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Die Gleichheit
Die Kettenmacherinnen fommen als Babies in die Schmieden, als Kinder lernen sie den Beruf, und im Laufe der Zeit eignen sie sich eine wunderbare Geschicklichkeit und asiatische Be dürfnislosigkeit an. Die Jungen ersehnen den Zeitpunkt, wo fie fähig sind, das erste Kettenglied zu schweißen, und noch mehr erwünschen ihn die Alten; die Kinder wünschen den Abliefe rungstag herbei, an dem sie den ersten Zentner Ketten als Wochenarbeit abliefern fönnen, und noch viel inbrünstiger er sehnen ihn die Eltern. Aber noch ehe die Mehrzahl der Mäd chen diesen Gipfel ihres Ehrgeizes erreicht hat, ist ihre Jugend dahin und ihre Gesundheit für immer zerstört.
An der fertigen Kette sieht so ein Glied aus wie das einfachste Ding von der Welt. Wieviel Geschick, Mühe und Sorg. falt die Herstellung dieses unscheinbaren Dinges erfordert, weiß nur der Schmied. Das Schweißen besonders verlangt volle Aufmerksamkeit, denn die schwerste Kette ist nicht stärker wie ihr schwächstes Glied. Jedes einzelne Glied heischt eine Rot wärme, eine Schweißhize und dreißig bis fünfzig Hammerschläge. Von einer bestimmten Sorte Ketten fann eine geschickte Arbeiterin bei äußerster Anstrengung in einer Stunde einen Meter machen. Ein Meter von dieser Kette heißt für die Arbeiterin acht Pfennig, wenn es hoch fommt zwölf Pfennig. Hosianna, wenn am Ende des zwölfstündigen Arbeitstags zwölf Meter am Boden liegen, denn das bedeutet eine Mart Verdienst. Jst dann Werkstattmiete, Kohle und Werkzeug bezahlt, so bleiben am Sonnabend noch vier ganze Mark im Beutel. Und das für eine 72 ftündige Fron!
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Um zwei Zentner von einer bestimmten Sorte Retten in einer Woche zu produzieren, müssen 5000 Glieder abgehauen, gebogen, geschweißt und gerichtet werden, dabei ist der Blasebalg zu ziehen, Kohle aufzuschaufeln und das fertige Produkt abzuliefern. Für zwei Zentner Kette von dieser Eorte die Höchstleistung einer sehr geschickten Arbeiterin in einer Woche erhält die Arbeiterin zehn Mart. Davon sind noch die Miete für die Werkstatt, der Verschleiß des Werkzeugs, die Kosten für die Kohlen und den Transport des Rohmaterials und des fertigen Produktes abzuziehen. Mit diesem Wochenlohn tritt die Kettenmacherin in die Aristokratie ihres Berufes ein. Und wieviel Frauen haben Jugend und Lebenskraft daran gesetzt, ohne jemals diesen Gipfel der Lohnstaffel zu erreichen! Im allgemeinen gelten vier Mart als ein guter Wochenlohn. Eine Frau er zählte, daß sie ein volles Tausend Hammerschläge tun müsse, um anderthalb Bence( zwölf Bẞfennig) zu verdienen.
Jm vorigen Jahre gelang es endlich, die Kettenmacherei durch einen offiziellen Erlaß in die Kategorie der Schwizindustrie einzureihen. Damit waren die Unternehmer gezwungen, einen ( noch zu bestimmenden) Minimallohn zu zahlen. Sieben Mos nate verhandelten Unternehmer und Arbeitervertreter über die Festsetzung dieses Mindestlohnes. Im August 1910 trat der nach langem Hin und Her zustande gekommene Lohntarif in Kraft. Er brachte den Arbeiterinnen eine sofortige Lohn erhöhung von 50 bis 150 Prozent. Nur wenn sich die Frauen durch Unterschrift für die vorläufige Beibehaltung der alten Lohn säge erklärten, fonnte die Anwendung des neuen Tarifs noch 6 Monate hinausgeschoben werden. Diese Hintertür benutzte ein Teil der Unternehmer. Die Arbeiterinnen, zum großen Teil des Lesens und Schreibens unfundig, setzten ihre Zeichen unter die Betition", wie sie die vorgelegte Liste mit der Erklärung nannten. Das Bekanntwerden des schamlosen Mißbrauchs ihrer Unwiffenheit und Vertrauensseligkeit trieb diese geduldigste Spezies der Menschenrasse zur Empörung. Die Unterschriften wurden zwar für ungültig erklärt, aber ohne augenblicklichen Nutzen. Denn in der Zwischenzeit hatten die Arbeitsbienen der Ketten schmieden große Haufen Vorrat geschaffen; die Unternehmer, dadurch für einen Kampf gerüstet, konnten einen Vorstoß wagen: Sie sperrten an die 800 Arbeiterinnen aus. Noch nicht die Hälfte der Ausgesperrten war organisiert und wurde mit fünf Mark wöchentlich unterstützt. Die anderen liefen, milde Gaben sammelnd, landauf landab. Trotzdem führten die Kettenmacherinnen den Kampf siegreich durch.
