechts kein Verständnis entgegenbrächten. Sie verwies dabei auf den ebenso verlogenen als dummen Bericht in der Zeitschrift für Frauenstimmrecht". Daß die Dame die gebührende Antwort ers hielt, versteht sich. Versammlungen in Bützchen und Euskirchen  folgten. In Neuwied   steht unseren Genossen kein Saal zur Ver­fügung, und fie müssen ihre Versammlungen in Privaträumen ab­halten, die bis auf den letzten Platz gefüllt waren. Es fanden noch Versammlungen statt in Kreuznach, mit schwachem Besuch, ferner im Fürstentum Birkenfeld   in den drei Orten Fischbach, Enzweiler bei Oberstein  , wo sich Diamant- und andere Edelstein­schleifereien befinden, und in Buhlenberg  . In Fischbach traten einige Versammlungsbesucher zur Gründung eines sozialdemo­fratischen Vereins zusammen. Die letzte Versammlung wurde in Trier   im Gewerkschaftshaus abgehalten, das neben dem Geburts­haus unseres Karl Marx   liegt. Eine kleine Schar zielbewußter Parteigenossen und Gewerkschaftsmitglieder hat in der schwarzen" Hochburg mit zäher Ausdauer dafür gesorgt, daß eine Stätte vor handen ist, von der aus die Finsternis bekämpft werden kann. Die Versammlung war von mehr als hundert Personen besucht und brachte der Partei 15 neue Mitglieder. Soweit die Agitation am Oberrhein der Partei weibliche Mitglieder zugeführt hat, ist auch zugleich der Leserinnentreis der Gleichheit" erweitert worden. Auch die örtliche Parteipresse hat neue Abonnenten gefunden. Im oberrheinischen Agitationsbezirk war im verflossenen Jahre die Zahl der weiblichen Parteimitglieder nicht gewachsen. Hoffentlich hat die jetzige Agitation nicht bloß die Zahl der organisierten Frauen vermehrt, sondern auch den Stamm der Genossinnen gefestigt und zur weiteren Agitation ermutigt. Sicher hat auch die Besprechung der Unterzeichneten mit den Kölner   Genossinnen in diesem Sinne gewirkt. Heiße politische und wirtschaftliche Kämpfe stehen dem