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Die Gleichheit

der überzeugung, die Berge versezt, und statt wenn" wird es heißen: ,, es war!" Der Erfolg unserer Kundgebung muß uns für den Schmerz entschädigen, daß wir leider nicht am gleichen Tage mit unseren Genoffinnen in Österreich  , Hol­ land   usw. demonstrieren können. Er muß diesen sagen, wie fest wir trotzdem in dem Kampfe für das gleiche Ziel mit ihnen verbunden sind.

Die Zeiterscheinungen und Zeitereignisse fünden, wie dringend die Proletarierinnen des Wahlrechts bedürfen, um ihre Interessen und die ihrer Lieben wahrend mitzuhelfen, ,, das alte, morsche Ding, den Staat" jungzuhämmern. Reden nicht Teuerung, Wohnungsjammer, Schulelend davon, von Rüstungen ohn' Ende, Krieg und Kriegsgefahr, Bedrohung der Koalitionsfreiheit und anderem zu schweigen! Und wird es nicht immer offensichtlicher, daß das Proletariat alle Quellen seiner Macht erschließen und strömen lassen muß ,. damit es die Gewalt seiner Feinde bricht? Seine Heeres­massen bleiben schon der Zahl nach unzulänglich ohne die Millionen schaffender Frauen, und beim Schleifen der feind­lichen Zwingburgen wie beim Aufbau der neuen sozialen Ordnung kann es die geistigen und sittlichen Werte weib­licher Eigenart nicht missen. Der Sozialismus gewährt nicht nur, er fordert, daß jeder einzelne um seiner selbst wie um der großen Familie der Allgemeinheit willen alle Kräfte des Leibes und der Seele entfaltet. Das Frauenwahlrecht aber öffnet eines der großen Tore zu den proletarischen Frauen­massen und ihrer Erziehung für den Gegenwartskampf und die Zukunftsfreiheit. Daher- allerdings nicht daher allein! trägt auch dieses Jahr wieder die Sozialdemo­kratie den Frauentag, und die gewerkschaftlich organisierte Arbeiterschaft läßt es an seiner Förderung nicht fehlen. Im Lager der bürgerlichen Demokratie feilscht man um die Bettelpfennige, die man als Abzahlung auf die volle Gleich­berechtigung des weiblichen Geschlechts gewähren will. In der Welt des klassenbewußten Proletariats wertet man es als nobile officium als eine Ehrenpflicht, die Steige als eine Ehrenpflicht, die Steige zu ebnen für die Frau als Bürgerin in Gemeinde und Staat, für das Weib als Vollmenschen. Der Sozialismus verpflichtet! Darum, Genossinnen, kein Bangen und Zagen um den Erfolg des 2. März. Tatkräftige Arbeit für seinen Erfolg! Rüsten wir für unseren Tag.

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Kampf- und Kriegsjahr.

III.

Der Streit zwischen der Berliner   und der Kölner   Rich­tung im Zentrum ist im vergangenen Jahre mit großer Heftigkeit weitergeführt worden. Jene, die im feudalen Often überwiegt, will die strengste konfessionelle Abschließung der Katholiken, während diese, die im Westen unter der auf­steigenden katholischen   Bourgeoisie vorherrscht, unter dem Drucke der kapitalistischen   Entwicklung einen gewissen Aus­gleich mit den Bedürfnissen der modernen Kultur mehr vor­zuspiegeln als wirklich herbeizuführen sucht. Die Berliner  sehen den heiligen Glauben bedroht, wenn das Zusammen­wirken mit den evangelischen Regern auf allen möglichen Lebensgebieten immer enger wird. Die Kölner   denken an praktischere Dinge, an die Behauptung der politischen Macht des Zentrums, an die Notwendigkeit des engen Zusammen­haltens aller Ausbeutenden und Besitzenden gegen den Um­sturz. In der politischen Organisation, eben in der Zen­ trumspartei  , haben diese Elemente, die die unmittelbaren politischen und wirtschaftlichen Zwecke in den Vordergrund stellen, die Oberhand, und sie nügen ihre Macht gegen die Berliner in rücksichtsloser Weise aus. Sie üben brutalen Zwang und kämpfen mit gewissenloser persönlicher Ver­dächtigung gegen ihre Gegner, die es dafür an derben christ­lichen Beschimpfungen und Denunziationen bei der kirch­lichen Obrigkeit nicht fehlen lassen. Diese steht zumeist auf der Seite der Berliner  , wagt aber doch nicht, ernstlich mit der geschlossenen Macht der Kölner   im Zentrum anzubinden,

