Nr. 22Di« Gleichheit345Konfirmanden. Tank ihr konnte ein« große Anzahl Flugblattverbreiterinnen aufgeboten werden. Mit Genugtuung können wirvon der einmütigen Arbeit der Genossen und Genossinnen beieiner Distriktsagitation berichten, deren Zweck war, weibliche Mitglieder zu gewinnen.Wertvolle Anregungen erhielten die organisierten GenossinnenLübecks durch die Beschickung der Bezirkskonferenz in Neumünster, wo die Beschlüsse der Kopenhagener InternationalenFrauenkonferenz, die Ausgestaltung des Frauentags, sowie dieAgitation unter de» Frauen im allgemeinen gründlich und sachlichbesprochen wurde. Die Kinderschutzkom Mission wurde umb Genossinnen verstärkt und leistete dieses Jahr ein gut Teil mehrArbeit als bisher. Seit diesem Frühjahr haben wir auch einKomitee für Ausflüge mit jungen Mädchen» das die Bestrebungen des Jugendausschusses unterstützen soll.Die„Gleichheit" kommt erfreulicherweise in größere Kreise.Die Genossinnen verbreiten jetzt 239 Exemplare gegen 240 im Vorjahr. Aus dem Überschuß der„Gleichheits"-Kasse wurden 600Broschüren:„Die Frauen und die Reichstagswahlen" bezahlt, diejetzt an die Genossinnen unentgeltlich verteilt werden.— Einenschönen Abschluß dieses Berichtsjahres bot das Arbeiterkinderfest, das die weiblichen Parteimitglieder am 2S. Juni veranstalteten. Bisher gehen Taufende von Arbeiterkinder zu den vonPastoren geführten Sonntagsschulausflügen. Die über Erwartenzahlreiche Beteiligung an unserem Feste bewies, daß der Gedanke einglücklicher ist, Arbeiterkinder nur der eigenen Freude zuliebe, nichtzugunsten der Kirche, bei frohem Spiel zu versammeln. Jedes Jahrbringt neue Ausgaben; wir hoffen, daß die organisierten Genossinnen Lübecks sich ihnen stets gewachsen zeigen; vor allem, wennes gilt, in den uns bevorstehenden Wahlkämpfen unsere Kraft inden Dienst der Partei zu stellen. E. Schlomer.Politische Rundschau.Das neue deutsche Marokkoabenteuer spielt sich zurzeitin Geheimverhandlungen ab, die in der Hauptsache i» Berlin zwischendem Staatssekretär des Äußern v. Kid erlen- Wächter unddem französischen Botschafter Cambon geführt werden. Danebenarbeiten natürlich auch die Kabinette der übrigen Mächte eifrig andem Ränkespiel mit. über den Inhalt der Verhandlungen wirdnichts Sicheres bekannt. Indes läßt sich einiges aus den Andeutungen der offiziösen Presse und aus der Haltung jener Blätterschließen, die die Sprachrohre der in Marokko auf unmittelbarenGewinn ausgehenden Kreise sind. So erscheint es jetzt so gut wiegewiß, daß sich dem Plane einer Festsetzung Deutschlands in Südmarokko so große Widerstände nicht bloß von französischer, sondern wohl mehr noch von englischer Seite entgegengestellt haben,daß die deutsche Regierung doch vor der Verantwortung für dieFolgen eines solchen Schrittes zurückgeschreckt ist. Sie will demnach auf einen Landanteil in Marokko verzichte», beansprucht dafüraber„Kompensationen" in anderen Teilen Afrikas. Das heißtDeutschland will die Marokkaner selbst nicht um Land berauben,aber es verlangt eine Entschädigung für seine Enthaltsamkeit unddafür, daß es Franzosen und Spanier ungestört stehlen läßt. Unddiese Entschädigung ist nicht allzu bescheiden gedacht. Die Kompensationen sollen anscheinend in einer Vergrößerung der KolonieKamerun bestehen, und zwar in einer Vergrößerung um ungefährdas Doppelte, durch Abtretung des wertvollsten Stückes der sran-zösischenKongokolonie, vor allem des gesamten Küstengebiets.Außerdem will aber Deutschland Südmarokko zur wirtschaftlichenAusbeutung ausgeliefert erhalte». Dabei hat man es insbesondereauf die dortigen angeblich reichen Eisenerz- und Kupferlagerstättenabgesehen. Mit der Behauptung, daß der deutschen Industrie einstder freie Zugang zu diesen Minen abgeschnitten werden könne, hatdie Maroklopresse die deutschen Arbeiter für die Weltmachtspolitik,für die Annexion eines Stückes Marokko einzufangen gesucht. Dawurde lebendig ausgemalt, wie die deutsche Eisenindustrie elendzugrunde gehen müsse, wenn Deutschland die Erze Marokkos nichtin die Hand bekommen würde. Denn die deutschen Gruben seienja bald erschöpft und der Erzreichtum Schwedens werde für dendeutschen Bedarf in nicht allzu langer Zeit auch verschlossen werden,wenn die schwedische Eisenindustrie erst so weit entwickelt sei, daßsie die Produltion der Bergwerke selbst bewältigen könne. Dannmüßten die Eisen- und Stahlwerke in Deutschland aus Mangel anRohstoff geschloffen werden und die Arbeiter ins Elend wandern.Aber auch wenn diese Gefahr eines Rohstoffmangels wirklich bestände,so hat selbst einer der eifrigsten Vorkämpfer deutscher Weltmachts-Politik, der Reichstagsabgeordnete Naumann, festgestellt, daß es da-gegen andere Mittel gebe, als der unweigerlich mit Verschärfungder internationalen Gegensätze und mit ungeheuren Kosten undOpfern verbundene Versuch, die kriegerischen und