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Die Gleichheit

stelltenverband. Dessen Aufgabe ist es, die Mädchen über das schreiende Unrecht aufzuklären, welches ihnen geschieht. Nicht Selbstmörderinnen sollen sie werden, sondern Kämpferinnen, die dem Drachen Gesindeordnung zu Leibe gehen und als freie häus­liche Arbeiterinnen Schutz durch die Gesetzgebung verlangen.

Mit Recht weist der Artikel auf die früheren Zustände im Handelsgewerbe hin. Dort war es früher verpönt, daß sich die Verkäuferinnen setten, und heute sehen wir überall sizende Ver­fäuferinnen. In allen Warenhäusern und Kaufläden muß für jede Verkäuferin Sibgelegenheit vorhanden sein, und diese hat das Recht, jede freie Minute von ihrem Size Gebrauch zu machen. Aber auch dieses bißchen Schutz der ausgebeuteten weiblichen Ar­beitskraft mußte erst erkämpft werden, nachdem die schrankenlose Überanstrengung der Verkäuferinnen Tausende schwer leidender Frauen geschaffen hatte. Gegen die grenzenlosen Mißstände im Dienstbotenberuf gilt es energisch Front zu machen. Der Haus­angestelltenverband hat den Kampf gegen sie aufgenommen, die organisierte Arbeiterklasse muß ihre Macht zu seiner Unterstützung aufbieten. Dem gewaltigen Drängen aller aufgeklärten und vor­wärtsschreitenden Proletarier muß die Gesetzgebung schließlich doch Rechnung tragen. Die schon längst veralteten und überlebten Gesindeordnungen müssen verschwinden, und an ihre Stelle hat der gesetzliche Arbeiterschutz ein geregeltes Arbeitsverhältnis zu schaffen, das Mißstände unmöglich macht, wie sie heute zu ber­zeichnen sind. Inzwischen ist es die Pflicht aller Dienstmädchen, zur Selbsthilfe zu greifen, und das geschieht am wirksamsten durch die Mitgliedschaft im Haus angestelltenverband

Deutschlands  .

Frauenstimmrecht.

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Der Kampf um das Frauenwahlrecht in England ist natur­gemäß in den letzten Wochen leidenschaftlich entbrannt, weil die Regierung endlich die lang verheißene Bill zur Wahlrechtsreform im Parlament eingebracht hat. Sie enthält nicht die Zuerkennung des Wahlrechts an die Frauen. Ministerpräsident Asquith   hatte dies bereits im vorigen Jahr erklärt, jedoch auch hinzugefügt, die Regierung werde einem Zusazantrag aus dem Parlamente nicht entgegentreten, der das Frauenwahlrecht auf demokratischer Grund­lage einführen wolle.

Die Bill bedeutet angesichts des jetzigen schier unübersehbaren Wirrwarrs reaktionärer Wahlrechtsbestimmungen einen nicht zu unter­schätzenden Fortschritt. Heute ist Millionen erwachsener Arbeiter das Wahlrecht vorenthalten, und bei jeder Wahl wird der Weg zur Urne durch richterliche Entscheidungen noch für viele Zehntausende ver­barritadiert, die dem Buchstaben des Gesetzes nach wahlberechtigt sein sollten. Im letzten Jahre wurden zum Beispiel in Südmon mouthshire 10000 und in Newport 2300 sogenannter Haus­schlüsselwähler" mit einem Schlage von den Wählerlisten gestrichen. Des weiteren wird die politische Macht der Reichen durch allerhand Vorrechte für Besitz und Bildung gestärkt. So eignet den Univer­fitäten das Wahlrecht, und wer den Steuer- und Wohnungsklauseln des Gesetzes entsprechende Steuern in verschiedenen Orten entrichtet oder dort ein Heim hat, der kann nicht nur in einem, sondern nach einander in allen diesen Wahlkreisen seine Stimme abgeben. Auf diese Weise besteht ein Pluralwahlrecht, nach dem manche Reiche 18 und mehr Stimmen besigen. Man schätzt die Zahl solcher Plural stimmen auf eine halbe Million, während von etwa rund 12 Mil­lionen großjähriger Männer 4 Millionen ihres politischen Bürger­rechts beraubt sind, da dieses mur 7/2 Millionen von ihnen zuer­kannt ist. Und dies, obgleich in England bereits vor mehr als 100 Jahren die Forderung eines allgemeinen Wahlrechts erhoben worden ist, und obgleich englische Proletarier mehr als einmal Freiheit und Leben für ihr politisches Bürgerrecht eingesetzt haben. Die stufen­weise" Reformierung des alten Unrechts in den Jahren 1832, 1867, 1884 und 1885 ist also den Interessen der breiten ausgebeuteten Massen herzlich wenig gerecht geworden.

Die Regierungsvorlage will nun auf dem Wege der Demokratt fierung weitergehen. Das Wahlrecht soll nicht mehr an den Besiz gebunden sein; wie das Wahlrecht der Universitäten, so beseitigt fie auch das Pluralwahlrecht der Begüterten, jeder Wähler darf nach ihr nur in einem Wahlkreis abstimmen. Die Wahlberechtigung soll allein an das Wohnen oder die Beschäftigung in einem Wahlkreise während der Dauer von sechs Monaten geknüpft sein. Armenunter­stügungsempfänger usw. sollen ohne Wahlrecht bleiben. Wird die Bill Gesetz, so werden etwa 2 bis 21/2 Millionen Männer über 21 Jahre das Wahlrecht erhalten, die es heute nicht besitzen. Der Vor­lage haften aber noch schwere Mängel an. Sie bringt nicht die längst notwendige Neueinteilung der Wahlkreise; sie führt weder Stichwahl noch Verhältniswahl ein; sie bestimmt nicht die Übernahme der offi­

