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Die Gleichheit

Rückkunft der Herrschaft die früheren Zeugnisse sowie den Lohn seines Mitglieds zu erlangen. Die früheren Zeugnisse waren ver­legt". Und Lohn zahle man so einer verlogenen frechen Person genau so wenig aus, wie man ihr ein Zeugnis ausstelle", war der Standpunkt der gebildeten und noblen" Frau Direktor. Dafür ließ sie ihrer Entrüstung über die Verderbt­heit der Dienstboten im allgemeinen und ihrer Marie im besonderen den freiesten Lauf und sagte dieser alles Schlechte nach. Später stellte sich heraus, daß die Informationsquelle der Frau Direktor für diese Verleumdungen ihre Puzzfrau war. Doch die Hauptsache: Marie bekam vorläufig nichts. Als die Vorsitzende des Ver­bandes der Hausangestellten später nochmals die Rechte des Mäd­chen zu wahren suchte, trat die Wohlerzogenheit und die edle Sinnes­art der Frau Direktor erst recht auffällig zutage. Was man da verlange, sei unerhört. Ordentliche Dienstboten gäbe es über­Haupt nicht mehr, und da käme dann noch so ein frecher Verein und trete für eine solche Sorte Menschen ein. Ihr ( der Frau Direktor) innigster Wunsch wäre, daß es recht bald Mrieg gäbe, daß diese unverschämten Dienstboten recht hungern müßten und mit ihnen die ganze Arbeiterschaft, denn die wäre gerade so anspruchsvoll und dann würde denen ihr Verein schon vergehen. Der menschenfreundliche Wunsch der Frau Direktor wäre ja fast in Erfüllung gegangen. Unt so weniger aber bekam sie recht der frechen Person" gegenüber, denn das Gemeindegericht verurteilte sie zur Ausstellung eines Zeug­nisses und zu einer klingenden Entschädigung. Den Hausangestellten sei dieser Fall wieder eine eindringliche Lehre. Auf eine wirklich gute Stelle, kommen mehr als zehn schlechte, und Hunderte von Mädchen werden von solchen Herrschaften wie die geschilderte in ihren Rechten geschädigt. Dagegen kann sie nur der Beitritt zu ihrer Organisation schützen. F. V.

Das Verdienstkrenz der weiblichen Dienstboten in Baden. Wenn die Weihnachtszeit naht, geht im badischen Musterländle der Aft allerhöchster gnädiger Dienstbotenfürsorge in Szene: es werden ,, ausgezeichnete" weibliche Dienstboten geschaffen. Wie Soldaten, die nicht vom Kampfplatz gewichen sind, werden Dienstboten dekoriert, die eine 5, 10 und 25jährige Dienstzeit bei derselben Herrschaft hinter sich haben. Dieses Aushalten wird offenbar nicht ohne Grund auch als ein Ausharren im Kampfe aufgefaßt. Die aus­gezeichneten" Dienstmädchen erhalten auch ein Verdienstkreuz, aber kein eisernes, sondern eines aus Silber, wenn sie minde­stens ein Vierteljahrhundert ununterbrochen bei derselben Herr­schaft ausgehalten haben. Für einen Dienst von 10 und 5 Jahren in demselben Standquartier wird nur eine Brosche beziehungs­weise ein Buch gewährt. Die silbernen Dekorationen sollen von der Großherzogin Witwe gestiftet sein, die sie wahrscheinlich nicht aus der eigenen Tasche bezahlen muß. Aber auch wenn dies der Fall wäre, würde die alte sparsame Fürstin für den Aufwand reichlich belohnt. Die mit Silber, Bronze oder Buch für ihr Be­harrungsvermögen so überschwenglich beglückten Dienstmädchen müssen ein dreifaches Hoch auf die Großherzogin Luise aus­bringen, natürlich auf Befehl des Amtmanns, Pfarrers, Bürger­meisters oder wer sonst das Loblied auf die landesmütterliche Huld zu singen hat. Neben den Namen der ausgezeichneten" Dienstboten kommen in den Zeitungsbericht auch die der Herr schaften, die von der dekorierten Geduld den Gewinn hatten. Bei dem heurigen Gnadenakt" zu Wolfach   standen außer dem Bürgermeister zwei Stadtpfarrer und ein Vikar neben den zwei cinzigen Dienstboten des ganzen Amtsbezirkes, die das Silber­freuz erhielten. Ein rührendes Bild der großen sozialen Bedeu­tung dieser Art Dienstbotenfürsorge von Gottes Gnaden und Pfaffengunst!

