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Die Gleichheit

ihnen mit Ernst und Pflichtbewußtsein sich an allen Arbeiten be= teiligt, vom Flugblattverbreiten bis zum Listenführen und Schleppen". Sie gingen in die fernsten Stadtteile, um dort ein­zuspringen, wo Hilfskräfte fehlten. Und auch in flingender Münze hat die Tätigkeit der Frauen der Partei Vorteile gebracht. Die Überschüsse des vorjährigen Kinderfestes und der Gleichheit"= verteilung, zusammen 347 Mt., wurden dem Wahlfonds über­wiesen. Der Abonnentenstand der Gleichheit" hat im letzten Jahre leider keine Fortschritte gemacht, im kommenden Jahre wird das hoffentlich besser werden. Für die weiblichen Mit­glieder der Partei wurden im Berichtsjahr 11 3usammen= tünfte veranstaltet. Von ihnen galten zwei der Besprechung unserer Agitationsarbeiten für die Reichstagswahl und dem Frauentag. Im Hinblick auf die eigenartige Stellung der Par­teien bei der Reichstagswahl und das Stichwahlabkommen des Parteivorstandes mit den Liberalen beschäftigte sich eine Ver­sammlung mit der Frage:" Sozialdemokratie und Liberalismus". Anläßlich der Neuordnung der Armenpflege wurde ein Vortrag über:" Die Armenpflege und die Frau" gehalten. Die als Armenpflegerinnen vorgeschlagenen Genosfinnen wurden ab­gelehnt, wie wir das von unseren Behörden gewöhnt sind. Eine Mitgliederversammlung wurde mit dem Bericht über die Frauen­konferenz in Jena   ausgefüllt. An den übrigen Abenden wurden Vorträge gehalten über: Der Milchkrieg"," Die Frauen im alten Rom"," Aberglauben"," Unentgeltlichkeit der Lernmittel" und Heinrich Heine  ". Im März fand an Stelle der Versammlung ein fröhlicher Abend statt, der bei Neutervorlesung und anderen meist heiteren Vorträgen sehr angenehm verlief. Außerordentlich stark beteiligten sich die Genossinnen an der Besichtigung unserer Genossenschaftsbäckerei. Auch bei den allgemeinen Versammlungen und Veranstaltungen der Partei fonnten wir eine wachsende Teil­nahme der Frauen beobachten. Erwähnt sei noch die mühevolle, aber nicht erfolglose Arbeit der Kinderschußkommission. In 22 Fällen hatte sie wehrlose Geschöpfe vor Mißhandlung und Kernachlässigung durch Pflege- oder gar die eigenen Eltern zu be­wahren. Nur in 2 Fällen fonnte sie gegen unerlaubte gewerbliche Beschäftigung der Kinder einschreiten. So können die Genossinnen mit Befriedigung auf ihr Werk zurücksehen. Aber nicht um zu rasten! Weit mehr, als wir erreicht haben, muß noch erreicht werden. E. Sch.

Politische Rundschau.

Hohe, fast unerschwingliche Fleischpreise ist das deutsche  Volk seit Jahren gewöhnt womit nicht gesagt werden soll, daß die Teuerung, die durch die Zollwucher- und Grenzsperrpolitik awar nicht allein herbeigeführt, aber doch erheblich verschlimmert wird, durch die Gewöhnung erträglicher geworden wäre. Nun ist aber noch als Folge der großen Dürre des vorjährigen Sommers Viehnot eingetreten. Weil bei dem Mangel an Futterstoffen, den die Dürre verursachte, der Viehbestand verringert werden mußte, die Aufzucht eingeschränkt wurde, fehlt jetzt das schlacht­fähige Vich. Nun wäre nichts natürlicher, als diesem Mangel durch Öffnung der Grenzen, durch Herabsetzung oder zeitweilige Auf­hebung der Zölle abzuhelfen. Doch dieses fällt der Regierung gar nicht ein. Das wollen die Großgrundbesitzer nicht, da die auslän­dische Konkurrenz die hohen Viehpreise senken, ihnen den großen Profit verkürzen würde. Und was die Junker wollen, das will allemal auch die deutsche Reichsregierung. Mag die große Masse der Bevölkerung doch aufs Fleisch verzichten die schlechtest ent­lohnten Schichten der Arbeiterschaft haben dies ja schon längst tun müssen, und bei den anderen kommt Fleisch auch nur noch in großen Abständen auf den Tisch. Auf keinen Fall darf das Wohl­befinden unserer Junker durch eine Politik beeinträchtigt werden, die dem Volke die Möglichkeit gibt, sich besser und kräftiger zu nähren als heute. Diese Möglichkeit besteht, denn die Fleischpreise stehen, wie die Statistit zeigt, in Deutschland   erheblich höher als in den Nachbarländern. An der Schweizer   Grenze werden im zollfreien Grenzverkehr von der badischen Bevölkerung große Mengen gefrorenen dänischen Fleisches bezogen. Dieses ist trotz des weiten Umwegs und Transports bedeutend billiger als das deutsche Fleisch. Aber eifersüchtig wird darüber gewacht, daß diese zollfreie Einfuhr nur der schmalen Schicht der Grenzbevöl= ferung zugute kommt. Und wenn die Schweinepreise zu Berlin   von einem Markttag zum anderen um 20 Prozent ſtei­gen, so rührt sich deswegen die Regierung Bethmann Hollwegs noch lange nicht.

