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Die Gleichheit

recht als Mittel zur Verbesserung ihrer Lage. Eine der Delegierten, Miß Norton, die die Yorker Arbeiterinnen vertrat, hatte den Ministern die Erklärung zu übermitteln, daß die seitherigen friegerischen Taten" der Suffragetten nur ein schwaches Beispiel fünftigen Vor­gehens seien, wenn den Frauen noch länger Recht und Gerechtigkeit vorenthalten bliebe. Lloyd George  , der die Deputation zunächst allein empfing, unterbrach diese Ausführungen durch die dringende Mahnung, der Sache des Frauenwahlrechts nicht durch derartige Drohungen zu schaden, die auch die Stellungnahme der Regierung erschwerten. Zu einer längeren Auseinandersetzung fam es zwischen dem Minister und Miß Annie Kenney  , einer früheren Arbeiterin, die zu den eifrigsten und einflußreichsten Suffragetten zählt. Sie griff mit erfrischender Rücksichtslosigkeit den Ministerpräsidenten Asquith   an und erhob gegen ihn den Vorwurf, daß er entgegen seinem Versprechen auf die eine oder andere Weise das Frauen­wahlrecht bachab schicken werde. Lloyd George  , dem sich erst später Sir Grey zugesellte, mußte natürlich diese Behauptung zurückweisen, und er schwor alle Eide, daß die gesamte Regierung, Asquith   in­begriffen, an der Wahlrechtsreform festhalte und sie verteidige, auch wenn sie mit Bestimmungen über das Frauenwahlrecht verquickt werde. Miß Kenney äußerte unter Hinweis auf Gerüchte von aller hand Kabinett und Parlamentshintertreppenintrigen so scharfe Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Ministerpräsidenten, daß es Mrs. Drummond für klug fand, Lloyd George   mit Lobes­crhebungen über seine eigene Stellung in der Frage um den Bart zu gehen. Der Minister versicherte nachdrücklich seine Sympathie für das Frauenwahlrecht wie auch seine Anerkennung für die sachliche Art und Weise, mit der die Forderung von der Deputation be= gründet worden sei. Sie habe den Eindruck verstärkt, den er und andere seiner Freunde schon von früheren Frauendelegationen in der Sache erhalten haben: daß die Frauen reif und geschickt wären, politische Rechte auszuüben. Sir Grey, den wichtige Amtsgeschäfte erst später an der Unterredung teilnehmen ließen, schloß sich ganz den Ausführungen seines Stollegen über die Zuverlässigkeit des Ministerpräsidenten und das Verhalten der Gesamtregierung zum Frauenwahlrecht an. Er erklärte noch, daß Lloyd George   und er für das Amendement Dickinson stimmen würden und bei dessen Ablehnung für die Versöhnungsbill. Die Regierung sei ent­schlossen, Asquiths Gelöbnis zu halten, die Wahlrechtsvorlage nicht deswegen fallen zu lassen, weil sie eventuell durch das Frauen­wahlrecht erweitert werde. Mrs. Drummond und Miß Senney drehten der Sicherheit wegen nun den Spieß um. Sie stellten die Frage, was die Regierung tun werde, wenn die Amendements für das Frauenwahlrecht abgelehnt würden, ob dann die beiden Minister ihr Amt niederzulegen gedächten. Auf diese Frage antwortete Lloyd George   so wortfarg, wie er früher beredt gewesen war:" Das hängt von dem Haus der Gemeinen ab. Sie müssen das Haus der Gemeinen befehren." Der andere ministerielle Stämpe für das Frauenrecht schwieg bei dieser delphischen Antwort in allen Tönen. Die Frauenrechtlerinnen deuteten diesen Ausgang wohl nicht mit Unrecht als ein Anzeichen von Verrat" der Regierung. Wie dem auch sei, bleibt die Tatsache der Deputation selbst beachtenswert. Trotz des starken und falschen frauenrechtlerischen Einschlags, den die Ausführungen der Arbeiterinnen zum Teil hatten, verdient ihr Auftreten hohes Lob. Die aufrechte, freie und dabei doch würdige Art, in der sie mit den Ministern verhandelten, sticht außerordentlich vorteilhaft von der devoten Satzbuckelei unserer Frauenrechtlerinnen vor hohen und höchsten Persönlichkeiten ab. Übrigens haben auch die Minister die Frage mit einer Sachlichkeit und Vorurteilslosigkeit behandelt, die wir bei leitenden Staatsweisen in Deutschland   wohl noch lange vergeblich suchen dürften.

Kundgebungen der Britischen   Sozialistischen Partei für das Wahlrecht aller Großjährigen haben anläßlich der letzten Stam pagne für die Wahlrechtsreform und das Frauen stimmrecht in London   wie der Provinz am 5. Januar stattgefunden. In London   zogen die Parteimitglieder in ge­schlossenem Zuge von den Themseufern nach dem Trafalgar Square  . Leider war der Demonstrationszug klein, weil der Tag ungünstig und die ganze Veranstaltung nicht sorgfällig genug vorbereitet war. Auf dem Trafalgar Square   sammelte sich jedoch cine zahlreiche Zuhörerschaft um die Redner der Partei. Es ver­dient das Beachtung, weil die Kundgebung von den Frauenrecht­lerinnen strenger Observanz geboykottet wurde. Der Grund dafür ist darin zu suchen, daß die Britische Sozialistische   Partei zwar für das allgemeine Frauenwahlrecht eintritt, aber ein Damen­ivahlrecht bekämpft, wie es die Versöhnungsbill" einführen sollte. Außer dem Genossen Hyndman und anderen Rednern der Partei sprachen die Genossinnen Cheshire, Neal, Hids und Boyce. Genossin Cheshire   wendete sich scharf gegen die Suf­