Um gerecht zu sein: es ist auch eine Fürsorge um das leibliche Wohl der weiblichen getreuen Fridoline. mit der Auszeichnung verbunden. Au den Festakt schließt sich nämlich ein Festkaffee" an. Die etwa noch lebenden alten Ritterinnen des silbernen Luisen­kreuzes, die zum Festakt aufgeboten werden, haben jedesmal das Gastrecht bei diesem Kaffee. Vor uns liegt die öffentliche Ein­ladung eines städtischen Frauenvereins zu einem solchen Kaffee­fränzchen anläßlich der am 1. Dezember erfolgten Dienstboten­dekorierung:" Bur Teilnahme an dieser Feier und an dem sich unmittelbar anschließenden Festkaffee im Hotel Adler wird jedermann, insbesondere die Dienstherrschaften der Ausgezeichneten freundlich eingeladen. Der Teilnahmspreis ist 80 Pf. pro Person." Leider konnten wir nicht in Erfahrung bringen, wie viele Damen sich bereit fanden, zu Ehren der so großartigen sozialen Fürsorge bare 80 Pf. auszugeben. Und mehr noch: sich zu einer gesell­schaftlichen Vertraulichkeit mit den Dienstboten herabzulassen, wenn auch nur auf kurze Stunden. Denn gehören nicht auch die

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Dekorierten zu jener Menschenklasse, die in der badischen Muster­staatsverfassung und Gefeßgebung noch mit dem Stempel einer fast mittelalterlichen Hörigkeit gebrandmarkt sind!

mg.

Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen. Arbeiterinnenlos im fränkischen   Rom  . Wo die Not am größten, ist der Klerikalismus am nächsten. Die Wahrheit dieses Wortes er­weist sich in vielen wichtigen Industriezentren Deutschlands  . Wir erinnern an die großen rheinischen Industriegebiete. Nirgends ist das Elend des schaffenden Volfes größer, als zum Beispiel im frommen Aachen  , der alten Kaiserstadt. Im strenggläubigen Münster­land, auf dem schwarzen Eichsfeld und in dem kaum lichteren Ober­ schlesien  , wo die Zentrumsmagnaten in ihren Gruben fetteste Profite aus den Arbeitern herauspressen, überall herrschen zusammen mit dem Klerikalismus Entbehrung und Hunger über das Leben der Massen. Die skrupelloseste Ausbeutung des Menschen durch den Men­schen verträgt sich prächtig mit der Moral der heutigen Vertreter christlicher Lehren. Trost von dem Jenseits  " ein Trost", an dem die frommen Kapitalisten sich nicht genügen lassen die Furcht vor der Hölle, haben starke Gewalt über die vom Klerikalismus be­herrschten Massen und halten sie davon ab, sich ihren Plak an der Sonne zu erkämpfen, mit den andern Arbeitsbrüdern und Arbeits­schwestern gemeinsam nach besseren Lohn- und Arbeitsbedingungen zu streben. Wer Knecht ist, soll Knecht   bleiben", dieſes Bischofswort zeigt eindringlich auch dem zurückgebliebensten Proletarier, wie wenig die Kirche geneigt ist, sich seiner hilfreich anzunehmen.

