Nr. 25

Die Gleichheit

Bäcker- und Konditorhandwerk heraus entwickelt. Die größte Eierteigwarenfabrik Deutschlands   ist die von J. F. Schüle in Plüderhausen  . 1872 wurde die erste Dampfmaschine in den Dienst dieser Firma gestellt, zurzeit beschäftigt sie über 500 Arbeiter und Arbeiterinnen. Etwa 100 Zentner Makkaroni und 400 Zentner Nudeln und Sup­peneinlagen werden täglich produziert. Ein zweiter Groß­betrieb in Plüderhausen  , die Deutsch  - italienische Teigwaren­fabrik vorm. Maier& Co.", entwickelt sich gleichfalls schnell. In Lorch  , Schorndorf  , Schwäb. Hall, Rott weil, Ulm   find weitere Betriebe der Art entstanden. In diesem Industriezweig hat die Zahl der weiblichen Erwerbs­ tätigen   mit 1078 im Jahre 1907 die der männlichen Be­schäftigten bereits überflügelt, die nur 751 betrug.

In der Schokoladefabrikation und der mit ihr verbundenen Herstellung von Rakaopräparaten, Zucker- und Biskuitwaren ist der Großbetrieb Sieger auf der ganzen Linie. Das größte Unternehmen dieser Art in Württemberg  ist die Firma Vereinigte Schokolade- und Bonbonfabriken E. O. Moser& Cie. und W. Roth jr., G. m. b. H." in Stutt­ gart  , furzweg, Moser- Roth" genannt. Die Zahl der hier fronenden Arbeiterinnen und Arbeiter beträgt mehr als 500. Die Firma Gebr. Waldbau r- Stuttgart beschäftigt rund 150 Arbeiter und Arbeiterinnen. Größere Firmen bestehen noch in Aalen  , Waiblingen  , Untertürkheim  , Feuerbach  , Biberach  . Der den Arbeiterinnen der ,, süßen Industrie" gezahlte Lohn war vor wenigen Jahren noch so erbärmlich, daß viele der alleinstehenden Proleta­rierinnen gezwungen waren, auf Nebenverdienst bedacht zu sein, wenn sie nicht verhungern wollten. Von 31 Schokolade­arbeiterinnen, die 1910 der Ortskrankenkasse zu Stutt gart beigetreten waren, hatten nur drei- sage und schreibe drei einen Wochenverdienst von mehr als-9 Mr. Dr. Neher sagt von dem Verdienst dieser Arbeiterinnen­fategorie in seinem mehrfach erwähnten Buche: Sie schei­nen die am schlechtesten entlohnten Arbeiterinnen Stuttgarts  zu sein. Nach Angabe des Stuttgarter   Polizeiamts stellen denn auch die Schokoladearbeiterinnen das relativ größte Kontingent für den Stuttgarter Prostitutionsmarkt. Im Interesse der Ehre und des guten Rufes der Stuttgarter   Schokoladefabriken sah man sich dann verschiedentlich veranlaßt, den Schokoladearbeite­rinnen höhere Löhne auszubezahlen." Nicht so einsichtsvoll wie Dr. Ne her erkennen andere bürgerliche Elemente den Zusammenhang zwischen Hungerlöhnen und Prostitution. Wie sich das Elend ausgebeuteter Lohnsflavinnen im Kopf eines honetten Bürgermanns abmalt, davon gibt ein Aus­spruch des Stuttgarter Pfarrers Wurm Kunde. Dieser Lei­ter der inneren Mission führte in einem Vortrag unter an­derem aus: Wir haben Fabriken, insbesondere in der Scho­koladeindustrie, wo sich das weibliche Proletariat sammelt. Es sammeln sich dort Mädchen, die vorher schon sich der Pro­stitution ergeben haben und die nun, um nicht von der Po­lizei verfolgt zu werden, doch irgendeine Arbeit verrichten müssen. Die Fabriken natürlich nüßen das aus. Die Fabri­fanten wissen, diese Mädchen müssen Geschäft haben; sie kom­men zu uns. Der Unternehmer zahlt nicht mehr als er muß..." Man sieht, in der pfarrherrlichen Meinung stehen die Dinge auf den Kopf, statt auf den Füßen. Weil die un­glückseligen Arbeiterinnen sich prostituieren, darum zahlt der Fabrikant so erbärmliche Löhne. Der Herr Pfarrer über­sieht dabei, daß es umgekehrt die niedrigen Löhne sind mit ihrem Gefolge an bitterer Not, die die erwerbstätigen Pro­Yetarierinnen zwingen, ihren Leib und ihre Frauenehre jedem Bahlungsfähigen anzubieten. Jedenfalls kann aber auch das höchst sittliche Bürgertum nicht bestreiten, daß die Blüte der süßen" Industrie in Stuttgart   eine häßliche Wurzel hat. Sie sproẞte empor aus der schamlosen Ausbeutung von Pro­letarierinnen, die nicht bloß ihre Arbeitskraft, die ihr Weib­tum opfern mußten. Die Prostitution lieferte gleichsam den Unternehmern einen Zuschuß zu ihren Profiten.

