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Die Gleichheit

Nr. 13

Staaten existieren, die stehenden Heere abschaffen und die Volkswehr errichten, die niemals der Eroberung, der Unter­jochung fremder Völker dienen kann, sondern stets nur der Verteidigung. Aber weil die Volkswehr, die Miliz in indu­striell entwickelten Ländern nicht eine Waffe in der Hand der herrschenden Klasse sein kann, sondern nur eine Waffe des Volfes gegen jede Knechtung, wird diese Lösung der Kriegs­frage so wütend von den Kapitalisten bekämpft. Gerade des­halb bleibt unsere Losung: Diesem System des kapitalistischen  Mordes keinen Mann und keinen Groschen! Krieg dem Kriegel polis mod G J. K.

Wie besessen tobte damals die Presse, die im Dienste der Fabrikanten von Mordwerkzeugen steht. Sie beschuldigte den Reichskanzler und den Schazsekretär, daß sie aus Rücksicht auf die Finanzlage sich den Forderungen des Kriegsmini­steriums widersetzen und so Deutschland   wehrlos machen". Die Regierungsblätter antworteten darauf mit lahmen Er­klärungen. Im Januar kamen dann immer kräftigere Vor­stöße der Rüstungsheter. Es wurde von der Niederge­schlagenheit" fabuliert, die in Offiziersfreisen herrsche, von der mangelnden Kriegsbereitschaft in allen Punkten. Schließlich konnte die Post", eines der Holzpapiere der Kanonenkönige, triumphierend ausposaunen, die Regierung werde mit großen Militärforderungen auftreten. Das be­weist also, daß die Regierung sich zu diesem Entschluß hat urplötzlich drängen lassen, wie das im Deutschland   des Bide zadkurses üblich ist.

Aber prompt stellt sich ein, was zu erwarten war. Die Ankündigung neuer Rüstungen in Deutschland   beantwortet die französische   Regierung mit der Rückkehr zur drei­jährigen Dienstzeit, um die Zahl der im Frieden unter den Waffen gehaltenen Soldaten zu erhöhen. Die rus­fische Regierung beantwortet sie mit Plänen zur Verstär­fung der Garnisonen an der deutschen   Grenze. Selbst vom Standpunkt der Rüstungsfanatiker wird sich also nur er­geben, daß zwar die Zahl der für die Menschenschlächterei bereit gehaltenen Soldaten steigt, daß aber das Verhältnis der Kräfte zwischen den Erbfreunden und Erbfeinden sich nicht verschiebt. Genau so spielt sich die Geschichte schon seit Jahrzehnten ab: die Schraube ohne Ende wird ziel- und zwecklos gedreht, die einzelnen Staaten steigern ihre Rü­stungen unablässig, ohne daß bei einem dieser Staaten von einem erdrückenden übergewicht" jemals die Rede sein könnte, wie es die Militärs erträumen. Aber erreicht wird dadurch freilich, daß die Gefahr eines Weltkriegs unheimlich wächst, und daß bei dem Ausbruch eines solchen Krieges Heeresmassen in Bewegung treten werden, die Europa   zer­stampfen. Der Krieg, der mit solcher Wut vorbereitet wird, muß zu einer Weltkatastrophe werden.

Der furchtbare Wahnsinn, der darin liegt, bleibt natürlich weder den Regierenden noch den bürgerlichen Parteien ver­borgen. Doch ein Entrinnen gibt es nicht für sie. Die Idee einer allgemeinen Abrüstung oder auch nur einer Beschrän­fung der Rüstung bleibt eine Utopie, solange die herrschende Klasse eines jeden bürgerlichen Staates darauf ausgeht, in der ganzen Welt zu räubern und fremde Länder und Völker zu unterjochen. Die Bourgeoisie weiß, daß internationale Verträge zwischen Staaten noch stets zerrissen wurden, wenn das einem von ihnen paßte, und er es ungestraft tun konnte. Und das wird so bleiben, solange es kapitalistische Staaten, Raubstaaten gibt. Weil die bürgerliche Gesellschaft auf roher Gewalt beruht, muß sie festhalten am Militärstaat, der die Welt mit Raub und Mord bedroht und selbst von seinen Nachbarn bedroht wird. Das ist das eherne, unabänderliche Geschick, das durch keine Vernunftgründe abzuwenden ist. Mehr noch: die aufgeklärten Vertreter der herrschenden Klassen wissen es genau, daß die Rüstungen unfehlbar den Weltkrieg herbeiführen müssen, und sie ahnen es, daß dieser die Katastrophe ist, an der die bürgerliche Gesellschaft zu­grunde gehen muß. Denn es ist undenkbar, daß die zur Ver­zweiflung getriebenen Volksmassen diese wahnwißige Gesell­schaftsordnung weiterbestehen lassen, nachdem sie deren furcht­bare Folgen am eigenen Leibe verspürt haben. Trozdem gibt es für die Bourgeoisie kein Zurück. Für sie ist die Frage: Kapitalismus   und Völkermord, oder Preisgabe der fapita­listischen Ordnung; ein drittes gibt es nicht.