In folgendem wollen wir ein Bild des Elends zeigen, das in Bamberg  , der fränkischen Siebenhügelstadt, das Los der Aus­gebeuteten ist. Hier fronden und seufzen Tausende Arbeiterinnen unter dem harten Joch des Kapitalismus  . In Riesenbetrieben der Textilindustrie erhält die proletarische Frau klassischen Anschauungs­unterricht darüber, wie die Rücksicht auf den kapitalistischen   Gewinn alle Bande der Familie zerreißt. Beim Tagesgrauen eilt die Prole­tariermutter, um ihre Lieblinge einer Bewahranstalt zu übergeben. Frommen" Schwestern ist hier die Erziehungsarbeit anvertraut, derweil die Mutter der Kleinen in der Fabrik die fleißigen Hände rühren muß, um wenigstens das Pfleggeld zu verdienen. So wächst ein Geschlecht Proletarierkinder um das andere heran, das eine liebevolle Erziehung durch die Eltern nur dem Namen nach fennt. Staum, daß die jungen Proletarier flügge geworden sind, müssen sie gleich den Eltern in den Frondienst der Industrie treten. Aus­beutung, Armut, geschwächte Lebenskraft, das ist ihr Erbteil. Es ist empörend, wie in der frommen fränkischen Stadt von gewissenlosen, profitwütigen Unternehmern mit Gesundheit und Ehre der Arbeite­rinnen Schindluder getrieben wird. Die lächerlich geringen Löhne, die in den allermeisten Bamberger   Textilbetrieben gezahlt werden, treiben unzählige junge Mädchen und Frauen dem Laster in die Arme. Es ist kein Zufall, daß in der Bischofsstadt der Prozentsatz der unehelichen Geburten ein sehr hoher ist. Mit welchen Bettel­pfennigen Arbeiterinnen am Zahltag nach Hause gesandt werden, dafür einige Beispiele: Nach uns vorliegenden Lohntüten verdienten erwachsene Arbeiterinnen in den Bamberger  Seidenzwirnereien bei zehnstündiger täglicher Arbeits­zeit wöchentlich 2, 3, 4 und 5 Mart. Hungerlöhne das, im wahrsten Sinne des Wortes! Eine Illustration zu dem bekannten Kaiserwort, daß für die Arbeiterschaft gesorgt" ist. Und was das scheußlichste ist: In manchen Betrieben der Textilindustrie muß das ausgebeutete Weib seinen Störper geilen Vorgesezten preisgeben, will es nicht damit rechnen, auf die Straße zu fliegen. Namentlich aus einem großen Bamberger   Betrieb, der Seilerwarenfabrik, gehen uns fortwährend Klagen über schamloses Verhalten ge­wisser Vorgesetzten zu. Der Besiger dieses industriellen Unter­nehmens, ein Herr Kommerzienrat Barth, macht viel in Wohl­tätigkeitseinrichtungen und gemeinnügigen Veranstaltungen. Man hört und sieht aber nicht, daß dieser Industrielle auch nur einen Finger frümmt, um die in seiner" Fabrik fronenden und Mehrivert schaffenden Arbeiterinnen vor gewissenlosen Wüstlingen 811 schützen. Wir wollen heute aus verschiedenen Gründen davon absehen, in breitester Offentlichkeit hervorstechende Einzelfälle unter Nennung von Namen zu besprechen. Es findet sich dazu vielleicht später Gelegenheit, wenn der Staatsanwalt von ge= wiffen schmutzigen Vorgängen den Schleier hebt. Es drängt sich die Frage auf: Was tut die in Bamberg   herrschende Partei, das Zentrum, um das harte Schicksal der Arbeiterinnen zu mildern? Antwort: Sie gründet katholische Arbeiterinnenvereine, läßt die frommen Schäfchen allsonntäglich fleißig zur Kirche gehen und ihnen Zufriedenheit und immer wieder Zufriedenheit predigen. Die alleinseligmachende Kirche schirmt zusammen mit ihrer Ver­