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Der Zentralverband der Bäder und Kondi­toren Deutschlands   hat sich redlich bemüht, die kläg­lichen Arbeits- und Lohnverhältnisse der Schokoladearbeite­rinnen Stuttgarts   zu bessern. Nicht ohne Erfolg. Eine im Herbst 1910 vorgenommene Umfrage ergab bereits eine Er­höhung der Löhne. Es verdienten bis 9 Mt. wöchentlich 261 Frauen, bis 10 mt. 37, bis 11 mr. 167, 12 Frauen brach­ten es fast auf 12 M., 52 auf 14 Mt., 6 auf 15 Mt. und eine erreichte sogar 18 Mt. Von zusammen 536 Arbeiterinnen hatte demnach auch dann noch fast die Hälfte einen Wochen­verdienst, der höchstens 9 Mk. betrug. Es läßt das einen Rückschluß darauf zu, wie schandbar die Entlohnung früher gewesen und wie verbesserungsbedürftig sie noch ist.

Nur in zwei Zweigen des Reinigungsgewerbes herrscht noch die Arbeit des Mannes vor: im Friseur­und Perückenmachergewerbe und in den chemi­schen Waschanstalten. Unter den 2823 hauptberuflich Erwerbstätigen des ersteren befanden sich nur 269 Frauen, unter den 115 Personen, die in chemischen Waschanstalten und Färbereien dem Erwerb nachgingen, wurden 53 Frauen gemeldet. In allen anderen Branchen des Gewerbes über­wiegt die Frauenarbeit bei weitem. Das Hauptkontingent der Berufsangehörigen stellen die Wasch- und Plätt­anstalten. 1907 zählte man hier 5618 Frauen von 5833 hauptberuflich Tätigen überhaupt. Der Kleinbetrieb herrscht für die Wäscherei und Plätterei noch stark vor. Als selb­ständige" Erwerbstätige wurden 3632 Frauen von der Sta­tistik erfaßt, die Zahl der Lohnarbeiterinnen betrug 1955; dazu kamen noch 31 weibliche Aufsichtspersonen. Selten ist beim Kleinbetrieb ein eigener Arbeitsraum vorhanden. Der Waschraum befindet sich in 99 von 100 Fällen im Keller, die Plättarbeiten werden im Wohnzimmer verrichtet. Die Arbeit im feuchten Keller, in der von Wasserdampf und Laugendunst geschwängerten Luft wie am heißen Bügelofen ist nicht bloß sehr anstrengend, sondern obendrein höchst ungesund. Rheumatismus  , Krankheiten der Atmungsorgane, Frauen­leiden- als Folge des langen Stehens, des Hebens und Schleppens der feuchten Wäsche Schleppens der feuchten Wäsche sind unter den Wäsche­rinnen und Plätterinnen sehr verbreitet. Der Lohn ist ge­ring. Der Durchschnitt soll privaten Ermittlungen zufolge 12 Mt. wöchentlich betragen. Besser verdienen tüchtige Büg­lerinnen, die es verstehen, der feinen Herrschaftswäsche" besonderen Glanz zu verleihen.

Das Gast und Schankwirtschaftsgewerbe nüßt in Württemberg   die billige Arbeitskraft der Frau eben­falls bis zum äußersten aus. 9272 männliche und 14 335 weibliche Erwerbstätige im Hauptberuf verzeichnete hier die Berufszählung von 1907. Nur 1464 Frauen führten das Geschäft selbständig, 12 871 befanden sich in dienender Stellung. Der den weitaus meisten von ihnen gezahlte Lohn ist sehr gering. Nicht selten wird den Kellnerinnen über­haupt kein Lohn gezahlt, sie sind auf das Trinkgeld" der Gäste angewiesen. Damit nicht genug, muß das Personal häufig noch an den Geschäftsinhaber für Bruch", Reinigung der Bestecke usw. zahlen. Wie lang die Arbeitszeit, wie an­strengend die Arbeit selbst in größeren Wirtschaften, Re­staurants usw. ist, das alles ist bekannt. Auch der Zusammen­hang, der zwischen dem Trinkgelderunwesen als Einnahme­quelle der Kellnerinnen und einer leichtsinnigen Lebensfüh­rung, ja der gewerbsmäßigen Unzucht besteht. Gewiß sind in Württemberg   im Schankgewerbe die Dinge noch nicht so bös­artig entwickelt wie im Norden Deutschlands  , wo die meisten Kellnerinnen als Dirnen betrachtet werden. Noch gibt es hier eine große Anzahl von Wirtschaften, die auf streng an­ständige weibliche Bedienung halten. Aber unzweifelhaft ent­wickeln sich auch in Schwaben  - zumal in den größeren Städten die Berhältnisse zum Schlimmeren. Auf das Wohlwollen der Gäste angewiesen, sehen sich die bedienenden Frauen und Mädchen nur zu oft gezwungen, eine entwür­digende Behandlung durch diese widerspruchslos hinzuneh­men. Von besonders geschäftstüchtigen" Unternehmern wer­

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