Für uns aber, für die Proletarier der ganzen Welt gilt es, den Kampf gegen den Kapitalismus und damit zugleich gegen den Völkermord zu führen, der mit dem Kapitalismus untrennbar zusammenhängt. Indem wir den Krieg unmög­lich machen, machen wir den Kapitalismus unmöglich. Wir wollen den Krieg unmöglich machen, indem wir, solange noch

Ein Parteijubiläum.

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Am 1. März vollendete sich ein halbes Jahrhundert, seit­dem Ferdinand Lassalle   den Geburtsschein der deutschen   So­zialdemokratie unterzeichnete. Dies ist das Zeichen, das Sie aufpflanzen müssen. Dies ist das Zeichen, in dem Sie siegen werden! Es gibt kein anderes für Sie! Mit Gruß und Hand­schlag F. Lassalle  . Berlin  , 1. März 1863." So schließt das Offene Antwortschreiben an das Zentralfomitee zur Berufung eines Allgemeinen Deutschen   Arbeiterkongresses zu Leipzig  .

Seitdem dies Heftchen von wenigen Druckbogen in die Welt flog, gibt es eine deutsche Sozialdemokratie. Nicht mit dem so lärmenden wie leeren Festgepränge, worin sich heute die Nachkommen jener Fürsten   und Junker gefallen, die vor hundert Jahren den Heldenkampf der Massen mit beispiel­losem Undank belohnt haben, feiern wir zum fünfzigsten Male unser Wiegenfest. Aber dankbar erinnern wir uns des Mannes, dessen flammendes Wort die revolutionäre Arbeiter­bewegung in Deutschland bewegung in Deutschland   entzündete; und der kleinen Schar, deren treue Herzen ein empfänglicher Boden der Feuersaat

waren.

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Allein nicht minder dankbar erinnern wir uns der Männer, die der geschichtlichen Tat Lassalles die Wege gebahnt haben. Es ist wahr, daß Marr und Engels das Offene Antwort­schreiben und die anderen Flugschriften, die die deutsche Ar­beiterklasse so mächtig aufrüttelten, mit verächtlicher Hand­bewegung beiseite geschoben haben, als Sertanerprosa, mit deren bloßer Lesung sie nicht einmal ihre Zeit verderben mochten. Jedoch es ist nicht minder wahr, daß sie damit nur ihrem eigenen Ruhme das Licht vertraten. Ohne ihre glor­reiche Vorarbeit in den vierziger Jahren des vorigen Jahr­hunderts hätte Lassalle nicht vollbringen können, was er voll­bracht hat. Ohne das Kommunistische Manifest wäre das Offene Antwortschreiben, ohne den Bund der Kommunisten wäre der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein   unmöglich gewesen.

An der Lehre und dem Vorbild der älteren Freunde hatte sich Lassalle herangebildet, und so mag ihm von allem Schmerzlichen, was er in seinem letzten Lebensjahr erfahren mußte, am schmerzlichsten gewesen sein, daß sie die kühne Tat verkannten, durch die er sich als ebenbürtiger Meister neben sie stellte. Aber die Nachwelt hat sein prophetisches Wort ein­gelöst und ihm sein Recht gegeben. Lassalle   hat oft geirrt, aber nicht weniger oft haben Marr und Engels geirrt, und der größte Irrtum ihres Lebens ist gewesen, daß sie das historische Werk Lassalles so gänzlich verkannt haben.

Sollen wir uns durch diese Erinnerung den fünfzigsten Geburtstag des Offenen Antwortschreibens trüben lassen? Wir wären nicht würdig, uns die Jünger solcher Meister zu nennen, wenn wir es täten. Lessing  , den Lassalle gelegentlich einen echten Nachfahren Luthers   genannt hat, schreibt einmal: ..Lutherus stehet bei mir in solcher Verehrung, daß es mir, alles wohl überlegt, recht lieb ist, einige kleine Mängel an ihm entdeckt zu haben, weil ich in der Tat der Gefahr so nahe war, ihn zu vergöttern. Die Spuren der Menschheit, die ich an ihm finde, sind mir so kostbar als die blendendste seiner Vollkommenheiten. Sie sind sogar für mich lehrreicher als alle diese zusammengenommen." In gleichem Sinne dürfen wir sagen, daß die herbe und oft so ungerechte Kritik, die Marr und Engels an Lassalle geübt haben, für uns eine