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ziellen Wahlkosten durch den Staat, obgleich der jezige Stand der Dinge eine schreiende Begünstigung der Bestzenden und eine Quelle schlimmster Korruption ist, denn auch diese Kosten müssen von den Standidaten beziehungsweise Parteien getragen werden. Endlich und wie bereits erwähnt läßt die Vorlage die dringende Forderung der Frauenwahlrechts unberücksichtigt. Wie schwerwiegend dieses Un­recht ist, sagen uns Ziffern. Es gibt in Großbritannien   13352000 großjährige Frauen, und von ihnen würden 10 Millionen das politische Wahlrecht unter den Bedingungen der Bill erhalten.

Der Kampf um das Frauenwahlrecht wird voraussichtlich bei der Behandlung der Regierungsvorlage eine große Rolle spielen. Bei der ersten Lesung beantragte der Liberale Mason, die Bill zu ver­werfen, weil sie nicht das Frauenwahlrecht enthalte. Wie voraus­zusehen, wurde der Antrag abgelehnt, und zwar mit 274 gegen 50 Stimmen. Henderson, der Sekretär der Arbeiterpartei, er­klärte in der Debatte, daß er für seine Person in dritter Lesung gegen die Bill stimmen werde, wenn sie nicht durch eine Bestimmung das Frauenwahlrecht einführe. Da das Parlament zwei sehr weit­gehende Reformen zu beraten hat die Homerule für Irland und

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die Trennung von Kirche und Staat in Wales  , so scheint es fast ausgeschlossen, daß die Wahlrechtsvorlage in dieser oder der nächsten Session zu Ende beraten wird. Unterdessen tun die Suffragetten, was in ihren Kräften steht, um die Bewegung für das Frauenwahl. recht zu kompromittieren. Die systematische Bertrümmerung von Fensterscheiben zumal in Postbureaus hat wieder begonnen. Und zwar nicht in London   allein, sondern auch in vielen Provinz­städten, so in Aberdeen  , Edinburg  , Manchester, Jlketon und anderwärts. Nach Miß Kenney, einer Führerin der Suffra getten, soll diesem Vandalismus fein fester Plan" zugrunde liegen. Sie meinte jedoch:" solange Frauen behandelt würden, wie es jetzt der Fall sei, könne man sich nicht wundern, daß solche Dinge ge­schehen". über den Hungerstreit führender Suffragetten im Ge­fängnis berichten wir in nächster Nummer.

Die zahlreiche Beteiligung der Frauen an den Kommunal. wahlen in Boise  ( Idaho  , Vereinigte Staaten  ) war einer der auf­fälligsten Züge dieses Ereignisses. Da keine Wagen benutzt wur­den, um die Wähler an die Urne zu bringen, war man überzeugt gewesen, daß nur sehr wenige Frauen wählen würden. Es kam aber anders. Fast in allen Wahlbezirken haben die Frauen ebenso eifrig ihr Wahlrecht ausgenutzt wie die Männer, in einigen Be­zirken stimmten sie jedoch sogar in größerer Zahl als diese ab. So waren es die Frauen, die über die Wahl des Kandidaten ent­schieden haben.

"

Das Wahlrecht der Franen zu den preußischen Handels. kammern. Wie wir in Nr. 14 berichteten, hat die Handelskammer Köln   eine Reform des Wahlrechts zu den Handelskammern befür­wortet. Die Handelskammer beschloß, für die Erteilung des persön lichen aktiven Wahlrechts an Frauen einzutreten, die Inhaber handels­gerichtlich eingetragener Firmen find. Sie verwahrte sich aber auch zugleich dagegen, damit der Wählbarkeit der Frauen als Mitglieder der Handelskammern das Wort geredet zu haben. Bekanntlich ge­währen die Vorsteherämter der Kaufmannschaft zu Königsberg  , Danzig   und Stettin   bereits den Frauen das aktive Wahlrecht. Nunmehr hat die Neue Frauenkorrespondenz" bei mehreren größeren Handelskammern angefragt, wie sie sich zu dem Beschlusse der Stölner Handelskammer stellen. Die Neue Frauenforrespondenz" ist nämlich überzeugt, die preußische Regierung werde sich einer Abänderung des bestehenden Handelskammergeseges im Sinne des Kölner Be schlusses nicht widersetzen, falls eine Mehrheit der größeren Handels­kammern dafür eintritt. Auf die Anfrage haben die Handelskammern zu Frankfurt   a. M., Hannover  , Bonn   und Bromberg   geant wortet, daß sie den Kölner   Antrag unterstüßen. Die Handelstammer Osnabrück   vermag zur Zeit ein Bedürfnis für diese Abänderung des Handelskammerwahlrechts nicht zu erkennen"," würde anderer­seits jedoch auch kein Bedenten tragen, sich auf eine etwaige behörd liche Anfrage zustimmend zu äußern".

Die Frau in öffentlichen Aemtern.

Der erste weibliche Geschworene in Illinois   ist Dr. med. Stlara Seippel, städtische Assistenzärztin in Chicago  . Sie hat wäh­rend der letzten Session des Schwurgerichts bei drei Fällen auf Vorschlag des Bezirksrichters den Vorsitz geführt.

Ein weiblicher Rektor für Mittelschulen. In Hannover   hat die Lehrerin Schnellen ihre Prüfung als Rektor für Mittel­schulen bestanden.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart  .

Druck und Berlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.6. tn Stuttgart  .