Nr. 18Die Gleichheit279keine Reichen mehr und keine Armen, keine Ausbeuter und keineAusgebeuteten, keine Hohen und keine Niedrigen. Nicht mehrtrennten gesellschaftliche Unterschiede den Mensch vom Menschen.Ein jeder atmete Leben, köstliches Leben, ein jeder bestrebt zuschaffen, zu seiner eigenen Freude, zum Nutzen aller. Und du, liebeArbeitsschwester, wärest frei. Du lebtest nun in deiner sebstgewählten,freudig getanen Arbeit, du wirktest in der Welt, die gleichgewerteteGenossin des Mannes. In deinem Heim aber warst du die beglückte und die beglückende Gattin, die verstehende, liebevolleMutter. In deinen Kindern erzogst du ein neues starkes und freiesGeschlecht.Nicht hinter dir, vor dir liegt, was du in dem Lande schautest,in das ich dich führte. Es ist deine Zukunft. Weit, mühsam undsteinig ist der Weg, der zu ihr führt. Laß dich nicht schrecken, dugehst ihn nicht allein. Hunderttausende, Millionen machen ihn mitdir. Arbeitsschwester, komm' zu uns! Elisabeth Pabst.Kür Mutter- und Säuglingsschutz.Rede des Reichstagsabgeordneten Genossen David.Wortsetzung statt Schluß.)Nun ist noch in letzter Stunde ein Antrag eingelaufen von denHerren Hufnagel und Irl, also einem Vertreter der Konservativenund einem Vertreter der Zentrumspartei, ein Antrag, der es fertigbringt, sogar das Bescheidene, unter dem Maß des Allernotwen-digsten Zurückbleibende in der Regierungsvorlage noch weiter zuverschlechtern. Diese Herren verlangen, daß für die Wöchnerinnen,die in der Landwirtschaft oder als Dienstboten beschäftigt sind, dieKasse nicht einmal verpflichtet sein soll, diese acht Wochen Wochenhilfe mit den eventuellen zwei Wochen Schwangerschaftsunterstützungzu gewähren. Der Antrag will das für die Millionen von Schwangeren und Wöchnerinnen, die in der Landwirtschast oder als Dienstboten beschäftigt sind, in das Belieben und Ermessen der Kassenstellen. Warum kommen die Herren mit diesem Antrag? Weil siein der Tat hoffen, es möchte viele Kassen geben, die diesen Wöchnerinnen auch diese geringe Hilfe versagen. Sie wollen die Türedazu offen lassen.Nun wird vielleicht einer der Herren Befürworter dieses Antrags sagen: Ja, was Sie da von der höheren Säuglingssterblichkeit usw. sagen, das ist eine städtische Erscheinung; aber auf demLande sind die Mütter noch Gott sei Dank so gesund, daß das allesfür die nicht in Frage kommt. In den letzte» Jahren, von denendie Zahlen vorliegen, 1907 und 190S, hat sich das Blättlein gewandt. In diesen Jahren ist die Säuglingssterblichkeit auf demLande in Preußen eine höhere als in den Städten. Im Jahre 1907starben von 1000 Säuglingen in den preußischen Städten 166, aufdem Lande in Preußen 169; 1908 starben in den Stadtgemeinden170 pro Mille, auf dem Lande 174 pro Mille. Auf dem Landesind sowohl die Wohnungsverhältniffe wie die Ernährungsverhältnisse, wie vor allem auch die Arbeitsverhältnisse oft noch schlechterals in den Städten, so daß sich dort die werdende Mutter nochweniger schonen kann, noch weniger geschützt ist vor Überanstrengungund Ausbeutung ihrer Kräfte, der Kräfte, die sie in dieser Zeit inerster Linie dem Kinde schuldig ist und nicht dem, der aus ihrerArbeit Prosit erzielen will.Meine Herren, unser Antrag zu tz 211 will, daß die Wochenhilfe statt eventuell nur sechs Wochen nach der Niederkunft in allenFälle» acht Wochen nach der Niederkunft dauern soll. Alsodas, was die Vorlage noch teilen will, wollen wir ganz auf dieZeit nach der Niederkunst gelegt wissen, unter der Voraussetzung,daß Sie unseren Antrag zu§ 210, der die Schwangere schützenwill, annehmen.Meine Herren, weiter beantragen wir zu 8 211, daß die Gewährung von Hebainmeuhilfe u»d, wenn es nötig ist, von ärztlicher Hilfe bei Schwangerschaflskranlheiten und bei der Niederkunft von den Kassen als Pflichtleistung erfolgt. Auch da will dieVorlage nur eine freiwillige Leistung der Kasse, auch da spricht sienur von einem„kann". Meine Herren, wir müssen verlangen, daßin den Fällen, wo die Niederkunft einen anormalen Verlauf nimmt,wenn Gefahr der Lebens eintritt, die Leute sich nicht ängstlich zufragen brauchen: Haben wir das Geld, um einen Arzt heranzuholen? Wir betrachten es als selbstverständlich, daß die Gesellschaftder Mutter und dem Kinde in Lebensgefahr Hilfe zu gewährenhat; daß ohne weiteres der Arzt von der Kasse geschickt wird, umzuzusehen, daß das Schlimmste nicht eintritt. Die Leute können eseinfach nicht erschwingen; sie wagen es nicht und denken, es gehtvielleicht auch ohne Arzt noch gut ab. Meine Herren, wenn Siehören, daß noch Jahr für Jahr über 6000 Mütter im DeutschenReiche ihr Leben im Wochenbett lassen, daß eine Armee von Mütternsich verblutet, dann werden Sie gewiß uns zugeben, daß es notwendig