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schon um nicht das Ansehen und die Bedeutung der für die katholische Kirche   höchst wertvollen Partei zu schädigen. Herrschen doch die Kölner   im Zentrum so unumschränkt, daß sie dem Grafen Oppersdorf, dem einzigen Reichstags­abgeordneten der Berliner   Richtung, den Eintritt in die Zentrumsfraktion sperren konnten. Für die Entwicklung des Zentrums ist es bezeichnend, daß auf dem Katholikentag zu Aachen   der Kampf gegen die klassenbewußte Arbeiter­bewegung den breitesten Naum einnahm. Die schwarze Partei nähert sich immer mehr dem Punkte, da sie auch Aus­nahmegeseze gegen die Arbeiterklasse gutheißen wird in Bayern   hat das Zentrum bereits diese Bahn betreten, hier kann ihm sein Handlanger v. Hertling gar nicht scharf genug gegen die freien Gewerkschaften wüten.

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Mit am heißesten umstritten im Kampfe der Berliner   und Kölner   sind die christlichen Gewerkschaften. Die Berliner hassen sie als Treibhäuser religiöser Lauheit, als Brufstätten gemischter Ehen, die Kölner   sehen in ihnen das einzige Mittel, die Arbeiter im Banne des Zentrums zit halten. Sie sind überzeugt, daß die freien Gewerkschaften noch an Anziehungskraft für die katholischen   Arbeiter gewinnen würden, wenn die christlichen Arbeiterorganisationen durch die Spaltung in katholische und evangelische im wirtschaft­lichen Kampfe noch mehr geschwächt werden sollten, als sie es durch die Trennung von der klassenbewußten Arbeiterschaft ohnehin schon sind. Der Streit um die Gewerkschaftsform ist zugleich auch ein Konkurrenzkampf zwischen den christ­lichen Gewerkschaften und den von der Berliner   Richtung gegründeten rein katholischen Fachabteilungen. Zu ganz be­sonderer Schärfe gedieh er im Sommer des Jahres 1912. Die Berliner gingen nämlich mit einem Worte des Papstes hausieren, das sich in schroffer Weise für die Fachabteilungen und gegen ihre Konkurrenten aussprach. Die in ihrer Eri­stenz bedrohten christlichen Gewerkschaften wehrten sich in so rüder Weise, daß die Autorität der Kirche dabei nicht ganz unbeschädigt bleiben konnte. So sah sich denn der Papst ge­nötigt, Waffenstillstand zu gebieten und die Entscheidung des Streites in einer Enzyklika zu unternehmen. Im No­vember erschien die päpstliche Willensmeinung. Sie verbarg die Vorliebe des Heiligen Vaters für die Berliner   Fach­abteiler nicht, mußte aber die christlichen Gewerkschaften bis auf weiteres doch dulden, allerdings nur auf Widerruf, sowie unter strenger Aufsicht der Bischöfe. Freilich sind die christ­lichen Gewerkschaften in Deutschland   als Schutztruppe der Herrschenden und Besißenden zu sehr geschätzt, als daß man in Rom   hätte wagen dürfen, sie ganz zu verbieten. Hatte sich doch der Reichskanzler eigens für sie beim Papste verwendet. Den Unternehmern aber genügt das arbeiterverräterische Wirken der christlichen und der gelben Organisationen noch nicht. Sie fordern immer lauter und heftiger die Zertrüm­merung des Koalitionsrechtes. Alle möglichen Unternehmer­organisationen, auch die Handelskammern wurden im ver­gangenen Jahre zu einem förmlichen Betitions- und Re­solutionssturm veranlaßt; Verbot des Streikpostenstehens, größerer Schutz für die Arbeitswilligen wurde immer aufs neue von Regierung und Gesetzgebung verlangt. Auch der liberale Hansabund machte dieser immer stärker anschwellen­den Scharfmacherströmung Zugeständnisse und forderte eine Verschärfung der schon überscharfen polizeilichen und gericht­lichen Maßnahmen gegen die um bessere Arbeitsbedingungen kämpfenden Proletarier. Auch die Regierung ließ erkennen, wie feindlich sie dem Koalitionsrecht der Arbeiter gesinnt ist.

Der Herbst brachte dem deutschen   Volfe eine böse Steigerung der ständigen Fleischnot, und das in einer Zeit, in der fast alle Lebensbedürfnisse verteuert sind. Die Verschärfung der Fleischnot war die Folge der Dürre des Sommers 1911, die eine Verminderung des Viehbestandes notwendig gemacht hatte. Sie war vorauszusehen und sie war vorausgesagt worden. Die Reichsregierung aber hatte keinen Finger gerührt, um durch Öffnung der Grenzen für Vieh- und Fleischeinfuhr aus dem Ausland dem Schlimmsten vorzubeugen. Und sie