freiheitsstolzen,ihren Sultan nur dem Namen nach anerkennenden Berber Südmarokkos unter deutsches Joch und deutsche Ausbeutung zu bringen.Dieser letzteren Anschauung scheint sogar die deutsche Regierungzu sein, da sie für jetzt offensichtlich in Marokko auf die Inbesitznahme eines Stückes Land verzichten und sich mit der Sicherungder Gleichberechtigung der deutschen Industrie bei der wirtschaftlichen Ausbeutung dieses Reiches begnügen will. Dadurch wirdaber ein böses Loch in die mordspalriotische Pauke gerissen, diedie Presse der Marokkointeressenten in wildem Takt geschlagen hat.Das Märchen für politische Kinder, daß die deutsche Sozialdemokratie vaterlandvcrräterisch und arbeiterfeindlich handle, weil siesich einer Annexion Südmarolkos widersetzt, hat damit seine Zugkraft verloren, auch wenn die Behauptung, die deutsche Eisenindustrie würde ohne die marokkanischen Gruben zugrunde gehen,bis zum letzten Buchstaben wahr wäre. Freilich mehr als der Verlust eines Agitatiousmittels gegen die Sozialdemokratie schmerztdie eigentlichen Marokkointeressenten. Großfinanz und Schiverindustrie der Gedanke, es könnten ihnen die besonders fetten Gewinne entgehen, die ihnen erblühten, wenn sie einen Teil Marokkosunter Beihilfe der deutschen Staatsmacht als allein berechtigteAusbeuter beackern könnten. Und so tobt denn ihre Presse, die„Rheinisch-Westfälische Zeitung",„Post",„Tägliche Rundschau" usw.über den schmählichen Rückzug, den die deutsche Regierung angetreten habe. Staatssekretär v. Kidexlen-Wächter, der in denersten Tagen des Agadir-Abenteuers als der größte deutsche Staatsmann seit Bismarck, als der erste würdige Fortführer seiner Politikgepriesen wurde, wird jetzt gescholten als ein Unfähiger und einVerräter. Nicht mehr Bismarck, vielmehr dem bitter gehaßte»Caprivi wird er nunmehr gleichgesetzt, dem„Minderer des Reichs",der um das bißchen Helgoland ganze Länder an England verschachert habe. Der letztere Hinweis ist aber hier nicht ganz angebracht; denn wenn die Regierung auch den Gedanken an eineBesetzung eines Teiles von Marokko aufgegeben hat, so will siedoch aus alle Fälle bei der Gelegenheit den deutschen Kolonialbesitzvergrößern. Den Franzosen gehen diese Forderungen aber zu weit,und in den letzten Tagen hat die Pariser Presse plötzlich ihre Sprachegegen Deutschland verschärft, und energische Töne kommen auch ausLondon. Von einer BeUegung der durch den Streich von Agadirentstandenen Gefahr kann deshalb durchaus noch nicht gesprochenwerden.Das Zentrum hat einen Streich vollführt, der selbst bei diesergewissenlosesten und demagogischsten aller Parteien überrascht. Eshat für die Nachwahl in dem Reichstagswahlkreis Düsseldorfeinen Bankdirektor Friedrich als Kandidaten aufgestellt, der—dem Hansabund angehört. Da der Hansabund gerade zur Bekämpfung der Steuerpolitik gegründet wurde, die das Zentrum imBerein mit den Junkern getrieben hat, so ist schon die Zugehörigkeit dieses angeblich überzeugten Zentrumsmannes zum Hansabundein starkes Stück Charakterlosigkeit, die Aufstellung eines solchenChamäleons als Kandidaten bedeutet aber geradezu eine Verhöhnungder Wähler. Die Zentrumsleitung ist jedoch vermutlich furchtbarstolz auf diesen„schlauen" Zug. Sie denkt dadurch die Nationalliberalen einzufangen, die auf die Ausstellung eines eigenen Kandidaten verzichtet haben, weil es sich diesmal nicht für sie lohnt. Siehaben nämlich keine Aussicht auf Sieg, das Mandat war im Besitzdes Zentrums, und der einzige ernsthaste Mitbewerber ist die Sozialdemokratie. Wären allgemeine Wahlen, so könnten die DüsseldorferNationalliberalen ihre Stimmen für die Stichwahl ans Zentrumverhandeln gegen Stichwahlhilfe des Zentrums wider die Sozialdemokratie in einem Kreise des Ruhrreviers. Daß sie dazu bereitsein werden, darüber haben die Herren in ihrer Erklärung keinenZweifel gelassen. Das Zentrum hofft nun, die nationalliberalenStimmen für den Zentrumskandidaten durch den politischen ZwitterFriedrich zu gewinnen. Die Sache macht sich um so schöner, alsdie katholische Presse noch jüngst heftig gegen den Hansabund gezetert und die Mitgliedschaft in diesem Bunde als unvereinbar mitder Zugehörigkeit zum Zentrum erklärt hat. Der Düsseldorfer Fortschritt hat beschlossen, schon im ersten Wahlgang die Wahl alsStichwahl zu behandeln und für die Sozialdemokratie als kleineresÜbel zu stimmen. Es fragt sich nur, wieviel fortschrittliche Wählerhinter diesem Beschluß stehen. Die Demokraten habe» ihren FührerBreitscheid als Kandidaten ausgestellt. Auch die Konservativenhaben, damit das Zentrum nicht im ersten Wahlgang schon vonder Sozialdemokratie geschlagen werde, unter dem Deckmantel einer„Nationalen Bereinigung" einen Kandidaten präsentiert, der demZentrum zur Stichwahl verhelfen soll. Alle diese Vorgänge zeigen,wie sehr die bürgerlichen Parteien mit dem Vordringen der Soeial-