116

Die Gleichheit

schwarzer Erbe, Morik und das Liebespulver. Handelt es sich hier nicht um offenbaren Schund? Wirken diese Stücke( und es sind noch keineswegs die schlimmsten) nicht in Wahrheit verblödend und verrohend? Was sollen die Zuschauer mit all den Ehebruchsszenen widerlichster Art, mit allen den nervenaufpeitschenden Detektivdramen, mit den Greuel­bildern, mit der Albernheit, die sich für Humor ausgibt? Gegen die Schundliteratur der Kolportageromane und Nick­Carter- Hefte wenden wir uns mit aller Energie; weit ein­dringlicher und gefährlicher wirkt aber dieser Kinoschund, bei dem man sich das Häßliche nicht nur in der Vorstellung aus­malen muß, sondern wo man alles lebendig und wirklich vor den Augen sich abspielen sieht. Es ist schon genug über diese Schundfilms und ihren verderblichen Einfluß geschrieben

worden.

Für uns Sozialdemokraten muß als die unheilvollste Wir­fung wohl die gelten, daß das Kino die Proletarier abzieht von den politischen und wirtschaftlichen Bestrebungen ihrer Klasse, daß es den Willen lähmt, im Kampfe um die Freiheit nicht zu rasten, daß es dem Arbeiter und der Arbeiterfrau die Zeit stiehlt, an ihrer geistigen Weiterbildung zu arbeiten, daß es die Köpfe unserer heranwachsenden Arbeiterjugend un­heilvoll verwüstet. Darum müssen wir uns mit Entschiedenheit gegen das Kino wenden, wie es heute ist, und nicht nur gegen einzelne Films.duration? sid u

Gewiß, das Kino ist noch im Werden. Es kann einst ein wundervolles Mittel im Dienste wissenschaftlicher Belehrung und Aufklärung werden. Das beweisen uns schon heute eine Reihe von Films, die allerdings in der Masse des Schundes faum auffallen. Die Kinotechnik kann die Tiere auf ihrem nächtlichen Pfade belauschen; sie kann eindringen in das ge­heimnisvolle Leben der Kleintierwelt. Sie kann uns leben­dige Kunde bringen von den Sitten und Lebensgewohnheiten fremder Völker. Sie kann welthistorische Begebenheiten und fulturgeschichtlich interessante Erscheinungen in ihrer leben­digen Wirklichkeit festhalten für spätere Zeiten. Sie kann uns einen Einblick verschaffen in das Werden aller menschlichen Geräte und Werkzeuge. So hat das Kino gewiß eine Zukunft. Die ist aber eine andere als die, an die Genosse Grempe denkt.

Genosse Grempe möchte das Kino in den Dienst der sozia­ listischen   Agitation stellen. Ich weiß nicht, wie er sich das denkt. Will er anstatt der heute dargestellten Dramen sozia­listische Kinodramen vorführen? Dramen, die mit der Kunst nicht mehr gemein hätten als die kritisierten kapi­talfrommen Scheuel und Greuel, von denen sie sich nur durch ihren Gedankeninhalt unterscheiden würden? Das fämpfende Proletariat ist entschieden im Recht, die spic­lerische Stunst für die Kunst" dekadenter ästheten zurück­zuweisen. Es kann, es muß die künstlerisch gestaltete Tendenz chren, denn Tendenz ist Inhalt, ist Idee. Aber es darf sich nicht mit einer rohen Afterkunst abspeisen lassen, auch wenn diese die Idee des proletarischen Befreiungskampfes wieder­zugeben versucht. Wir wollen die Proletarier hinaufführen zu den Höhen der Kunst. Sie sollen sich an all dem Schönen und Edlen erfreuen, das die Künstler aller Zeiten und Völker hervorgebracht haben. Sie sollen alles meiden und gering werten, was nach Afterkunst, nach geschäftlicher Mache aussieht. Machwerke sind und bleiben aber die Kino­dramen, mögen sie zehnmal von den besten Schauspielern nach Werken der berühmtesten Dichter gestellt sein, mögen fie auch den Zielen unserer Bewegung dienen wollen. Wir fönnen nur wünschen, daß das Kino seiner wahren Aufgabe immer mehr gerecht werde: ein Mittel der Aufklärung zu sein. Darauf haben wir hinzuwirken. Daneben muß unser Be­streben dahin gehen, den Hunger nach wahrer Kunst in den Broletariern und Proletarierinnen immer mehr zu weden. Darum müssen wir dafür Sorge tragen, daß überall Bolkstheater entstehen, die auch den Minderbemittelten Gelegenheit geben, häufiger gute Schauspiele und Opern

Nr. 8

zu sehen und zu hören; daß billige Konzerte und Vortragsabende eingerichtet werden; daß Kunst­hallen und Gemäldesammlungen auch geöffnet sind zu einer Zeit, die den Proletariern paßt; daß gute Bücher in immer weitere Kreise dringen. Je mehr wir solche Be­strebungen fördern, um so mehr Männer und Frauen machen wir dem verderblichen Filmschund abspenstig und gebieten damit der gegenwärtig grassierenden Kinosenche Einhalt. Das aber ist not. Roland.