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fragetten, die dort fehlten, wo für die Arbeiterinnen und Ar­beiterfrauen volles Bürgerrecht gefordert werde. Genosse Hynd­ man   unterstrich ebenfalls, daß die Partei ein Wahlrecht für die Frauen der besitzenden und reaktionären Klassen ablehnt und po­litische Gleichberechtigung für alle großjährigen Männer und Frauen fordert, die politisch aufzuklären und zu erziehen eine wichtige Aufgabe sei. Zustimmungsadressen von Parteiversamm­lungen und Demonstrationsmeetings liefen ein aus Bristol  , Eastbourne  , Edinburg  , Hull, Leeds  , Liverpool, Plymouth   und Stonehouse.

Die Einführung des Frauenwahlrechts im Staate New York  ist von Kammer und Senat beschlossen worden. In beiden gesetz­gebenden Körperschaften gelangte eine Resolution zur Annahme, die forderte, den Frauen das Wahlrecht zu verleihen und die Staatsverfassung entsprechend abzuändern. Im Senat fiel nur eine einzige Stimme gegen die Resolution, die nun dem Gouver­neur des Staates zur Unterschrift zugegangen ist.

Die Frau in öffentlichen Alemtern.

Für Frauen als Schöffen bei den Jugendgerichten ist die Sozialdemokratie im Reichstag nachdrücklich eingetreten. Dort wurde Mitte Januar der Gesezentwurf über die Jugendgerichte in erster Lesung beraten. Wenn es eine ge­sellschaftliche Einrichtung gibt, bei der die Frauen in vollem Maße mitwirken sollten, so ist es das Jugendgericht. Die Gründe dafür sind so einleuchtend, daß wir uns nicht über sie zu verbreiten brauchen. Ist doch ein Schimmer davon sogar der Regierung auf­gedämmert, die sonst gegen soziale Reformnotwendigkeiten blind zu sein pflegt. Sie hat sich zu einem Konzessiönchen an das Recht der Frauen verstanden, das einen erheblichen Nutzen für die Au­gemeinheit bedeuten würde. Der Geseßentwurf sieht vor, daß Frauen von den Jugendgerichten als Beistand für Angeklagte bei der Hauptverhandlung und als Fürsorgerinnen zuzulassen seien. Er begründet das damit, daß, wenn es sich um weibliche Ange­flagte handelt, Frauen in hervorragendem Maße zum Amt des Fürsorgers geeignet sein werden". Das stimmt, auch wenn es sich nicht um weibliche Angeklagte handelt, sondern um Jugendliche überhaupt. Aber wenn die Frau in hervorragendem Maße" als Fürsorgerin geeignet ist, warum nicht als Schöffe? Die gleichen Gaben und Wesenseigentümlichkeiten, die sie zum Beistand und zur Fürsorge befähigen, werden sich auch bei der Urteilsfindung. bewähren. Ein wenig Logik, ihr Herren! Die Forderung des so= zialdemokratischen Redners, Frauen als Schöffen zuzu­lassen, wurde nur von einem einzigen bürgerlichen Abgeordneten vertreten. Der nationalliberale Professor v. Calker führte aus, daß die Zweckmäßigkeit wie die Gerechtigkeit verlange, Frauen als Schöffen an den Jugendgerichten mitwirken zu lassen. Man könne zu weiblichen Schöffen das Vertrauen haben, daß sie Gutes leisten und manchmal ihre Aufgabe besser lösen werden als Männer. Konservative und Reichsparteiler wendeten sich gegen die Forderung und bemäntelten ihren fachunverständigen und reaktionären Standpunkt mit den abgeleierten Salbadereien bom Respekt vor der Liebenswürdigkeit und Zartheit der Damen. Der Gesezentwurf ist an eine Kommission verwiesen worden, bei deren Beratung der Kampf für das Recht der Frau und die zwed= mäßige Gestaltung der Jugendgerichte weitergeht.

Frauenbildung.

Ein außerordentlicher Frauenbildungstag in Berlin   hat vor einiger Zeit stattgefunden. Er war von dem" Preußischen Zentralverband für die Interessen der höheren Frauenbildung" einberufen worden und verfolgte das Ziel, auf die Abstellung der schweren Mängel hinzuwirken, die bei der Durchführung der Mädchenschulreform in Preußen zutage treten. Die Tagung hatte in den Frauenkreisen, die nach höherer Aus­bildung und Berufstätigkeit streben, sehr großes Interesse erwedt und war stark besucht. Sie wurde von Fräulein Dr. Bäumer geleitet und behandelte fünf Fragen, die sich auf die Fortentwid lung und Reform des höheren Mädchenschulwesens bezogen. 1. Die Lage der höheren Mädchenbildung in den kleinen Städten. 2. Die Zukunft der Privatschule in Preußen. 3. Wie beeinflussen die vor­handenen Vorbildungswege( Studienanstalten und Oberlyzeen) die Entwicklung des Frauenstudiums? 4. Die Verbindung mehrerer höhe. rer Schulanstalten unter einer Leitung und das Interesse der Studien­anstalten. 5. Der Einfluß der Frau auf die höhere Mädchenbildung. Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel). Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart  .

Drud und Berlag von J. H. W. Diez Nacht. G.m.b.8. tn Stuttgart  .