Nr. 10

Die Gleichheit

Aufschwung trug vornehmlich der Umstand mit bei, daß Kakao mehr und mehr zu einem Volfsnahrungsmittel murde. So stieg von 1899 bis 1909, also in zehn Jahren, der Kataokonfum pro Kopf der deutschen Bevölkerung von 0,31 Kilo auf 0,61 Kilo oder um 97 Prozent. Andererseits bewirften die günstigen Rohprodukten preise für Katao und Zucker eine riesige Steigerung der Produktion von Schokoladen- und Zuderwaren. Zur fabrikmäßigen Herstellung solcher Waren entstanden Großbetriebe. Nach der Gewerbezählung gab es 62 einschlägige Fabriten, die mehr als 100 Personen be­schäftigen, darunter 36, deren Arbeiterschaft bis 200 beträgt, 15 Betriebe mit 200 bis 500 Beschäftigten, 7 mit 500 bis 1000 und 4 Fabrifen mit über 1000 Arbeiter und Arbeiterinnen. Die letzteren Riesenbetriebe befinden sich im Rheinland, im Königreich Sachfen und in Berlin  . Bon wenig Einfluß auf die Gesamtproduktion find bie 143 Alleinbetriebe ohne Arbeiter, die neben den Großbetrieben gezählt wurden; der Löwenanteil des Absatzes fällt doch den Groß­fabrilanten zu. Entwicklung des fabrikmäßigen Großbetriebs in einer Industrie von der Art der Zucker- und Schokoladenwaren­produktion bejagt heute faft regelmäßig Zunahme der Frauenarbeit, kein Wunder darum, daß in den Schokolades und Zuckerwaren­fabriken mehr Arbeiterinnen als Arbeiter beschäftigt sind. In der Fabrikation von Konfitüren und Bonbon wurden 5295 Ar­beiter und 6443 Arbeiterinnen festgestellt, unter welch letzteren fich 826 jugendliche unter 16 Jahren befanden. Auf je 100 Ar­beiter tommen demnach 121 Arbeiterinnen, und von je 100 Arbeites rinnen find 12,8 jugendliche. In der Kakao- und Schoko­ladenindustrie sind 5187 Arbeiter und 9748 Arbeiterinnen beschäftigt, darunter 1279 jugendliche Arbeiterumen unter 16 Jahren. Hier ist die Verwendung der weiblichen Arbeitskraft noch weit schärfer als in der vorgenannten Industrie. Von sämtlichen Beschäftigten find fast zwei Drittel Arbeiterinnen und unter 100 Arbeite rinnen werden 13 jugendliche unter 16 Jahren gezählt, das heißt auch die Beschäftigung von Nichterwachsenen ist hier etwas größer.

Schon diese Tatsachen erklären es, daß in der Kakaos und Schokoladenindustrie die Lohn- und Arbeitsbedingungen ungünstig sind. Besonders der weitverbreiteten Affordarbeit verdanken die Arbeiterinnen wahre Hungerlöhne. Die zu leistende Arbeit ist aber gar nicht leicht, wie vielleicht Außenstehende annehmen könnten, vielmehr erfordert der Arbeitsprozeß eine starte förperliche An­spannung der weiblichen Arbeitskräfte, über die Löhne haben wir schon an dieser Stelle berichtet, sie gehören wohl, mit wenigen Ausnahmen, zu den schlechtesten, die für die Arbeiterinnen in der Gesamtindustrie verzeichnet werden. Schon damals wiesen wir auf die brutale Behandlung hin, welche die Arbeiterinnen durch die Borarbeiter, Werkmeister und dem Fabrikanten sonst ergebene Per­sonen erleiden. Die ehrverlegende Kleidervisitation beim Verlassen der Fabrik ist etwas ganz Alltägliches, und diese Prozedur wird ohne Rücksicht auf das weibliche Schamgefühl vorgenommen.

Um die Organisation der Arbeitskräfte stand es bis vor kurzer Zeit in dieser Industrie sehr schlecht. Erst in den letzten Jahren, nachdem sich die Gewerkschaften der Bäcker und Konditoren ver­einigt haben, ist in dieser Beziehung eine Besserung eingetreten. Seit der Verschmelzung beider Verbände ist die Zahl der organis sierten Arbeiterinnen um das Vierfache gestiegen, und etwa 3000 Arbeiterinnen gehören zurzeit dem Zentralverband der Bäcker und Konditoren an. Infolge der Stärtung der Organisation fonnte auch die Verbesserung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse in Angriff genommen werden. Zu diesem Zwecke wurde die günstige Wirt­schaftstonjunttur, sowie die Hochsaison in den Herbsimonaten gut ausgenützt. Soweit bis jezt Berichte über beendete Bewegungen vorliegen, wurden durch Tarifabschlüsse und Vereinbarungen mit den Arbeiterausschüssen ganz nennenswerte Erfolge erzielt: für mehr als 2000 Personen Lohnerhöhungen von 1 bis 5 Mt. pro Woche und eine Verkürzung der täglichen Arbeits­zeit. Der Beweis ist erbracht, daß auch in der Zucker- und Schokoladenwarenindustrie die Organisation Macht gewonnen hat und die Furcht gewichen ist, durch den Beitritt zum Verband bei den Fabrikanten in Ungnade zu fallen. Von den etwa 17000 Ar­beiterinnen ist heute fast ein Fünftel gewertschaftlich organisiert, ein schöner Erfolg, der in den letzten Jahren erzielt wurde. A. L.

Soziale Gesetzgebung.

