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Die Gleichheit

So hat der Frauentag gehalten, was er leisten soll. Er ist eine imposante sozialdemokratische Massenkundgebung für das Frauen­wahlrecht gewesen, dem die bürgerliche Welt in Deutschland   nichts Ebenbürtiges an die Seite zu stellen hat, ja neben deren Um­fang, Ernst und Wucht auch die raffiniert in Szene gesetzten glänzenden Paraden der amerikanischen und englischen Frauen­rechtlerinnen verbleichen. Er hat damit den Mut und die Ar­beitsfreudigkeit der Genoffinnen gestärkt, die ihre öffentlich- recht liche Mündigkeitserklärung fordern, um das höchste aller Nechte ausüben zu können: gleiche Pflichten wie der Mann zu erfüllen und auch im öffentlichen Leben seine gleichwertige Gefährtin zu sein, um besser gerüstet dent Sozialismus zu dienen. So hat er das Bewußtsein der unlöslichen Zusammenhänge vertieft und ges festigt, die die Broletarierinnen mit der Sozialdemokratie ber­binden. Unsere Kundgebung ist ein großer Säetag sozialistischer Ideen gewesen, sie hat ein gewaltiges Stück Aufklärungs- und Sammlungsarbeit geleistet. Dem Frauenwahlrecht wurden neue Kämpferinnen und Kämpfer geworben, und insbesondere unge­zählte Frauen sind neu unter das sozialistische Banner getreten. das bestätigt die Ausdehnung des Leserkreises unserer Presse. Der Frauentag ist aber auch zu einem glänzenden Zeugnis für das Verständnis, den Eifer, die Hingabe unserer tätigen Genos­finnen geworden. Wie haben sie gearbeitet, damit sie sich seiner freuen konnten! In Bersammlungen und Eitungen, in der Partei- und Gewerkschaftspresse, durch die Verbreitung von Flug­blättern und Aufrufen, durch zahllose Hilfsleistungen, die nicht ins Auge fallen, die das Ohr nicht fesseln und die doch erst den Erfolg sichern. Mit welch außerordentlicher Energie unsere rede­gewandten Genofsinnen tätig gewesen sind, davon erhält man eine Ahnung, wenn man die Versammlungsberichte überfliegt. Naum eine von ihnen, die nicht am 2. und 3. März tätig und mindestens bei je zwei Beranstaltungen gesprochen hat, viele sind noch darüber hinausgegangen und hatten außerdem oft genug dazwischen Bahnfahrten usw. zurüdzulegen. Den deutschen   Ge noffinnen hatte sich, wie im vorigen Jahre auch, aus Italien   Ge­noffin Balabanoff zugefellt, die verkörperte Opferfreudigkeit im Dienste unseres deals. Und diese Tatsache voller Verheizungen träftigen Fortschreitens unserer Bewegung: ein stattlicher Stab von Genossinnen ist zum ersten Male rednerisch ins Licht ge= treten, wie auch bei der Leitung der Versammlungen und sonst Genofsinnen jenen Schritt gemacht haben, der am meisten kostet. Unser Frauentag ist unzweifelhaft ein unwiderstehliches Mahnen und Ermutigen für zaudernde, zaghafte Kräfte. Indem er den Genossinnen vermehrte und erhöhte Aufgaben stellt, schärft er ihr Pflichtgefühl, stärkt aber auch ihr Selbstvertrauen und steigert mit der Leistungstüchtigkeit die Arbeitsfreudigkeit. Unsere ge famte sozialistische Bewegung wird auch in dieser Beziehung die reichen Früchte des Frauentags ernten.

Faßt man den vielseitigen Wert unserer Kundgebung zusam­men, so begreift man, warum die Herzen der Genossinnen höher schlagen, wenn sie an den Frauentag denken, daß ihr Eifer sich immer wieder beflügelt, wenn sie für ihn wirken, daß ihre Be­geisterung zündend, fortreißend wirkt, wenn sie ihn feiern. Unser Tag hat sich seinen Platz in der sozialistischer Bewegung erobert, er wird ihn behalten.

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Bürgerliche Frauen befanden sich hier und da in verschwin­dender Zahl unter der Zuhörerschaft. Aus drei Orten wird be­richtet, daß frauenrechtlerische Führerinnen das Wort ergriffen. In einer Bersammlung zu Berlin   hatte Fräulein Freitag den Geschmack, den preußischen Wahlrechtskämpfern das Damenwahlrecht anzupreisen. Frau Baltzer knüpfte in Mag de­burg an die Rede der Genossin Ziez Ausführungen, die die unüberbrüdbare Kluft zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung zeigen. In Nürnberg   flatterte die eine frauenrechtlerische Echwalbe auf, die im Wahlrechtskampf keinen Sommer macht. Die Vorsitzende der Frauenstimmrechtsgruppe Nürnberg- Fürth, Fräulein Sammetfeder, sprach einer fo­zialdemokratischen Frauenversammlung ihre wärmste Sympathie aus und betonte, daß ihre Organisation politisch neutral sei und in der Sozialdemokratie die konsequente Vertreterin ihrer Forde= rungen erblice. Sie begrüße das mächtige, achtunggebietende Vor­gehen der zum Klassenbewußtsein erwachten proletarischen Frauen.