ist, hier das Lebensrettungswerk als staatlich organisiertesWerk im Gesetz festzulegen.Weiter, meine Herren, verlangen wir, daß auch die krank daniederliegende Mutter, die die Ihrigen in dieser Zeit nicht mehrbetreuen kann, eine Hauöpflcgerin zugewiesen bekommt, die danndie Arbeit für sie leistet. Denken Sie sich doch in die Lage einersolchen Frau in den engsten, ärmlichsten Verhältnissen! Sie liegtauf dem Schmerzenslager, dringende Schonung ist ihr geboten nochauf Tage, noch auf Wochen. Nun sieht sie, daß es an allem fehlt,wie die Kinder nicht versorgt werden, wie der ganze Hausstand inUnordnung gerät. Das schneidet ihr ins Herz, und was tut sie?In Millionen von Fällen steht sie zu frühzeitig auf. Dann kommenalle die Leiden, dann kommen die Senkungen des noch nicht gefestigten Organs; es kommen viele der schweren Frauenleiden, diespäter nicht mehr zu beseitigen und als Folgen des frühzeitigenSicherhebens aus dem Wochenbett anzusehen sind.Da ist es notwendig, daß die Kasse, wiederum nicht als freiwillige Leistung, sondern als Pflichtleistung, nach unserem Antrag„auf Verlangen der Wöchnerin" eine Hauspflegeperson bestellt. Undwir fügen in unserem Antrag noch hinzu, daß für die Pflegerinnicht die Hälfte des Krankengeldes, wie die Vorlage vorsieht, sondern nur ein Viertel des Krankengeldes abgezogen wird.Eigentlich sollte man der Wöchnerin gar nichts abziehen; denn ihreAusgaben sind ja nicht vermindert, sondern vermehrt worden. Alsoman sollte ihr nichts abziehen, wenn sie eine Pflegerin bekommt.Trotzdem sind wir, um Ihnen die Sache zu erleichtern, so bescheiden und sagen: es mag ein Viertel des Krankengeldes abgezogenwerden.In Z 212 verlangten wir, daß, nachdem der junge Weltbürgerzur Welt gekommen ist, er möglichst auch die Nahrung erhält, dieihm die Natur zugedacht hat. Die Bedeutung der Ernährung desKindes mit Muttermilch ist über jeden Zweifel von ärztlicherSeite festgestellt worden. Nur die Muttermilch ist die Nahrung,die dem entspricht, was das Kind seither bekommen. Der kindlicheKörper ist ein Teil des mütterlichen Organismus, die im mütterlichen Organismus bereitete Nahrung ist darum allein die naturgemäße Nahrung für das Kind, das ihm ein normales kräftigesGedeihen sichert. Es gibt lein völliges Ersatzmittel heute dafür.Daß die Kuhmilch als solche es nicht ist, ist längst bekannt; sie hateine ganz andere Zusammensetzung. Auch die chemischen Zutaten,durch die man die Sänglingsnahrung der Muttermilch anpassenwill, sind lein Ersatz.Nun, meine Herren, wissen wir wiederum aus der amtlichenStatistik, daß die Kinder, die nicht mit Muttermilch genährt werden, sondern eine gemischte oder eine reine Kunslnahrung erhalten,sehr viel mehr Entwicklungsstörungen, Krankheiten und dem Todeausgesetzt sind. Das Berliner Statistische Amt hat vor einigenJahren zahlenmäßig festgestellt, daß zum Beispiel an der englischenKrankheit, an Rachitis, unzulänglicher Knochenbildung die Kinder,die keine Muttermilch bekamen, achtmal so häufig erkrankten alsdie Kinder, die an der Multerbrust gestillt waren. Von Darmkrankheiten wurden ebenfalls die künstlich genährten Kinder achtmalso häufig betroffen als die mit Muttermilch genährten. Hinsichtlichder Abzehrung ivaren die Brustkinder siebenmal besser gestellt alsdie mit künstlichen Mitteln ernährten. Die Entziehung der natürlichen Nahrung in der wichtigsten Zeit des Aufbaues des kindlichenKörpers wirkt aber auch noch auf Jahre hinaus nach. Sie wirktnach bis zur Zeit der Schulfähigkeit und bis zum Alter der Hecres-pflichtigkeit. Auch dafür liegt der Nachweis vor.Meine Herren, im Jahre 1907 waren in Berlin von den Kindern, die eingeschult werden sollten, 9,4S, also beinahe ein Zehntel,lörperlich oder geistig nicht so weit entwickelt, daß sie eingeschultwerden konnten. In Berlin befanden sich in diesem Jahre 42S31Schulkinder unter ständiger Beobachtung der Schulärzte wegenKrankheiten, die zum Teil als Folge der mangclhasten Ernährungin der ersten Lebenszeit angesehen werden mußten: Blutarmut,Rachitis, Tuberkulose, Nasen-, Augen-, Ohrenerkrankungen, vorallen Dingen Rückgratverkrümmungen in einein entsetzlich hohenProzentsatz. Was die Nachwirkungen der Säuglingsernährung aufdie Wehrtüchtigkeit anbelangt, so liegen darüber Untersuchungendes Herrn Dr. meä. Noese vor, der in der deutschen Monatsschriftfür Zahnheilkunde in einem Aufsatz„liber die Wichtigkeit derMutterbrust für die körperliche und geistige Entwicklung des Menschen" die Ergebnisse der Untersuchungen veröffentlicht, die er anden Heeresgestellungspflichtigen Sachsens und Thüringens vorgenommen hat. Diese Untersuchungen ergaben, daß diejenigen Gestellungspflichtigen, die ehemals 12 Monate und länger die Mutter-