Die Fleischer leiden natürlich gleichfalls unter solchen Zu­ständen, namentlich soweit sie auf proletarische Kundschaft ange= wiesen sind. Denn der Verbrauch an Fleisch wird bei den hohen

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Preisen in den Arbeiterfamilien aufs äußerste eingeschränkt oder auch ganz eingestellt. Vielfach haben deshalb die Fleischerinnungen die Öffnung der Grenzen gefordert. Indessen schließt das keines­wegs aus, daß die Metzger die Fleischpreise noch höher hinauf­setzen, als es die Erhöhung der Viehpreise rechtfertigt. In Würt­ temberg   ist darob bereits ein Fleischkrieg mit aller Hef= tigkeit entbrannt. In vielen Städten des Landes hat die Arbeiter­schaft, geführt von den klassenbewußten Arbeitern, den Boykott über die Metzger verhängt, und die kleinen Beamten und Gewerbetrei­benden haben sich zum Teil diesem Vorgehen angeschlossen. In einigen Orten, wie in Gmünd und Lorch  , hat der Boykott schon Erfolg gebracht, die Mezger haben den Aufschlag zurückgenommen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß das Beispiel der Schwaben   im übrigen Deutschland   Nachahmung findet. Indes wird und soll darum den Junkern und ihren Gefolgsleuten nichts geschenkt blei­ben. In den starkbesuchten Boykottversammlungen in den würt­tembergischen Orten wird auch niemals vergessen, darauf hinzu­weisen, daß mit dem Vorgehen gegen die Metzger die Sache nicht erledigt, das übel nicht an seiner wahren Stelle getroffen ist. Und es wird stets hervorgehoben, daß die Fleischteuerung erst dann wirksam gelindert werden kann, wenn die Wucherpolitik der Kon­servativen und ihrer Verbündeten, des Zentrums und der Na­tionalliberalen, fällt, daß also der Hauptkampf gegen diese Par­teien und ihren Helfershelfer, die Regierung, geführt werden muß. Das Zentrum hat heuer zu Aachen   sein alljährliches Schau­stück, den Katholikentag, aufgeführt. Die Massen haben dabei wieder brav ihre Pflicht getan, sie haben die Reden der Führer angehört und haben tüchtig Bravo geschrien und Beifall geklatscht. Zu sagen, zu kritisieren haben sie ja nichts, sie haben nur zu hören und zuzustimmen, tausendstimmig und begeistert. Die Leitung des Schauspiels war wie immer gut, und wer das Zentrum nach dieser durchaus einmütigen Rundgebung beurteilen wollte, der müßte die Kunde von tiefen Gegensäßen im Schoße dieser Partei, vom erbitterten Kampfe der Berliner gegen die Kölner   für ein Märchen halten. Denn davon haben die auf den guten Eindruck auf Öffentlichkeit und Gläubige bedachten Draht­zieher auch nicht ein Sterbenswörtlein auf der Tagung aufkommen lassen. Dem gefährlichen Grafen Oppersdorf zum Beispiel, einem der kampflustigsten Berliner  , ist vom Organisationskomitee schon längere Zeit vor der Tagung mitgeteilt worden, daß er nicht zugelassen werde. Obgleich die schwarze Woche angeblich keine Zentrumsveranstaltung, sondern ein Katholikentag ist und dem Grafen sicherlich der katholische Glaube nicht abgesprochen werden kann. Und dabei war der Graf Mitglied des Zentralfomitees der Katholikentage, aus dem er nun allerdings schleunigst hinaus­gewählt worden ist. Aber kleine Bedenken haben die Führer der Partei für Wahrheit, Freiheit und Recht" niemals geniert. In den Verhandlungen fiel neben dem Eifer, mit dem die Forderung auf völlige Auslieferung der Schule an die Kirche vertreten wurde, vor allem die starke Betonung des Kampfes gegen den Umsturz auf. Die Erklärung des Kampfes gegen den Umsturz verlieh dieser Tagung ihr eigentliches Gepräge. Das Zentrum empfiehlt sich be­ziehungsweise die katholische Kirche   den Regierungen und den Ka­pitalisten als die beste Versicherung gegen den Umsturz. Das ist freilich schon von jeher geschehen, aber noch niemals mit solcher Lungenkraft und solcher Ausdauer wie jetzt in Aachen  . Es scheint, daß der Eifer, mit dem diese Selbstanpreisung verkündet wird, im selben Verhältnis wächst, in dem die Widerstandskraft des Zen­trums gegen die Sozialdemokratie abnimmt und sein Bedürfnis nach dem Schutz des starken Armes der Regierungsgewalt zu= nimmt. Wir gehen nicht fehl, wenn wir in diesem Umsturzgeschrei der Schwarzen Anzeichen einer Entwicklung sehen, die das Zentrum über kurz oder lang bis zu dem Punkte führt, wo es bereit ist, Ausnahmegeseze gegen die flaffenbewußte Arbeiterschaft zu be willigen. Jedenfalls ist es heute in Bayern  , wo es herrscht, schon völlig zu einer reinen Scharfmacherpartei herabgesunken; bei jeder Gelegenheit fordert es die Regierung auf, schärfer gegen die Sozialdemokratie vorzugehen. Bei der Beratung des Militär­etats im bayerischen Landtag stieß die regierende Partei sogar mit dem Kriegsminister zusammen, weil dieses Mitglied des schwarz abgestempelten Kabinetts Hertling nach Ansicht der Schwarzen nicht genügenden Eifer in der Verfolgung der Sozialdemokratie entwickelt. Übrigens wird auch in dem Antrag auf Aufhebung des Jesuitengesezes, den die bayerischen Bischöfe dem Bundesrat ein­gereicht haben, viel Gewicht auf die guten Dienste gelegt, die die Jünger Loyolas im Kampfe gegen die rote Flut den herrschenden Klassen leisten könnten.

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In Rußland   machen sich Anzeichen revolutionären Er­wachens bemerkbar. über Kronstadt   und Sebastopol   wurde