Tertilarbeiterelend.

Wer von der Lage der Textilarbeiterschaft redet, der muß unvermeidlich von Elend reden. Es ist das hervorstechendste Merkmal ihrer Lage. In der Textilindustrie hat das aus­beutende Kapital sich lange ungezügelt auf die Menschen stürzen und ganze Geschlechter seinem Profithunger opfern können. Und die Schranken, die die Gesetzgebung heute seinem Wüten zieht, sind bei weitem nicht hoch und stark genug. Man muß immer der Tatsache eingedenk bleiben, daß die technische Entwicklung, die Vervollkommnung der Arbeitsmittel und Arbeitsverfahren gerade in der Terti!-- industrie die Verwendung der widerstandsschwächsten Prole­tarier ermöglicht. Hier ist ein Dorado- ein Goldland für die Ausbeutung von Frauen, Jugendlicher, Kinder, weltfremder, an die Scholle gefeffelter Landbewohner, von Ausländern, die an eine niedrige Lebenshaltung gewöhnt, womöglich der Sprache unkundig und so gut wie vogelfrei in die Hand ihrer Herren" gegeben sind. Die Folge von dem allem muß sein, daß die gewerkschaftliche Organisation der Textilarbeiterschaft sich nur langsam, unter großen Schwie­rigkeiten entwickeln konnte, und daß sie unter außerordent­lich harten Bedingungen den Kampf gegen das Elend führen muß. Wie notwendig und wertvoll das Wirken des Ver­bandes ist, das tritt hell hervor, wenn man durch irgend einen Bezirk der Tertilindustrie wandert und dort die Ar­beits- und Lebensbedingungen des Proletariats kennen lernt. Eindringlich reden dann die Verhältnisse von Kummer, Sorge und Not.

Elendsbilder waren es zumeist, die an der Unterzeichneten bei einer längeren Agitationstour vorüberzogen, die sie in den beiden Gauen Sachsen- Erzgebirge und Thüringen   des Deutschen Textilarbeiterverbandes unternahm und die der Propaganda für den freien Sonnabendnachmittag galt. Versammlungen fanden statt in den Orten München­ bernsdorf  , Pößneck  , Neustadt   a. Orla  , Triebes  , Zeulenroda  , Reichenbach  , Fraureuth  , Werdau  , Ronneburg  , Meerane  , Altenburg  , Weide, Crimmitschau  , Gera  , 8wößen, Glauchau  , Gößniz und Jeßniz. Drückt die Teuerung schon schwer auf die erwerbstätige Bevölkerung der Großstädte, so ist sie zur unerträglichen Bein, zur Hungersnot für das Prole­tariat in den Gebieten des Tertilgewerbes geworden. Fleisch, Wurst und Butter sind für die Tertilarbeiterschaft Sachsens  und Thüringens   seltene Leckerbissen. Kaum einmal wöchent­lich kommt Fleisch auf ihren Tisch, und dann ist's meist Pferdefleisch. Für 5 Pf. Pferdeknochen, ein bißchen Rinds­talg und für 10 Pf. Gräupchen, das gibt eine gute Suppe für uns viere auf zwei Tage," sagte mir eine junge Weberin. Sie ging mit ihrem Manne täglich in die Fabrik; die Kinder im Alter von drei und sieben Jahren blieben sich den Tag über allein überlassen. Wir haben sieben Kinder, die alle noch zur Schule gehen. Mein Mann verdient nicht schlecht, 36 Mf. vierzehntägig. Bei den vielen Kindern kann ich nicht in die Fabrik gehen, aber ich muß verdienen, sonst reicht es weder hinten noch vorn. Ich nähe zu Hause Unterhosen. Ich selbst muß sie einrichten und den Flor( Faden) zum Nähen dazu geben. Das macht eine Ausgabe von 50 Pf. monatlich. Für das Nähen eines Dugend Unterhosen gibt es 70 Pf., wenn ich mich recht daranhalte, so schaffe ich in der Woche sechs Dußend." So erzählte mir eine Frau im Erzgebirge  .