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In Groß- Berlin fanden insgesamt 40 Versammlungen statt, davon in der Stadt selbst 12, 18 im Wahlkreis Char­Tottenburg- Teltow Beeskow   und 10 in Nieder­ barnim  . Die Genofsinnen sammelten sich meist in den Lokalen ihrer Lese- und Disku bnsabende und inarschierten von dort in geschlossenen Bügen nach den Versammlungssälen, von denen

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mehrere bald überfüllt waren. Züge der Genossinnen im zweiten und sechsten Wahlkreis fielen durch die roten Nelken besonders auf, die die Teilnehmerinnen als Abzeichen trugen. Zahlreiche Polizei­mannschaften in der Nachbarschaft der Versammlungslokale be= wahrten revolvergerüstet die Stadt vor dem Umsturz" durch die Frauen, die sich nicht einmal von einem Instrument des Himmels ins Haus zurüdposaunen lassen wollen. Nach dem Schluß der Ver­sammlungen, die glänzend verliefen, wurden manche Züge der Ge­Hoſſinnen von einer Ehrensurbe, rubelnber Bolizisten e sorglich

an ihr Ziel geleitet. Frankfurt   a. D., Fürstenwalde   und Forst hielten ihren Frauentag, die lettere Stadt hatte noch nie eine ähnliche Massenversammlung gesehen wie am 2. März. Aus vielen schlesischen Orten werden Veranstaltungen gemeldet, so aus Liegniß, Goldberg, Parchwih, Hahnau, Ruhland, Hoyerswerda  , Weißstein, Neumarkt  , Altwasser  , Deutsch- Lissa   usw. In Görlitz   fanden zwei gute Versammlungen statt, in Breslau   war der Frauen­tag ein schöner Erfolg. Von den Veranstaltungen in Nordosten des Reiches feien die in Königsberg   und Danzig   hervor gehoben. In Pommern   hatte unmittelbar vor dem Frauentag eine größere Agitation unter den Proletarierinnen durch Genossin Leu stattgefunden; deshalb wurden am 2. März nur noch in Stettin  , 3üllchow und Greifswald   Versammlungen abgehalten, von denen die in Stettin   am bedeutendsten war. Die meisten der zehn Veranstaltungen im Wahlkreis Kiel   waren erfolgreich. Hier erfaßte unsere Agitation außer Kiel   nicht bloß größere Orte wie Neumünster   und Rendsburg  , sondern auch Preez, Elmschenhagen, Neumühlen Diet= richsdorf usw.

Zu einer eindrucksvollen Kundgebung gestaltete sich der Frauen= tag in Hamburg- Altona   und Umgebung, wo 19 Ver­sammlungen abgehalten wurden, die durchweg zahlreichen Besuch aufwiesen, von denen manche überfüllt waren. Imposant war die Kundgebung in Bremerhaven  , aus Bremen  , Arsten, Oldenburg   wird ein würdiger Verlauf des Frauentags ge meldet. Außerordentlich war der Andrang der Proletarierinnen zu der Versammlung in Braunschweig  , die Genossinnen in Hannover  , Linden und Kassel   dürfen mit Genugtuung auf die Werbekraft und den Verlauf ihrer Kundgebung zurüd­blicken. Prächtige Erfolge brachten auch die Versammlungen in Eschwege  , Lichtenau, Wibenhausen und Schmal­ kalden  . In Wizenhausen fühlte sich der überwachende ficherlich durch den Namen des Ortes verpflichtet, auf die Erhei­terung der Versammelten bedacht zu sein. Mit sorgengerunzelter Stirne hatte dieser Brave entdeckt, daß der Ordnung im preußischen Staate schwere Gefahr durch die Anwesenheit eines 7 Monate alten Wickelkindchens drohte. Die Mutter mußte sich des Kleinen wegen entfernen, da, wie der Herr Wachtmeister ebenso tiefsinnig als richtig bemerkte, die Person des Säuglings noch nicht 18 Jahre alt war". Es geht doch nichts über Amtsweisheit! übrigens er­streckte sich die polizeiliche Fürsorge in Wizenhausen auch auf die Referentin, Genossin Fahrenwald. Ritterlich folgte ihr ein Überwachender bis an den 20 Minuten entfernten Bahnhof. Halle darf sich einer ungemein glänzenden Frauenversammlung rühmen, das gleiche gilt von Magdeburg  , wo faum je mehr kämpfende Proletarierinnen aufmarschiert sind als am 2. März. Aus dem Bezirk seien noch die Veranstaltungen in Burg, Schönebeck  , Halberstadt  , Thale  , Wernigerode  , Tangermünde   und Osterwied hervorgehoben.

In einigen Orten des Rheinlands war der Frauentag ein fehr großer Erfolg. Der Zustrom zu der Veranstaltung in Düs­ seldorf   war so gewaltig, daß eine zweite Versammlung im­provisiert werden mußte, der Besuch in Elberfeld   überstieg bei weitem den des Vorjahres, der in Barmen war äußerst zahl= reich; in Köln   war der große Saal im Volkshaus mitsamt den Galerien so dicht besetzt, daß trotz der Entfernung der Tische nicht genug Sitzplätze vorhanden waren und viele Erschienenen sich stehend drängten. Nicht gut besucht war die Versammlung in Aachen  , um so besser die in Mülheim  . Zum Frauentag hatte die Sozialdemokratie auch in Bonn  , Düren  , Solingen  , Remscheid  , Essen   und anderen Orten aufgerufen und durfte meist guten Besuch verzeichnen. Aus Westfalen   verdient die er­folgreiche Versammlung in Dortmund   besondere Erwähnung. Starke Beteiligung und begeisterte Stimmung zeichneten die Kund­gebungen in Frankfurt   a. M. und Offenbach   aus. Meist gelungene Versammlungen fanden in Wiesbaden  , Dozen­heim, Hanau  , höchst und 8 Orten der Umgebung statt, fowie in 7 Orten, die in der Nachbarschaft von Offenbach  liegen. In Darmstadt   sammelten sich die Genossen und Ge­