Nr. 8

Die Gleichheit

Krieg fort. Neben den vielen Volksversammlungen, die die Partei veranstaltet, finden fortgesetzt Frauenversammlungen im ganzen Reiche statt. Große Begeisterung erwecken die Ausfüh­rungen über die Friedensdemonstration in Basel  . Die Verbreitung des Manifestes, das vom Internationalen Sozialistischen Kon­greß beschlossen wurde, ist in Österreich   verboten. Die Staats­anwälte haben es tonfisziert. Die sozialdemokratischen Ab­geordneten wollten es im Parlament gegen die staatsanwaltlichen Machenschaften sicherstellen, an der Bedientenhaftigkeit der bürger­lichen Abgeordneten ist dieser Versuch aber gescheitert. Wäre näm­lich das Manifest in öffentlicher Parlamentssitzung zur Verlesung gelangt, so wäre es dadurch der behördlichen Verfolgung entzogen worden und die Konfiskation hätte ihre Kraft verloren. Der Präsi= dent des Abgeordnetenhauses aber, ein stramm" Deutscher  ", Dr. Sylvester, beraumte eine geheime Sigung an, und so blieb das Manifest konfisziert. Freilich kommen die Staatsanwälte mit der Konfiskation gewöhnlich um einige Stunden zu spät, und so war die Arbeiterzeitung"; die das Manifest enthielt, schon in den Händen vieler Leser, als die Konfiskation verfügt wurde. Das Manifest wäre wohl ohne die Konfiskation von niemandem mit so viel Eifer gelesen worden, als dies jetzt gefchieht. Und es geht von Hand zu Hand...

Die guten Patrioten in Österreich  , das sind die Christlichsozialen und die Deutschradikalen, benützten den Kongreß in Basel   in erster Linie zu einer außerordentlich fanatischen Heze gegen die Sozial­demokratie. Vaterlandsverräter"," Hochverräter" scholl es uns entgegen. Besonders wütete man von dieser Seite gegen den Ge­nossen Renner wegen seiner Rede in Berlin   und gegen den Ge­noffen Pernerstorfer wegen seiner Rede in Paris  . Selbst nach Ausnahmegesehen riefen die Schwarz gelben. Ihre patriotische Verrücktheit ging so weit, daß sie die Sozialdemokratie beschuldigten, sie arbeite mit ihrer Agitation gegen die Kriegsheze in bewußter Weise für Rußland  . Man veranstaltete vor Denkmälern Demonstrationen für den Krieg, und christlich- soziale Abgeordnete hielten Reden, die sie mit dem Rufe schlossen:" Hoch die Armee, nieder mit den Sozialdemokraten, den Vaterlandsver= räteru". In einem Stadtkaffeehaus ließen sie das Prinz Eugen   Lied spielen, das sie stehend anhörten, und als ein Kaffeehausgastes war ein sozialdemokratischer Abgeordneter- die patriotische Blödelei ignorierte und seine Zeitung weiterlas, da umringten sie ihn gleich einer Horde von Wilden und wollten ihn zum Aufstehen zwingen. Kein Tag vergeht ohne patriotisches Getue. Einmal demonstrieren Studenten, dann der Gemeinderat; jede Versammlung benüßen die christlichen und deutschnationalen Heber zu einer kriegsbegeisterten Loyalitätskundgebung.

So ist die Stimmung, die in Wien   die Oberfläche des öffent­lichen Lebens beherrscht. Das Bürgertum aber wagt nicht, sich gegen sie aufzulehnen. In seinem Herzen ist es gegen den Krieg, es überläßt es aber den Sozialdemokraten, gegen die Kriegsheßereien anzufämpfen. Einzig eine bürgerliche Frauenversamm­I ung hat gegen alle Kriegsabsichten demonstriert. Und nur eine bürgerliche Frauenzeitung hat gewagt, die Bedeutung des Baseler Kongresses anzuerkennen und gegen die Konfiskation des Manifestes zu protestieren. Diese Zeitung ist das Organ des Esterreichischen Frauenvereins, das Neue Frauenleben". Sonst schweigen alle bürgerlichen Blätter. Kein Wort findet die so­genannte freisinnige Presse gegen die häufigen Konfiskationen der ,, Arbeiterzeitung", gegen die Unterdrückung des Manifestes der Sozialistischen Internationale, gegen die Erdrosselung der Rede­freiheit im Parlament. Die Regierung hat aus Anlaß der Kriegs­gefahr Gesetze eingebracht, die eine Reihe von drückenden Bestim mungen enthalten. Die bürgerlichen Parteien würden sie un­besehen angenommen haben, wenn nicht die Sozialdemokratie sich zur schärfsten Kritik und Abwehr erhoben hätte. Die bürgerliche Bresse hat auch da geschwiegen. Der Sozialdemokratie ist es gc= lungen, die Parteien wenigstens so weit aufzupeitschen, daß die Regierung einige der unerhörtesten Bestimmungen der Kriegs­Teistungsgesetze fallen lassen mußte. Die Geseze bleiben so noch hart genug. Bis zum fünfzigsten Jahr kann jeder Mann, auch wenn er nicht Soldat war, im Falle eines Krieges von der Militärverwaltung zu Dienstleistungen außerhalb des Krieges herangezogen werden. Die Militärbehörden können Fabriken usw. übernehmen, jedem Bauern kann auch sein einziges Pferd zu Kriegszweden genommen werden, nur die Pferde des Hofes und der Rennstallbesiber bilden eine Ausnahme.