I, K. Arbeiterinnenschutz in Oesterreich  . Um das Gesetz über die Nachtarbeit der Frauen, das in Deutschland   schon seit 1891 in Geltung ist, wurde in Österreich   noch in legter Stunde ein er­bitterter Kampf geführt. Nach der Berner Konvention sollte am 1. Januar 1911 in allen Industriestaaten, die sich dieser Konvention

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angeschlossen haben, das Gesetz, das die Frauennachtarbeit in Be trieben mit mehr als zehn Personen verbietet, in Kraft treten. Knapp vor den Sommerferien gelang es, im öfterreichischen Ab­geordnetenhaus das Gesez zu verabschieden. Die sozialdemokra tischen Abgeordneten erreichten einige wesentliche Verbesserungen der Regierungsvorlage. Nach der Regierungsvorlage sollten nur Mädchen unter sechzehn Jahren zwischen 10 Uhr abends und 5 Uhr morgens nicht beschäftigt werden dürfen. Die Sozialdemokraten setzten durch, daß diese Schutzfrist bis zum vollendeten achtzehnten Lebensjahr verlängert wurde. Die Regierung wollte an sechzig Tagen im Jahre Ausnahmen zulassen, unseren Genossen gelang es, diese Bahl auf vierzig zu reduzieren, Bom 1. Januar dieses Jahres ab sollte das Gesetz für alle Betriebe, die mehr als zehn Personen bes fchäftigen, Geltung haben, mit Ausnahme der Zuckerindustrie, diese sollte nach dem Willen der Regierung bis 1919 das Recht auf die Die Ausbeutung jugendlicher Arbeiterinnen zur Nachtzeit haben. Sozialdemokraten sezten auch in bezug darauf eine Verbesserung durch. Der Termin wurde auf 1915 festgesezt. Am 20. Dezember, knapp vor Jahresschluß, lag das Gesetz dem Herrenhaus vor. Zur allgemeinen Überraschung verwies dieses das Gesetz an die Kommission zurück. Der Arbeiterschaft bemächtigte sich große Erbitterung. Die Arbeiters presse, die diesen Gefühlen Ausdruck gab, wurde konfisziert, auf Befehl der Herrenhäusler, wie festgestellt ist. Das Frauenreichs. fomitee regte an, Protestversammlungen abzuhalten, und es fanden auch am 16., 17. und 18. Januar zahlreiche Versammlungen im ganzen Reiche statt. In Wien   referierten in zwölf Versammlungen außer Genossen auch Genossinnen, und überall wurde eine Resolution angenommen, die sich scharf gegen die Herrenhäusler wendete und ihnen den Krieg erklärte. Noch in lezter Stunde kam das Herren haus zur Besinnung. Die Androhung einer Voltsbewegung zur Beseitigung dieser bevorrechteten, überflüssigen und schädlichen Körperschaft hatte doch Eindruck gemacht. Das Herrenhaus stimmte dem Gesetz zu, das nunmehr am 1. August dieses Jahres in Kraft treten wird.

Nur die Zuckerindustrie behält ihre Ausnahmestellung und das Recht, bis zum Jahre 1915 auch vierzehnjährige Mädchen bei Nacht arbeiten zu lassen. Dieser Kampf um den Arbeiterinnenschutz hat wieder mit voller Deutlichkeit gezeigt, wie notwendig für die Ar­beiterinnen die Eroberung des Frauenwahlrechts zum Schuße ihrer Interessen ist.

Frauenstimmrecht.

a. p.

Zur Generalversammlung des preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht wird uns im Anschluß an Frau Breit. scheids Einsendung( Nr. 8) geschrieben:

Das Schreiben der Frau Tony Breitscheid   in Nr. 8 der Gleich­heit" und die Kulanz, mit der die Redaktion es aufgenommen, hat mich sehr gewundert. Denn tatsächlich gab es nichts oder so viel wie nichts zu berichtigen". Wenn es nicht die schlesischen, sondern die schleswigschen Delegierten waren, die sich gegen den bewußten Paragraphen im Programm des Frauenstimmrechts vereins wandten, gegen den Paragraphen, der das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht verlangt, so sind das doch nur Kinterlitzchen. Auf einer früheren Generalversammlung des Frauenstimmrechtsvereins in Berlin   wurde aus Breslau  , also Echlesien, dieselbe Forderung aufgestellt und verteidigt. Zudem kommen die paar Vertreterinnen des rheinisch- westfälischen Bezirfes im preußischen Stimmrechtsverband auch wohl faum in Betracht gegenüber den viel zahlreicheren Vertreterinnen im gemäßigten rheinisch- westfälischen Stimmrechtsverband der Frau Krufen berg. Auch in Schlesien   hat sich schon folch ein gemäßigter Verein gebildet, in Holstein ist einer im Entstehen, und da kann man wirklich kaum noch einem Menschen zumuten, alle diese ver schiedenen kleinen bürgerlichen Frauenstimmrechtsvereine und-ver­einchen auseinanderzuhalten, am wenigsten aber einem bürgerlichen Journalisten, der heute vielleicht der Tagung des einen Kinker­ligchenvereins beiwohnt und morgen der Tagung des anderen.

Zu dem Antrag:" Fühlung mit den sozialistischen   Frauen zu nehmen", sprach das Vorstandsmitglied der Berliner   Ortsgruppe. für Frauenstimmrecht, Frau Dzialoszinsky, genau so wie es der Vorwärts" brachte. Die Dame warnte, ich wiederhole es, warnte davor, die gewünschte Fühlung zu entgegenkommend zu suchen, damit fönne man sich bei den Sozialistinnen lächerlich machen. Zweifellos hatten die Herren Dr. Breitscheid und v. Gerlach die Ausführungen ebenfalls so verstanden, wie sie im Vorwärts" und der Gleichheit" aufgefaßt find. Sie empfanden Frau Dzialoszinskys Rede als einen Faut- pas und ergriffen sofort nach ihr berichtigend das Wort, um sie abzuschwächen. Frau Dzia