Nr. 10
Im Streifquartier, einem eiligst zusammengeräumten Zucker laden, hatte ich günstige Gelegenheit, die Kolleginnen vom Amboß zu studieren. Hier diskutierten die jungen Mädchen bei meinem Eintritt mit todernster Miene Stückpreise, Kettensorten und Eisen stärfen wie vollendete Fachmänner. Mir wollte es scheinen, als ob es für diese jungen Vertreterinnen des zarten Geschlechts in der ganzen Welt nichts gäbe als Rundeisen, geschweißte Wagenketten, gedrehte Kuhfetten, Deichseltetten, Hacken, Anhänger und Blasebälge. Diese Ausdrücke hörten sie in der Wiege, die Qualitäten, Nummern und Preise, als die Mutter die fertige Ware ablieferte; aber die Bedeutung der ganzen Sache wurde ihnen in ihrem vollen Ernste erst flar, als sie zum erstenmal, noch ganz Kinder, in der Schmiede zu schanzen begannen. Erst von diesem Augenblick an erhielt das so seltsame Gerede von Eisensorten, Kettennummern, Abschroten, Blasebälgen und Schmorhizen einen blutig traurigen Inhalt.
Der Erforscher primitiver Techniken fände in den Ketten. schmieden ein ergiebiges Lebrmaterial. In den Schmieden sind die Frauen und Jungen nachgerade zu gedankenlosen, automa tisch arbeitenden Verbindungsstücken zwischen Blasebalg, Amboß. horn und Schmiedefeuer geworden. Im Laufe der Jahre haben sich ihre Glieder den Werkzeugen angepaßt, der Arbeitsprozeß hat jede Körperbewegung geregelt, abgemessen, mechanisch ge macht. Das Hirn ist eingetrocknet, die Muskeln sind geschwollen. Die weibliche Annut, Elastizität und Körperform sind ver schwunden; an ihre Stelle ist die Herbheit, Eckigkeit, die Steif heit des ausgemergelten Mannes getreten: Die fapitalistische Produktionsweise hat hier das Weib zum Manne gemacht, das Weib degradiert und dadurch noch mehr den Mann.
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Ob sich wohl das Völkchen im Schwarzen Lande" über diesen unwürdigen Zustand viel Gedanken macht? Es scheint nicht. Die Alten freuen sich, wenn das Mädchen die erste Neigung zu Hammer und Blasebalg erfennen läßt; der Mädchen höchstes Streben ist, am Ablieferungstag den größten Hausen Kette schwerster Sorte jertig zu haben. Um diesen Gipfel des Glückes erklimmen zu fönnen, muß bald, je jünger je besser, mit dem Erlernen des Schmiedens begonnen werden. Wer es nicht zu einer gewissen Virtuosität bringt, kann nicht hoffen, vier Schilling wöchentlich zu verdienen. Ein überflüssiger Griff, eine ziellose Bewegung bei jedem Glied bedeutet am Abend eine Einbuße von einem Benny, wenn nicht noch mehr.
Beim Eintritt in die Schmieden tönte es uns mehrstimmig entgegen: Guten Tag, Gentlemen!" Von welchen der Ketten. macherinnen dieser Gruß fam, war schwer zu sagen. Sie sprechen mit den Kolleginnen, schreien ihre auf einem Löschhausen oder in einer Kiste neben dem Schmiedeherd in Staub und Gasdunst sigenden Kinderchen an, ohne den Kopf umzudrehen. Ohne Unter brechung wird der Blajebalg bewegt, wird geschweißt, gebämmert. Junge Mädchen mit langen Zöpfen hezen mit weißhaarigen Mütterchen um die Wette. Ob das wirre Haar an der schweiß getränkten Stirne flebt, oder ob die Hände von Funken verbrannt werden, ob die junge Brut im Aschenhausen versinkt oder sich heißer schreit: das alles darf die Kettenmacherin nicht fümmern. Jede Unterbrechung heißt ein Glied weniger, zwanzig Glieder machen einen Meter, ein Meter aber bedeutet einen Penny! Jede Sekunde ist kostbar.
Gleich in einer der ersten Schmieden machte ein technisches Rätsel mir Kopfzerbrechen. Eine Blasebalgstange ging auf und ab, ohne daß eine bewegende Kraft sichtbar gewesen wäre. An einen verborgenen Motor war in diesen Handbetrieben nicht zu denken. Dieses Phänomen reizte meine Technikerneugierde nicht wenig. Sollte dieser Blasebalg von einem Hunde in Gang gesetzt werden wie die Windtrommel in Transleithanien oder Belgien ? Eines war bald flar: der Antrieb konnte nur von oben kommen. In der Tat! Eine eingehendere Untersuchung des Raumes zwischen Blajebalg und Decke ergab die Lösung des Rätsels, die nur Qualm und Rauch zu finden erschwert hatte. Auf einem Gerüst stand, oder eigentlich an einem Quer balten hing ein Junge, der sieben, vielleicht auch mehr Jahre haben konnte, in der von Koksgasen und äßendem Rauch ge schwängerten Atmosphäre und bewegte mit den Beinen den Blases