Was schon jetzt, ohne daß Österreich   im Kriege steht, an Angst und Unruhe über die Bevölkerung verhängt wird, ist unbeschreib­lich. Täglich gibt es neue Schreckensnachrichten. Und erst die Kosten dieser Kriegsvorbereitungen! Auf 250 Millionen Kronen

127

wurden schon vor zwei Wochen die Kosten der nur teilweisen Mo­bilisierung geschätzt. Wie erst, wenn es wirklich zum Kriege käme? Was hat man nicht wegen des österreichischen Konsuls Pro­haska getrieben! Dieser Beamte war in Prizrend stationiert, das von den Serben erobert wurde. Es blieben nun einige Zeit die Nachrichten von Konsul Prohaska aus, und da hieß es, er sei von den Serben gefangen und mißhandelt worden. Die Reichs­post" sah ihn schon geschändet, verstümmelt, ja tot, und was sonst noch alles für Gerüchte herumgingen. Der Name Prohaska be­herrschte einige Wochen die ganze Öffentlichkeit. Und nun ist der Mann heil und unversehrt, gar nichts ist ihm geschehen, wie endlich die Regierung fonstatiert. Nicht einmal die Fahnen Österreichs  sollen beschmußt worden sein".

Die Sozialdemokratie hat keinen Augenblick verloren. Ohne Rast hat sie nach den Beschlüssen des Internationalen Sozialistischen Kongresses gehandelt. Auch in den Stunden der höchsten patrio­tischen kriegsheßenden Leidenschaften hat sie den Massen stets das Banner vorangetragen mit der Losung: Krieg dem Kriege. Und das wird sie auch weiter tun. Die Genossinnen aber sind mit ganzer Seele bei der sozialdemokratischen Friedensaktion. Frauenver­sammlungen gegen den Krieg finden noch immer statt. Die Ge­nossinnen halten es für ihre heilige Pflicht, auch die Proletarie­rinnen darüber aufzuklären, daß ein Krieg für Österreich   das furchtbarste übel wäre und daß das arbeitende Volk um so ernster und entschlossener sein muß, ihn abzuwehren, als das Bürgertum im Kampfe gegen die drohende Gefahr versagt. a. p.

Frauenstimmrecht.

Die Erfolge der Frauen bei den Londoner   Munizipalwahlen sind bemerkenswert. Jn 11 Bezirken( Boroughs) wurden zusammen 22 Frauen als Gemeindevertreter gewählt. 8 der Gewählten zählen zu den Gemäßigten", 7 zu den Fortschrittlern" und 5 zu der Arbeiterpartei". Unter diesen letzteren befinden sich 5 Führerinnen der sozialistischen Liga für die Interessen der erwerbstätigen Frauen". Es sind die Genossinnen Bentham  , Phillips, Walters, Turn­bull und Williams. Zwei andere bekannte Mitglieder der Liga" sind leider unterlegen, ebenso andere Genossinnen, unter ihnen eine Kandidatin der Britischen   Sozialistischen Partei, Frau Scurr, die seit langem innerhalb ihres Munizipalbezirks wertvolle soziale Arbeit zur Linderung des Massenelends leistet. Eines besonderen Erfolgs darf sich die Liga" auch insofern rühmen, als Genossin Williams in ihrem Bezirk Swansea   als Bürgermeisterin amtieren wird. Es ist 30 Jahre her, daß Genoffin Williams als zehnjähriges Prole­tarierkind bei einer Dienstherrschaft der nämlichen Gemeinde den Kampf mit dem Leben aufnehmen mußte. Was sie geworden ist, verdankt sie der Arbeiterbewegung und ihrem eigenen rastlosen Streben. Es ist ein Stück proletarischer Geschichte, das sich in diesem Lebensschicksal zeigt.

Frauenbewegung.

Die fünfte Generalversammlung des Katholischen Frauen­bundes in Straßburg   i. E. wird unzweifelhaft von nicht zu unter­schätzender Bedeutung für die Entwicklung der katholischen Frauen­bewegung sein. Sie brachte eine unzweideutigere offizielle An­erkennung der Frauenbewegung durch die Kirche als alle ihre Vorgängerinnen. Der Spruch des Apostels Paulus: Das Weib schweige in der Gemeinde", der so lange der Frauenbewegung als starres Dogma entgegengerufen wurde, soll kein Glaubens­faz mehr sein. Die Christliche Frau" rühmt die geradezu glän­zende Vorarbeit", die Bischof Dr. Frißen von Straßburg   in geist­lichen Kreifen für die Tagung geleistet hatte. In einem Erlaß an den Klerus hatte er Notwendigkeit und Aufgabe des Katho­lischen Frauenbundes wie folgt erläutert: Neben den bereits be­stehenden und äußerst segensreich wirkenden religiösen und chari­tativen Frauenvereinen brauchen wir eine Organisation, welche zu den immer mehr in den Vordergrund tretenden Frauenfragen Stellung nimmt, die katholische Frauenwelt auf diesem Gebiet anregi, sammelt, schult, leitet und dabei überall die katholische Auffassung zu gebührender Stellung bringt. Es handelt sich ja nicht mehr darum, zu entscheiden, ob man der Erörterung dieser Fragen durch die Frauen sympathisch gegenübersteht oder nicht, denn dieselbe findet auf jeden Fall auch im Elsaß   statt. Es gilt also, rechtzeitig dafür Sorge zu tragen, daß die katholischen Frauen in der Behandlung dieser Probleme sich vom katholischen Geiste in dem kirchlichen Sinne leiten lassen. Das ist gerade die wichtige Aufgabe, welche der Katholische Frauenbund sich gestellt hat, der er sich in allen Gegenden Deutschlands  , und zwar auch in